Alte Tirolensien neu gelesen (Teil 62)
Eingehend behandelt werden auch seine Rolle im Kontext von Faschismus, Option und Zweiten Weltkrieg sowie seine allmähliche politische Marginalisierung und sein später Rückzug. Das Buch endet mit einer umfassenden Schlussbetrachtung, einem dokumentarischen Anhang und zahlreichen archivalischen sowie bildlichen Quellen. Eine Rezension von Andreas Raffeiner.
Meilenstein und neuer Standard in der regionalgeschichtlichen Lebensbeschreibung
Mit ihrer umfangreichen Biografie Erich Amonn. Bürger, Unternehmer, Politiker (1896–1970) legen die beiden Zeithistoriker Hans Heiss und Stefan Lechner ein Werk vor, das in seiner Dichte, Quellenvielfalt und analytischen Tiefe einen neuen Standard in der regionalhistorischen Lebensbeschreibung setzt. Die Autoren versuchen, das Leben Erich Amonns nicht nur als Chronik eines Einzelnen, sondern auch als Spiegelbild der Südtiroler Zeitgeschichte zu begreifen – ein Anspruch, dem sie in weiten Teilen gerecht werden.
Vielschichtiger Charakter zwischen Unternehmerdasein und politischem Idealismus
Amonn wird als vielschichtige Figur zwischen wirtschaftlichem Unternehmertum und politischem Idealismus dargestellt. Die Kapitel sind inhaltlich klar strukturiert: Sie reichen von seiner Kindheit in einem traditionsreichen Bozner Kaufmannshaushalt über die Kriegsjahre und den Aufbau eines modernen Unternehmens, bis hin zur Gründung der Südtiroler Volkspartei (SVP) und den politischen Kämpfen um Autonomie und Anerkennung der Südtiroler Anliegen. Besonders hervorzuheben ist die detaillierte Kontextualisierung von Amonns politischen Positionen, beispielsweise im Hinblick auf seine Haltung zur Option 1939 oder zur Zusammenarbeit mit dem italienischen Staat in der Nachkriegszeit.
Deutschnationales Denken und ambivalente Haltung gegenüber dem Nationalsozialismus
Die Darstellung bleibt stets differenziert. Amonns Nähe zu deutschnationalem Denken in den 1920er-Jahren wird ebenso wenig verschwiegen, ebenso wenig wie seine distanzierte, aber letztlich ambivalente Haltung gegenüber dem Nationalsozialismus. Der Band bemüht sich um eine kritische Balance, indem er sowohl Verdienste als auch Fehlentscheidungen berücksichtigt – etwa im Kontext seiner Abwahl als SVP-Obmann im Jahr 1957, die als Zäsur nicht nur für Amonn selbst, sondern auch für die junge Sammelpartei gedeutet wird.
Besonders zu unterstreichen ist die dichte Quellengrundlage. Der Text fußt auf einer beeindruckenden Breite an Archivmaterialien, persönlicher Korrespondenz und Zeitzeugenberichten. Der umfangreiche Anhang mit Lebenslauf, Quellenverzeichnis, Geldwerttabelle und Personenregister erhöht die wissenschaftliche Nutzbarkeit des Werkes erheblich. Die durchgehend sorgfältige Sprache, gepaart mit einem transparenten Quellenapparat, macht das Buch zu einem wertvollen Beitrag für die Geschichtswissenschaft wie auch für ein breiteres, historisch interessiertes Publikum.
Späte Würdigung von Erich Amonn als Mensch mit Grundsätzen, Widersprüchen und Grenzen
Mit dieser Publikation verleihen Heiss und Lechner Erich Amonn eine Würdigung, die lange ausstand. In einem von Brüchen, Loyalitätskonflikten und Autonomiefragen geprägten Land wie Südtirol erscheint Amonn als exemplarische Figur – nicht als Held, sondern als Mensch mit Prinzipien, Widersprüchen und Grenzen.
Ein wichtiges Stück Südtiroler Zeitgeschichte in Buchform
Erich Amonn. Bürger, Unternehmer, Politiker ist eine fundierte wie lesbare Biografie, die ein wichtiges Stück Südtiroler Zeitgeschichte beleuchtet. Heiss und Lechner gelingt es, Leben und Wirken Amonns vielschichtig zu erfassen – kritisch, empathisch und historisch präzise. Das Werk stellt zweifellos eine Bereicherung für die Südtiroler und mitteleuropäische Biografieforschung dar.
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Hans Heiss/Stefan Lechner: Erich Amonn. Bürger, Unternehmer, Politiker (1896–1970). Ein Porträt, Bozen 2019.
