von Alexander Wurzer 26.06.2025 08:30 Uhr

Die SVP, die Fratelli d’Italia und die überschrittene rote Linie

Als die Südtiroler Volkspartei 2024 die Fratelli d’Italia (FdI) in die Landesregierung holte, galt dies bereits vielen als Pakt mit dem Teufel. Seit dem Amtsantritt der postfaschistischen Partei in Bozen reiht sich tatsächlich Entgleisung an Entgleisung – von Auftritten bei rechtsextremen Aufmärschen über Nazi-Rhetorik bis hin zu Angriffen auf die Autonomie-Grundlagen Südtirols.

Die SVP hat den FdI aktuell wenig entgegenzusetzen (Karikatur: UT24)

Die SVP versprach einst „rote Linien“ und volle Kontrolle über ihren umstrittenen Partner. Heute, gut ein Jahr später, steht fest: Diese roten Linien existieren allenfalls noch auf dem Papier. Ein Überblick über die belegbaren Vorfälle zeigt, wie die SVP mit ihrer Koalition einen politischen Dammbruch verantwortet – und ihn bislang tatenlos aussitzt.

Fackelmarsch mit Neofaschisten: Galateo sorgt für Eklat

Mehrfach geriet Marco Galateo, Landesrat und Vize-Landeshauptmann (FdI), mit zweifelhaften Auftritten in den Fokus. Den Tiefpunkt markierte seine Teilnahme an einem Fackelzug am Gedenktag 10. Februar in Bozen – Seite an Seite mit bekannten Neofaschisten. Fotos zeigen Galateo mit Fackel bei einer Veranstaltung zum „Tag der Erinnerung“ anlässlich des Foibe-„Massakers“, unmittelbar neben ehemaligen Exponenten der rechtsextremen Szene. Die Nähe eines hochrangigen Regierungsvertreters zu einer Organisation mit ideologischem Bezug zum historischen Faschismus wirft ernste Fragen auf.

Die Teilnahme an einer derart aufgeladenen Veranstaltung löste breite Empörung aus. Kritisiert wurde insbesondere die Instrumentalisierung des Gedenkens durch extremistische Gruppierungen – und die Teilnahme Galateos daran. Selbst aus der SVP-internen Mitte kam Kritik. Die Grünen verurteilten den Fackelzug als ideologisch motivierte Provokation, die dem gesellschaftlichen Zusammenhalt schade. Galateo selbst wiegelte ab: Er sei eingeladen worden, habe die Beteiligten nicht gekannt und die Geste als reine Teilnahme am Gedenken verstanden. Konsequenzen: keine. Landeshauptmann Kompatscher sprach von einem Fehler – ließ es aber dabei bewenden.

NS-Propaganda gegen Regenbogen: Goebbels-Zitat und kein Ende

Noch gravierender war ein Vorfall, der jüngst die Bozner Stadtpolitik erschütterte: FdI-Gemeinderat Diego Salvadori postete ein Foto mit einer Regenbogenfahne und versah es mit einem Zitat von Joseph Goebbels: „Die Fahne folgt nicht dem Volk, das Volk hat der Fahne zu folgen.“ Er verwies selbst auf die Urheberschaft beim Propagandaminister des Dritten Reiches.

Die Reaktionen waren eindeutig: Ein NS-Zitat zur Diffamierung eines Symbols, welches zwar höchst umstritten ist – das ist keine politische Meinung, das ist gezielte Provokation. Salvadori sah sich zu einer halbherzigen Entschuldigung genötigt, löschte den Beitrag, und trat letztendlich als Gemeinderat ab. Pikant: Der eigene Vize-Landeshauptmann Marco Galateo hatte dem Beitrag ein „Gefällt mir“ gegeben. Erst später distanzierte er sich, sprach von einem technischen Versehen und entschuldigte sich „im Namen der Partei“. Die Kritik an diesem Verhalten war deutlich: Wer in Regierungsverantwortung steht, darf nicht mit nationalsozialistischer Rhetorik spielen – und darf solche Ausfälle nicht mit einem Schulterzucken abtun.

Fratelli d’Italia greifen Autonomie an – die SVP schaut weg

Mit voller Rückendeckung aus Rom treiben die Fratelli d’Italia – geduldet von der SVP – jene Autonomiereform voran, die zentrale Schutzmechanismen der Minderheitenpolitik Südtirols systematisch angreift. Zwei besonders brisante Änderungen stechen hervor: Zum einen wurde die Ansässigkeitsdauer für das aktive Wahlrecht bei Landtagswahlen von vier auf zwei Jahre verkürzt. Was auf den ersten Blick wie eine technische Anpassung wirkt, bedeutet in der Praxis eine deutlich schnellere Verschiebung politischer Mehrheitsverhältnisse – auf Kosten der angestammten Minderheitenrechte. Das Wahlrecht kann künftig wesentlich rascher in Anspruch genommen werden, ohne langfristige Verwurzelung im Land.

Zum anderen sieht die Reform vor, dass der Landtag künftig mit absoluter Mehrheit beschließen kann, dass die Zusammensetzung der Landesregierung proportional zur Sprachgruppenzugehörigkeit nach der letzten Zählung erfolgen soll – ungeachtet des Wahlergebnisses. Derselbe Mechanismus ist für die Gemeinderäte vorgesehen: Ist dort nur ein einziger Vertreter einer Sprachgruppe vorhanden, kann der Gemeinderat ihm dennoch per Mehrheitsbeschluss einen garantierten Platz im Gemeindeausschuss zusprechen.

Formell bleibt dabei alles in der Hand der Mehrheit – faktisch jedoch öffnet diese Bestimmung Tür und Tor für eine ethnisch garantierte Vertretung, unabhängig von demokratischen Mehrheitsentscheidungen. Genau hier liegt das Risiko: Eine Minderheit kann durch politische Beschlüsse künstlich in Regierungsverantwortung gehoben werden, obwohl ihr dafür keine Mehrheit der Stimmen zusteht. Damit untergräbt die Reform die Prinzipien des Verhältniswahlrechts und zielt auf eine dauerhafte Umgewichtung der politischen Balance im Land.

Dass ausgerechnet Fratelli d’Italia diese Eingriffe als „Modernisierung“ bezeichnen, entbehrt nicht der Ironie. Die Partei arbeitet offen an einer strukturellen Entmachtung der deutsch- und ladinischsprachigen Bevölkerung – flankiert von Maßnahmen, die den Schutz dieser Gruppen formell erhalten, ihn aber realpolitisch aushöhlen. Und die SVP? Winkt ab und beschwichtigt. Der Eindruck bleibt: Die Fratelli d’Italia formen die Autonomie nach ihrem Gusto um – und die Volkspartei steht daneben und erklärt es zur Verbesserung. Ein fundamentaler Verrat an den eigenen Grundsätzen.

Die SVP in der Verantwortung

Die Chronik der vergangenen Monate zeigt ein klares Bild: Fratelli d’Italia testet systematisch die Grenzen des Sag- und Machbaren – inhaltlich, symbolisch, sprachlich. Die SVP reagiert spät, leise oder gar nicht. Wenn ein Koalitionspartner offen mit neofaschistischer Ästhetik flirtet, wenn Nazi-Zitate in sozialen Netzwerken kursieren und zentrale Autonomieschutzmechanismen infrage gestellt werden, dann braucht es mehr als betretenes Schweigen. Es braucht politische Konsequenz.

Stattdessen verspricht die SVP Kontrolle – und liefert Duldung. Die Fratelli d’Italia nutzen die Bühne, die ihnen die SVP eröffnet hat, zur gezielten Normalisierung radikaler Inhalte. Was als pragmatische Regierungspartnerschaft verkauft wurde, entpuppt sich als moralischer Offenbarungseid. Die rote Linie, die einst gezogen wurde, ist längst überschritten. Die Frage ist nicht mehr, ob die SVP ihren Koalitionspartner kontrolliert – sondern, ob sie ihn überhaupt noch kontrollieren will.

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