Alte Tirolensien neu gelesen (Teil 58)

Vom Grafensitz zur Stadtgemeinde: Geschichte und Architektur
Das Buch beginnt mit einer aufschlussreichen Dokumentation früher Urkunden über die Grafschaft Pustertal und die Stadt Bruneck. Diese Quellen – zum Teil aus dem 11. bis 13. Jahrhundert – veranschaulichen die institutionellen und kirchlichen Ursprünge Brunecks. Besonders hervorzuheben ist die erstmalige Erwähnung der Burg Bruneck (1276), die den Übergang von der mittelalterlichen Verwaltung zur entstehenden Stadtstruktur markiert. Anschließend widmet sich der Band den beiden zentralen Burgen Brunecks – der namensgebenden Burg und der weniger bekannten Lamprechtsburg – und skizziert ihre bauliche Entwicklung sowie ihre wechselvolle Nutzungsgeschichte.
Ansitze, Rathäuser und bürgerliches Selbstverständnis
Ein besonders wertvoller Abschnitt ist dem bürgerlichen und adeligen Bauen gewidmet: Die Darstellung von zwanzig Ansitzen, verteilt über Bruneck und seine Fraktionen wie St. Georgen, Dietenheim oder Reischach, zeigt die soziale und wirtschaftliche Vielfalt der Region. Der Leser erhält nicht nur Informationen zu Bauzeit, Stil und Besitzgeschichte, sondern auch zu ihrer heutigen Funktion. Auch die Rathäuser als Ausdruck kommunaler Selbstverwaltung werden in ihrer architektonischen und politischen Bedeutung angemessen gewürdigt.
Bildungsgeschichte als Spiegel des Fortschritts
Ein zentrales Thema des Werkes ist die Entwicklung des Schulwesens in Bruneck. Beginnend mit den ersten Bildungseinrichtungen bis hin zu modernen Berufsschulen und Universitätsangeboten bietet der Band eine fundierte Analyse des Brunecker Bildungswesens. Beiträge zahlreicher Fachautorinnen und -autoren beleuchten einzelne Schulen – von der Ursulinenschule bis zur Musikschule – jeweils mit historischem Rückblick, pädagogischem Profil und aktuellen Herausforderungen. Der Beitrag über Förderschule oder der Abschnitt über den Zweiten Bildungsweg zeigen dabei eindrucksvoll, wie sehr sich das Bildungssystem geöffnet und weiterentwickelt hat. Auch das mehrsprachige Schulwesen wird mit Beiträgen zur italienischsprachigen Schule thematisiert – ein Hinweis auf die kulturelle Vielschichtigkeit Südtirols.
Würdigung und Fazit
Der Sammelband besticht durch seine Vielseitigkeit, seine historische Tiefe und seine reiche Bebilderung. Er ist nicht nur eine wertvolle Dokumentation für Heimatforscher, sondern auch ein Werk von pädagogischer und kulturpolitischer Bedeutung. Die Beiträge sind sachlich, fundiert und verständlich geschrieben, die Gliederung ist nachvollziehbar, und die Vielzahl der Autorinnen und Autoren verleiht dem Band eine breite fachliche Perspektive. Es ist ein beeindruckendes Nachschlagewerk zur Kultur- und Bildungsgeschichte Brunecks, das Denkmalpflege, Architekturgeschichte und Schulentwicklung gleichermaßen berücksichtigt – und damit ein nachhaltiges Bewusstsein für die historische Identität dieser Stadt schafft.
Von Andreas Raffeiner
Alois Dissertori (Hrsg., in Zusammenhang mit dem Südtiroler Kulturinstitut), Schlösser, Rathäuser, Ansitze und Schulen in der Stadtgemeinde Bruneck, Innsbruck 2005.






