Alte Tirolensien neu gelesen (Teil 56)

Ausbildung, Theologie und Heimatverbundenheit
Der renommierte Kirchenhistoriker Josef Gelmi schildert ausführlich Golsers Kindheit in Tscherms, seine Schulzeit im Knabenseminar und sein Theologiestudium in Rom, Brüssel und Löwen. Seine akademischen Arbeiten, insbesondere seine Dissertation über den Gewissensbegriff, zeigen einen tiefgründigen und sensiblen Moraltheologen, der den Menschen in seinem innersten Ringen ernst nahm. Trotz seiner internationalen Ausbildung kehrte Golser immer wieder gerne in seine Heimatdiözese zurück – ein Zeichen seiner tiefen Verwurzelung. Seine Tätigkeit in der Glaubenskongregation, seine Professur in Brixen und sein Einsatz für soziale und ökologische Gerechtigkeit unterstreichen, dass er auch weltkirchliche Verantwortung übernommen hat, dabei aber immer seinen Blick auf das Konkrete und vor allem auf den Menschen bewahrt hat.
Als Bischof Vermittler und Gesellschaft
Mit großer Sorgfalt skizziert Gelmi die Zeit von der Bischofsernennung Golsers im Jahr 2008 bis zu seinem krankheitsbedingten Rücktritt drei Jahre später. Es war eine kurze, aber wirkungsvolle Amtszeit. Golser verstand sich als Brückenbauer – zwischen Volkskirche und moderner Gesellschaft, zwischen Tradition und Reform, zwischen den drei Sprachgruppen Südtirols. Seine Stellungnahmen zu gesellschaftlichen Fragen wie Zölibat, Frauen in der Kirche, Missbrauch oder Ökologie zeugen von Offenheit und Dialogbereitschaft. Besonders hervorzugeben ist seine pastorale Nähe: Er pflegte den Kontakt zu den Gläubigen, zeigte Präsenz bei Wallfahrten und meldete sich regelmäßig in Hirtenbriefen zu Wort.
Vom Rücktritt zum Zeugnis – Leiden als gelebte Theologie
Der dritte Teil des Buches ist der wohl der bewegendste. Nach der Diagnose Parkinson trat Bischof Karl Golser von seinem Amt zurück. Doch Gelmi beschreibt eindrücklich, wie aus dem ehemaligen Oberhirten der Diözese Bozen-Brixen ein „Confessor“ wurde – ein Leidender, der durch seine Krankheit hindurch Zeugnis für den Glauben ablegte. Seine letzten Jahre, die von Stille, Gebet und Leiden geprägt waren, machten ihn zu einem spirituellen Vorbild. Eine besondere Würde liegt in der Darstellung seiner letzten Jahre – getragen von einem kleinen Kreis vertrauter Menschen, geprägt von innerem Frieden und Demut. Das geistliche Testament, die Stiftung und das Grabmal zeigen, dass sein Wirken über den Tod hinaus wirkt.
Fazit
Josef Gelmi gelingt mit dieser Biografie ein würdiges, differenziertes und bewegendes Porträt eines außergewöhnlichen Kirchenmannes. Die Sprache bleibt sachlich und respektvoll, die Gliederung ist klar, die Darstellung quellenreich. Besonders lobenswert ist, dass Gelmi nicht nur Stationen, sondern auch Zusammenhänge, Haltungen und geistige Entwicklungen aufzählt und sichtbar macht.
Von Andreas Raffeiner
Josef Gelmi, Leben und Wirken von Bischof Karl Golser (1943-2016). „Vom Professor zum Confessor“, Brixen 2019.






