Von der Leyens Impf-Deal: SMS-Skandal eskaliert

Es ist ein Urteil mit Sprengkraft, das der Europäische Gerichtshof in Luxemburg diese Woche fällen könnte: Im sogenannten „Pfizergate“-Skandal steht keine Geringere als EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen im Mittelpunkt – wegen verschwiegener SMS-Korrespondenz mit dem Pfizer-Chef Albert Bourla. Der Vorwurf: Missachtung fundamentaler Transparenzregeln bei einem der größten Impfstoffdeals der Geschichte.
Was sich zunächst wie eine technische Frage anhört – ob Textnachrichten als offizielle EU-Dokumente gelten – entpuppt sich bei näherer Betrachtung als politischer Flächenbrand. Denn es geht nicht nur um fehlende Akten. Es geht um das Vertrauen der Bürger in die Integrität jener Institutionen, die sich selbst als Hüter der europäischen Werte verstehen.
Geheimverträge in der größten Gesundheitskrise unserer Zeit?
Die Chronologie ist bekannt: Im Mai 2021 sicherte sich die EU-Kommission unter von der Leyens Führung bis zu 1,8 Milliarden Dosen des Pfizer/BioNTech-Impfstoffs. Die Verhandlungen – so berichtete The New York Times – fanden zum Teil auf informellem Wege per SMS zwischen von der Leyen und Bourla statt. Das Problem: Diese Nachrichten wurden nicht archiviert. Sie sind verschwunden. Und die Kommission will sie bis heute nicht herausrücken – wenn sie denn überhaupt noch existieren.
Das ist mehr als ein verwaltungstechnisches Versäumnis. Das ist eine demokratiepolitische Zumutung.
Richter in Rage – und eine Kommission im Ausweichmodus
Was sich im Gerichtssaal in Luxemburg abspielte, ließ tief blicken. Richter stellten unbequeme Fragen: Wurde das Handy der Kommissionspräsidentin überprüft? Gab es überhaupt eine ernsthafte Suche nach den Nachrichten? Die Reaktionen der Kommission: ausweichend, vage, fast schon provokant desinteressiert.
Richter wie Paul Nihoul sprachen von einem „verwirrenden Dossier“, Kollegen warfen der Kommission vor, ihrer Pflicht zur Aufklärung nicht im Geringsten nachgekommen zu sein. Das allein ist ein Skandal. Noch skandalöser ist, dass von der Leyen nicht einmal zur öffentlichen Anhörung erschien – und damit die von der EU so oft beschworene Rechenschaftspflicht ad absurdum führte.
Europa verliert sein moralisches Fundament
Die EU-Kommission pocht gerne auf Recht und Ordnung – gegenüber Mitgliedsstaaten, gegenüber Konzernen, gegenüber Bürgern. Doch wenn die Spitze der Kommission selbst die Regeln dehnt, untergräbt sie damit jede moralische Autorität. Was bleibt von der Glaubwürdigkeit, wenn ausgerechnet jene Institution, die Transparenz einfordert, im entscheidenden Moment im Dunkeln bleibt?
Auch die EU-Bürgerbeauftragte Emily O’Reilly sprach bereits 2022 von „Maladministration“. Doch es blieb bei Appellen. Jetzt, mit dem Urteil des EuGH und den laufenden Ermittlungen der EU-Staatsanwaltschaft, droht ein neuer Tiefpunkt: der Eindruck, dass in Brüssel ein Machtapparat herrscht, der sich selbst entzieht – juristisch wie moralisch.
Ein Präzedenzfall – oder der Beginn der Aufarbeitung?
Sollte der Gerichtshof entscheiden, dass auch Kurznachrichten unter die Dokumentationspflicht fallen, wäre das ein dringend nötiges Signal: Transparenz ist keine Option – sie ist Verpflichtung. Gerade dann, wenn Entscheidungen Milliarden Euro und Millionen Menschen betreffen.
Doch der Schaden ist bereits angerichtet. Von der Leyen hat ihre zweite Amtszeit unter einem Schatten begonnen, der sich nicht so leicht abschütteln lässt. Und Europa steht vor einer unangenehmen Frage: Wer kontrolliert eigentlich die Kontrolleure?
Pfizergate ist kein Einzelfall. Es ist Symptom eines tiefer liegenden Problems: eines Europas, das Transparenz predigt, dann aber schweigt. Jetzt liegt es am Gerichtshof – und letztlich auch an den Bürgern –, ob dieses Schweigen weiter hingenommen wird. Oder ob aus dem Skandal ein Weckruf wird. Für eine ehrliche, transparente und rechenschaftspflichtige EU.






