Alpini, Fascholieder und das große Schweigen aus Südtirol

Die Bilder und Videos aus Biella lassen keinen Zweifel zu: Eine Gruppe feiert dort nicht Tradition oder Kameradschaft, sondern trällert offen ein Lied, das zur Symbolik der faschistischen Kolonialverbrechen gehört – mitten im Jahr 2025. „Faccetta Nera“, das einst die Invasion Äthiopiens durch Mussolinis Truppen begleitete, wurde nicht aus Versehen oder Unwissen gesungen. Wer es anstimmt, weiß, was er tut.
Südtiroler Präsident schweigt
Pasquale D’Ambrosio, Präsident der Alpini-Sektion Südtirol, wurde von UT24 direkt mit dem Vorfall konfrontiert. Wir haben ihm die Gelegenheit gegeben, Stellung zu beziehen – sich klar zu distanzieren, das Geschehene einzuordnen oder sich zumindest vom Liedgut aus der Mussolini-Zeit zu distanzieren. Doch was kam? Gar nichts. Kein Kommentar, kein Bedauern, nicht einmal ein laues „man müsse die Hintergründe klären“.
Dieses Schweigen spricht Bände. Offenbar empfindet man es in bestimmten Kreisen nicht als notwendig, auf faschistische Provokationen auch nur mit einem Wort zu reagieren. Oder schlimmer: Man will es nicht. Wer zu einem Lied wie „Faccetta Nera“ nichts zu sagen hat, sollte sich fragen lassen, welchen historischen Geist er in seiner Organisation duldet – oder womöglich sogar pflegt.
Ein Landesrat singt Loblieder
Noch bedenklicher ist das Verhalten eines Mitglieds der Landesregierung: Christian Bianchi, seines Zeichens Landesrat, war in Biella mittendrin statt nur dabei. Und obwohl er die Veranstaltung mit eigenen Augen gesehen hat, verliert er in seinem öffentlichen Rückblick kein einziges Wort über den Skandal, der das Treffen überschattet hat.
Im Gegenteil: Auf seiner Facebook-Seite überschlägt sich Bianchi mit Komplimenten. Von einem „großen Moment des Alpini-Stolzes“ ist da die Rede, von Freude, Tradition, Anerkennung. Worte, wie man sie sonst von offiziellen Festansprachen kennt – glatt, euphorisch, kritiklos. Kein Hinweis auf die faschistischen Gesänge, keine Einordnung, keine Klarstellung, kein Bekenntnis zu demokratischen Werten.
Man muss sich die Frage stellen: Hat ein Landesrat, der eine derartige Verharmlosung mitträgt – durch Schweigen oder bewusste Auslassung –, seinen politischen Kompass verloren? Oder ist es schlicht die Angst, sich bei den „Traditionsbewahrern“ unbeliebt zu machen?
Während die einen das Lied singen, tun andere so, als hätten sie es nie gehört. Aber: Auch Wegschauen ist eine Form der Haltung. Und manchmal die gefährlichste.
Alpini – Traditionsvereinigung mit Schatten
Dabei ist es keine neue Erkenntnis, dass die Geschichte der Alpini auch düstere Kapitel kennt. Im sogenannten Abessinienkrieg (1935–36) waren Alpini-Einheiten aktiv beteiligt an der Invasion Äthiopiens. Dokumentiert ist der Einsatz von Giftgas, Arsen, Granaten und Flammenwerfern – ein Vernichtungsfeldzug, für den sich Italien nie ernsthaft entschuldigt hat. Während andere Staaten ihre historischen Altlasten aufarbeiten, feiert man hier ein Selbstbild aus Heldenmut und Tradition – scheinbar ohne Platz für Reflexion.
Diese Geschichtsblindheit zeigt sich auch in Südtirol: Am Allerseelentag 2024 legten die Alpini einen Kranz am sogenannten Kapuziner-Wastl in Bruneck nieder – einem Denkmal, das einst dem faschistischen Alpini-Regiment „Val Pusteria“ gewidmet wurde und heute nicht zu Unrecht als „Denkmal der Schande“ gilt (UT24 hat berichtet). Auch hier: keine kritische Auseinandersetzung, keine Kontextualisierung, keine Spur von Demut. Stattdessen: Gedenken, als wäre nichts gewesen.
Dass eine derart belastete Traditionsbewegung alljährlich ein Massenereignis zelebriert, zu dem hunderttausende anreisen, wäre in Deutschland undenkbar.
Man stelle sich vor, Veteranen ehemaliger Wehrmachtseinheiten würden in deutschen Städten durch die Straßen marschieren – begleitet von Kranzniederlegungen, Marschmusik und nationalpatriotischem Pathos – und mittendrin ertönt ein Lied wie „Erika“ oder gar das Horst-Wessel-Lied. Der Aufschrei wäre gewaltig – und völlig berechtigt.
In Italien hingegen scheint man mit den Schatten der Vergangenheit anders umzugehen: Man feiert sie – oder tut so, als gäbe es sie nicht.
Was bleibt?
Was bleibt, ist ein schaler Beigeschmack – und ein Schweigen, das lauter klingt als jedes Lied. Die Verantwortlichen in Südtirol, sowohl aus dem Verband als auch aus der Politik, scheinen auf Tauchstation gegangen zu sein. Kein Wort der Verurteilung, keine klare Distanzierung, kein Aufarbeiten – stattdessen betretenes Wegsehen, als hätte das alles mit ihnen nichts zu tun.
Dabei wäre gerade jetzt ein unmissverständliches Zeichen gefragt gewesen. Eine klare Abgrenzung von allem, was auch nur im Entferntesten an faschistische Ideologie erinnert. Denn das Singen von „Faccetta Nera“ ist kein Kavaliersdelikt, keine folkloristische Randnotiz. Es ist ein gezielter Akt der Provokation – gegen Demokratie, gegen Geschichtsbewusstsein und gegen all jene, die im 20. Jahrhundert unter den faschistischen Diktaturen gelitten haben.
Politiker und Verbandsfunktionäre tragen Verantwortung. Moralische Verantwortung. Wer sich in der Öffentlichkeit inszeniert – mit Schärpe, Uniform oder Amt –, der steht in der Pflicht, Haltung zu zeigen. Gerade dort, wo andere anfangen, in die Vergangenheit zu verklären, statt aus ihr zu lernen.
Dass diese Verantwortung nicht wahrgenommen wurde, ist enttäuschend – und gefährlich. Denn wer den Mund hält, wenn Faschismus verharmlost wird, macht sich am Ende mitverantwortlich. Die Geschichte hat das schon einmal gezeigt. Es wäre an der Zeit, daraus zu lernen. Auch – oder gerade – in Südtirol.






