von Alexander Wurzer 14.05.2025 08:15 Uhr

„Wie ein beleidigtes Kind“? Faktencheck zur Autonomie-Reform

Letzte Woche ließen SVP-Landessekretär Harald Stauder und SVP-Landesgeschäftsführer Martin Karl Pircher kein gutes Haar an Heimatbund und Süd-Tiroler Freiheit. In einer gemeinsamen Aussendung warfen sie den Beiden mangelnde Reife, fehlende Verantwortung und destruktives Verhalten vor.

Foto: LPA/Barbara Franzelin

Wörtlich hieß es, die STF verhalte sich „wie ein beleidigtes Kind, das nicht mehr von seinem Baum runter kommen wolle oder könne“. Man wolle offenbar lieber das Problem sein als Teil der Lösung. Hintergrund dieser scharfen Worte war die Debatte rund um die geplante Autonomiereform, die Ende April im Landtag beraten wurde und nun nach Rom weitergeht.

Doch wie berechtigt ist diese SVP-Schelte wirklich? Wer hat wann konstruktiv mitgearbeitet, wer hat sich tatsächlich verweigert? Ein chronologischer Faktencheck zeigt: Die Aussagen von Stauder und Pircher halten einer sachlichen Prüfung nicht stand. Heimatbund und Süd-Tiroler Freiheit haben sich frühzeitig für eine ehrliche Reform stark gemacht. Ihre Kritik ist nicht Ausdruck von Trotz, sondern basiert auf Fakten und völkerrechtlichen Bedenken.

Autonomiekonvent: Kritiker wollten mehr Autonomie, nicht weniger

Zu Beginn der Debatte um eine neue Südtirol-Autonomie steht der Autonomiekonvent 2016/17. Entgegen der Darstellung von SVP-Vertretern waren der Südtiroler Heimatbund und die Bewegung Süd-Tiroler Freiheit damals nicht reformfeindlich – im Gegenteil. Sie mobilisierten ihre Anhänger im Bürgerforum aktiv mitzugestalten. Somit war es auch ihr Verdienst, dass Konsens etwa darüber herrschte, staatliche Fesseln zu lösen und Kernrechte zu sichern: So forderte der Konvent u.a. die Abschaffung des Regierungskommissariats und der Region Trentino-Südtirol, die Beibehaltung des ethnischen Proporzes und des muttersprachlichen Unterrichts sowie eine echte Finanz- und Steuerautonomie. Diese Vorschläge zielten auf ein „Autonomiestatut 3.0″, also eine substanzielle Erweiterung der Zuständigkeiten.

Tatsächlich verabschiedete der Konvent einen umfangreichen Abschlussbericht mit Mehrheitsbeschlüssen für einen stärkeren Autonomiestatus. Doch diese Ergebnisse verschwanden danach in einer Schublade, wie die STF Jahre später zynisch anmerkte. Als das Tauziehen um eine Reform endlich Fahrt aufnahm, war die Enttäuschung bei Heimatbund und STF groß, dass ihre konkreten Reformvorschläge ignoriert wurden. SHB-Obmann Roland Lang kritisierte, die Landesregierung habe die im Autonomiekonvent ausgearbeiteten Ideen schlicht ignoriert, obwohl sie eigentlich das Zweite Autonomiestatut erweitern und stärken sollten.

2023: Befürchtungen wachsen – Kuhhandel mit Rom?

Spätestens nach der Parlamentswahl 2022, die in Rom eine Rechtsregierung unter Beteiligung der postfaschistischen Fratelli d’Italia (FdI) an die Macht brachte, mehrten sich die warnenden Stimmen. Die STF sah die Gefahr, dass die SVP für einen schnellen Abschluss inhaltliche Zugeständnisse an Hardliner machen könnte. Ein Name stand exemplarisch dafür: Alessandro Urzì, FdI-Abgeordneter aus Südtirol und jahrzehntelanger Autonomiegegner.

Ausgerechnet Urzì saß in der römischen Verhandlungsdelegation – ein Umstand, der bei der STF für Empörung sorgte. Urzì habe laut Kritikern sogar gefordert, die verpflichtende Zweisprachigkeit im Publikumsverkehr abzuschaffen – eine Kernsäule des Minderheitenschutzes. Eva Klotz, Grande Dame der Süd-Tiroler Freiheit, schlug Alarm. Sie warnte eindringlich vor der „Preisgabe wichtiger Bestimmungen, die für den Schutz der deutschen und ladinischen Bevölkerung im Autonomiestatut festgeschrieben sind“. Klotz erinnerte daran, dass sowohl der Pariser Vertrag von 1946 als auch das Autonomiestatut speziell zum Schutz der Minderheiten geschaffen wurden.

Die italienischsprachige Volksgruppe genieße als Staatsmehrheit automatisch Schutz; die Autonomie-Väter Alfons Benedikter, Peter Brugger und Silvius Magnago hätten sehr genau gewusst, warum sie auf Maßnahmen wie die vierjährige Ansässigkeitsklausel bestanden. Genau diese Schutzklausel geriet nun ins Visier der Verhandler.

2024: Inhalte im Kreuzfeuer – Minderheitenschutz in Gefahr

Im Laufe des Jahres 2024 wurden immer mehr Details der Reformpläne bekannt. Ein zentraler Zankapfel war die offizielle Bezeichnung des Landes. Erstmals sollte der von der faschistischen Vergangenheit geprägte Begriff „Alto Adige“ auch im deutschen Sprachgebrauch festgeschrieben werden. Aus „Südtirol“ würde künftig amtlich „Südtirol/Alto Adige“ – selbst in deutschen Texten. Sprachwissenschaftler und Altpolitiker warnten eindringlich: Der Name des Landes würde im Deutschen untrennbar mit „Alto Adige“ gekoppelt.

Zugleich sah der Reformentwurf vor, die Ansässigkeitsdauer für das Wahlrecht von vier auf nur zwei Jahre zu reduzieren. Dadurch könnten Neubürger weit schneller mitbestimmen. Diese Klausel wurde einst bewusst als Minderheitenschutz eingeführt. Eine Halbierung der Frist werteten Heimatbund und STF daher als gefährlichen Dammbruch. Weitere Kritikpunkte betrafen die Regierungs- und Verwaltungszusammensetzung. Der ethnische Proporz drohte aufgeweicht zu werden.

Verhandlungsergebnis 2025: Reform oder "Reförmchen"?

Im Frühjahr 2025 lag das ausgehandelte Reformpaket auf dem Tisch. Die SVP-Spitze feierte es als Erfolg und sprach von einem historischen Schritt. Doch ein großer Teil der Öffentlichkeit zeigte sich ernüchtert. Der Heimatbund protestierte landesweit, die STF sprach von einem „Reförmchen“. Viele substanzielle Forderungen blieben unerfüllt: etwa Steuerhoheit, echte Einvernehmensklauseln und internationale Absicherung der Autonomie.

Rechtsgutachten belegten zudem, dass wichtige Bestimmungen abgeschwächt wurden und Rom weiterhin in autonome Regelungen eingreifen kann. Die Reform wurde sogar von italienischen Autonomiegegnern gefeiert. Dass ausgerechnet Fratelli d’Italia das Paket als Erfolg bezeichnete, unterstrich die Sorgen der Kritiker.

Kritik ist berechtigt

Die chronologische Aufarbeitung zeigt klar: Die Vorwürfe von Harald Stauder und Martin Pircher entbehren der Grundlage. Weder fehlte Heimatbund und Süd-Tiroler Freiheit der Wille zu Reformen, noch mangelte es ihnen an konstruktiven Beiträgen. Vom Autonomiekonvent bis heute haben sie zahlreiche konkrete Vorschläge eingebracht. Unreif oder verantwortungslos war es nicht, immer wieder die Einhaltung von Schutzklauseln anzumahnen. Im Gegenteil: Die Opposition handelte im Sinne jener Vorsicht, die Silvius Magnago schon 1969 empfahl.

Die Faktenlage untermauert die Kritikpunkte der letzten Jahre. Objektive Gutachten belegen Schwachstellen der Reform, und zentrale Forderungen aus der Südtiroler Bevölkerung blieben unerfüllt. Wenn SVP-Funktionäre der STF und dem Heimatbund nun pauschal „jegliche autonomiepolitische Reife“ absprechen, läuft das an der Realität vorbei. Sachlich und chronologisch betrachtet waren die Warnungen vor einem Reförmchen vollauf berechtigt. Die Opposition hat – anders als von Stauder behauptet – nicht nur „im Scheinwerferlicht stehen“ wollen, sondern bis zuletzt versucht, Südtirol vor einem Rückschritt zu bewahren. Die Bilanz des Reformpakets 2025 gibt ihnen in vielen Punkten Recht.

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