von ag 13.05.2025 14:00 Uhr

Zwischen Wirtschaftsmotor und Überlastung: Südtirols Tourismus in der Krise

Südtirol lebt vom Tourismus – das ist unbestritten. Doch was passiert, wenn aus nachhaltigem Reisen ein Massentourismus wird, der Natur, Bevölkerung und Heimatgefühl zunehmend belastet? Während die Besucherzahlen steigen, wächst auch die Sorge um die Zukunft unseres Landes. Verschiedenste Werbestrategien für Südtirol werfen die Frage auf: Locken wir damit noch mehr Menschen an – oder muss ein neuer Weg angedacht werden, der Gäste und Einheimische gleichermaßen glücklich macht?

Bild von vaiunruh auf Pixabay

Der Tourismus ist das wirtschaftliche Rückgrat Südtirols, doch die steigenden Besucherzahlen hinterlassen Spuren. Überfüllte Wanderwege, Verkehrschaos und eine zunehmende Belastung für Natur und Bevölkerung sorgen für Diskussionen.

Um Antworten und Meinungen einzuholen, hat UT24 den Heimatpflegeverband Südtirol (HPV) kontaktiert. Südtirols Umwelt- und Kulturlandschaft sei laut dem Verband bereits überschlossen worden. Die einheimische Bevölkerung leide unter Preissteigerungen, Überfüllung, Verkehr und Verlärmung. Thomas Benedikter, Wirtschaftswissenschaftler und Lehrbeauftragter der Univ. Bozen findet klare Antworten.

UnserTirol24: Herr Benedikter, ist Südtirol in Sachen Tourismus am Limit?

Thomas Benedikter, Heimatpflegeverband Südtirol: Südtirol ist als tourismusintensivste Region der Zentralalpen seit geraumer Zeit schon jenseits der Grenzen der touristischen Belastbarkeit angelangt. Eine markante Zahl, die die Tourismusintensität ausdrückt: mit 8,4 Mio. Gästeankünften und 37 Mio. Übernachtungen weist Südtirol über 60% der in der ganzen Schweiz gezählten Übernachtungen in Hotellerie und Parahotellerie auf, einem Land mit 9 Millionen Einwohnern. Die touristische Überbelastung drückt sich in vielfacher Hinsicht aus, vor allem beim Verkehr, bei Verbauung und Bodenverbrauch, bei der Steigerung der Lebenshaltungskosten, beim Preisauftrieb bei Immobilien, bei der Überfüllung des ÖPNV in der Hochsaison, beim Wasserverbrauch, beim Abfallaufkommen u.a.m. Südtirol stößt mit der touristischen Überbelastung immer mehr an Systemgrenzen. Ein Beispiel: 26% des gesamten Verkehrs auf Südtirols Straßen sind im Jahresdurchschnitt touristischer Freizeitverkehr, den touristischen PKW-Transit auf der Autobahn nicht mitgezählt. Ein weiteres Beispiel: es gibt gar nicht mehr ausreichend ansässiges Personal, um die Saisonsjobs zu besetzen.

UT24: Berge und Natur leiden unter dem Massenandrang. Welche konkreten Schäden verursacht der Massentourismus an Südtirols Bergen, Wäldern und Seen? Gibt es Daten oder Studien dazu?

Benedikter: Unsere Natur- und Kulturlandschaft ist für touristische Zwecke übererschlossen worden. Es gibt heute 369 Aufstiegsanlagen im Land, weitere 14-15 sind in Planung. Die Natur leidet dabei nicht nur in den sog. Hotspots, sondern auch indirekt, wenn ganze Gebiete mit unerträglichem Lärm überzogen werden. Die Luftverschmutzung durch den Verkehr trifft eher die Städte, die Bevölkerung. Wer unter der touristischen Überbelastung am meisten leidet, sind nicht die Berge als solche, sondern wir, die einheimische Bevölkerung. Wir leiden unter der Überfüllung, unter dem überbordenden Verkehr, unter der Verlärmung der Passstraßen, unter der Verdrängung vom Mietwohnungsmarkt durch touristische Kurzzeitvermietung, unter der Verbauung schönster Landschaften durch riesige Wellness-Tempel. Laut einer Studie der Universität Bozen von 2023 nimmt die klare Mehrheit der Bevölkerung den Tourismus in Südtirol in mindestens drei Bereichen als negativ oder sehr negativ wahr: bei den Lebenshaltungskosten, den Immobilienpreisen und beim Verkehr.

UT24: Wie steht der HPV zu touristischen Werbestrategien? Besteht die Gefahr noch mehr Leute anzulocken?

Benedikter: Ganz allgemein wird mit der Tourismuswerbung in Südtirol übertrieben. Die steuerfinanzierte Standortbewerbung der IDM ist in diesem Umfang nicht mehr nötig, wenn Südtirol als Destination und Marke längst schon in ganz Europa zur Genüge bekannt ist und wir Übertourismus haben. Dazu kommt die Werbetätigkeit der Tourismusverbände und der Einzelbetriebe. Mit überzogener Werbung auf social media hat man auch den Ultrakurzzeit-Tourismus provoziert. Natürlich geht es der Tourismusindustrie um die Bearbeitung neuer Märkte und um die Steigerung der Ankünfte. Doch weil wir schon längst unter Übertourismus leiden, sollte die Werbung zurückgefahren werden.

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