von rem 12.05.2025 12:30 Uhr

Die Grenzziehung zwischen Österreich und Italien nach dem Ersten Weltkrieg

Dieser Text behandelt die Arbeit des österreichisch-italienischen Grenzregelungsausschusses, der nach dem Ersten Weltkrieg die neue Staatsgrenze zwischen Österreich und Italien festlegte. Im Fokus stehen der organisatorische Aufbau, das konkrete Verfahren der Grenzziehung sowie die Herausforderungen bei der Umsetzung der im Vertrag von Saint-Germain festgelegten Grenzlinie.

Die Grenzsteinsetzung am Brenner (Quelle: „Als Tirol geteilt wurde“)

Der Grenzregelungsausschuss

Die konkrete Umsetzung der abstrakten und zuweilen sehr ungenauen Festlegung der neuen Grenze im Friedensvertrag von Saint-Germain erfolgte durch den Grenzregelungsausschuss.

Es soll zunächst auf den Aufbau, die Aufgaben und die Arbeitsweise dieses Ausschusses eingegangen werden, der mit dieser schwierigen Aufgabe betraut wurde.

Anschließend sollen das Grenzziehungsverfahren und damit einhergehende Weisungen an die zuständigen Personen genauer in Augenschein genommen werden.

Aufbau und Arbeitsweise des Grenzregelungsausschusses

Die Botschafterkonferenz in Paris, die im Jahre 1919 gegründet wurde, bildete die oberste Instanz nach dem Ersten Weltkrieg und war damit beauftragt, die im Vertrag von Saint-Germain festgelegten Grenzen und Friedensmaßnahmen zu koordinieren. Sie war als internationale Institution für die Nachkriegsordnung in Europa zuständig und war den internationalen Grenzregelungsausschüssen direkt übergeordnet.

Die Grenzregelungsausschüsse waren die handelnden Organe für die neuen Grenzziehungen innerhalb Europas. Sie hatten die Pflicht, die Grenze nach Vorlage des Vertrags zu bestimmen, waren aber dort, wo die Vorgaben sehr allgemein und unspezifisch waren oder sich unvorhergesehene Probleme herausstellten, dazu ermächtigt, die Grenzlinie selbstständig und nach eigenem Ermessen festzulegen.

Im Vertrag von Saint-Germain wurde die Gründung des Grenzregelungsausschusses zur Festlegung der neuen Grenze zwischen Österreich und Italien in Artikel 29 festgehalten:

„Den Grenzregelungsausschüssen […] obliegt es unter tunlichster Berücksichtigung der politischen Grenzen und der örtlichen wirtschaftlichen Interessen den in den Verträgen gegebenen Festlegungen nach Möglichkeit zu folgen. Die Ausschüsse entscheiden mit Stimmenmehrheit. Ihre Entscheidungen sind für die Beteiligten bindend. Die Kosten der Grenzregelungsausschüsse werden zu gleichen Teilen von den beiden beteiligten Staaten getragen.“

Angesichts des Drucks zur schnellen Umsetzung der Grenzfestlegung erwiesen sich die vagen Vorgaben als schwer umsetzbar und führten zu einem unverhältnismäßig hohen Arbeitsaufwand.

Der österreichisch-italienische Grenzregelungsausschuss bestand aus fünf militärischen Delegationen – darunter die zwei interessierten Länder Österreich und Italien und drei nicht-interessierte Länder (Frankreich, England und Japan).

Grenzziehungsverfahren

Unzählige Weisungen an die Unterkommissäre, die kontinuierlich aktualisiert und erweitert wurden, sollten eine schnelle und einheitliche Arbeit an der Festlegung der verschiedenen Grenzabschnitte garantieren. Trotzdem kam es nicht selten zu verschiedenen Problematiken, die mit einer Verzögerung der Arbeiten einhergingen.

Die Arbeit des österreichisch-italienischen Grenzregelungsausschusses dauerte insgesamt über 4 Jahre – von 1920 bis 1924. In dieser Zeit wurde die Grenzlinie bestimmt, vermarkt und kartographiert.

Am 22. Oktober 1922 wurde aufgrund immer wieder auftretender Unsicherheiten abermals eine Weisung zur grafischen Aufnahme, numerischen Bestimmung und Beschreibung der Grenzsteine an die österreichischen Unterkommissäre geschickt. Obwohl nun all diese Punkte dem gleichen Zweck dienten, nämlich jenem, die Standorte der Grenzzeichen so genau wie möglich zu beschreiben, kam es wohl immer wieder zu Fehlern und Unsicherheiten hinsichtlich dieser Beschreibungen.

Nachfolgend soll zum besseren Verständnis ein Beispiel der Beschreibung eines Grenzpunktes im Abschnitt e am Brenner angeführt werden. Hier wird ersichtlich, dass der Standort jedes Grenzzeichens sowie die Grenzlinie zwischen zwei Grenzzeichen genau festgehalten wurde:

„Das Gz. e-39 befindet sich auf dem steilen, bewaldeten Hange, der vom Kerschbaumerberge (Mte. Ceresara) zum Weiler Kerschbaum (Österr.) fällt. […] Die Grenzlinie zwischen beiden Gz. ist durch ihre gerade Verbindung bestimmt. Sie verläuft in allgemeiner Richtung N.S. […] mit Heidelbeersträuchern bedeckt. […]“

So wurde neben der genauen Bestimmung der Koordinaten auch die Umgebung und das Terrain rund um die Grenzzeichen sowie zwischen zwei Zeichen beschrieben. Die Richtung, in der sich die beiden nächsten Grenzzeichen befanden, wurde zusätzlich mittels Pfeilen, die in die Grenzsteine eingemeißelt wurden, eingezeichnet.

  • Vermessungsarbeiten am Klockerkarkopf, den Ettore Tolomei „Vetta d’Italia“ (nördlichster Punkt Italiens) taufte (Quelle: „Als Tirol geteilt wurde“)
  • Der Klockerkarkopf auf einer historischen Karte (Quelle: „Als Tirol geteilt wurde“)

Herausforderungen während der Grenzziehung

Während der Grenzziehung stieß der Grenzregelungsausschuss immer wieder auf verschiedene Probleme und Schwierigkeiten, die die Arbeiten verzögert und teilweise erschwert haben. Darüber hinaus hatte die österreichische Delegation aber auch mit allgemeinen Herausforderungen wie den knappen finanziellen Mitteln und den schwierigen Arbeitsbedingungen im Hochgebirge zu kämpfen.

Die vorgezeichneten Grenzen des Vertrags von Saint-Germain entsprachen in mehreren Fällen nicht den wirtschaftlichen Interessen der Gemeinden, wodurch die Arbeiten der Grenzregelungskommission oft sehr schwierig und langwierig waren.

Am Ende nützen diese Bemühungen den meisten Grenzgemeinden und -bewohnern aber nicht viel, denn die Wünsche der Einwohner wurden meist nicht respektiert. Das Wohl des Einzelnen war meist weniger wert als das Interesse eines ganzen Landes.

Aus dem Buch: Als Tirol geteilt wurde –  Die Grenzziehung nach 1920 – Herausgeber Efrem Oberlechner

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