Mehr als Staub, Stahl und Seele – Rallye-Pilot Bernd Zanon im UT24-Interview

Herr Zanon, wie hat bei Ihnen alles angefangen?
Die Liebe zu Autos wurde mir quasi in die Wiege gelegt. Mein Großvater war der erste Mechaniker im Eggental, mein Vater Karosseriebauer – ich bin mit Motoren aufgewachsen. Die Rennen im Fernsehen taten ihr Übriges. Der Rallyesport hat mich sofort mehr fasziniert als andere Motorsportarten, weil es direkt ums Fahren geht – auf wechselnden Untergründen, bei jedem Wetter.
Wie viel Strategie steckt wirklich im Rallyesport?
Sehr viel. Es geht nicht nur um Geschwindigkeit, sondern auch um das richtige Maß an Risiko. Man muss die Strecke, das Wetter, die Gegner und den Zustand des Autos im Auge behalten. Oft entscheidet man schon vor dem Start, ob man offensiv fährt oder abwartet. Und auch selbst während des Rennens muss man ständig taktisch reagieren.
Was gehört zur mentalen Vorbereitung?
Wichtig ist die Abstimmung mit dem Co-Piloten. Die Chemie muss stimmen – das macht 70 Prozent des Erfolgs aus. Nur wenn man sich blind versteht, kann man wirklich schnell sein. Dazu kommen die technische Vorbereitung und eine klare Aufgabenverteilung im Team. Rallye ist ein Mannschaftssport, kein Solo-Akt.
Welche körperlichen Herausforderungen werden unterschätzt?
Definitiv die Temperaturen: Im Sommer wird es im Auto bis zu 70 Grad heiß – mit feuerfester Kleidung, Helm und allem Drum und Dran. Dazu kommen die Fliehkräfte, die Vibrationen und die ständige Konzentration. Wir trinken oft 5 bis 6 Liter Wasser am Tag, ohne ein einziges Mal auf die Toilette zu gehen.
Wie funktioniert die Kommunikation mit dem Beifahrer?
Jedes Team hat sein eigenes Kommunikationssystem. Wir benutzen Zahlen und Kürzel, um Kurven, Entfernungen und Gefahrenstellen zu beschreiben. Alles muss blitzschnell gehen. Nach vielen Jahren kennt mein Co-Pilot meine Denkweise – das spart Zeit und minimiert Fehler. Auch die persönliche Bindung hilft, den Stress zu ertragen.
Wie halten Sie sich fit?
Neben Familie und Beruf bleibt wenig Zeit zum Trainieren. Aber ich bin viel in der Natur: Wandern, Radfahren, Skifahren, Langlaufen. Das hilft, die Grundfitness zu erhalten und mental runterzukommen.
Gab es Entscheidungen, die den Rennverlauf komplett verändert haben?
Auf jeden Fall. Rallyes sind unberechenbar. Technik, Wetter, Strecke – alles kann sich innerhalb von Sekunden ändern. Manchmal muss man mitten im Rennen die Strategie ändern. Wir haben schon Rennen durch mutige Entscheidungen gewonnen, aber auch einige durch falsche verloren.
Was waren Ihre größten Erfolge bisher?
Über 120 Rennen, rund 80 Podestplätze, über 40 Klassensiege. Besonders stolz bin ich auf das Jahr 2022: Da holten wir den Gesamtsieg im Alpe Adria Cup und in der S1600-Klasse die italienische Meisterschaft, beides mit unserem Renault Clio S1600. Eigentlich wollten wir nur testen, am Ende haben wir alles gewonnen.
Wie verändert sich der Rallyesport technisch, auch im Hinblick auf die Digitalisierung?
Die Fahrzeuge selbst sind vergleichsweise „analog“, aber in Sachen Sicherheit und Kommunikation tut sich viel. Jedes Auto hat heute GPS – bei einem Unfall kann ärztliche Hilfe angefordert oder bei der Rennleitung Entwarnung gegeben werden. Das erhöht die Sicherheit enorm.
Gab es auch Rückschläge?
Ja, die gab es. Der schlimmste war im Juni 2024: Wir sind mit etwa 100 km/h gegen einen Felsen gefahren. Ursache war ein Defekt am Bremspedal. Ich habe mir mehrere Brüche zugezogen, auch an der Wirbelsäule. Zum Glück heilt alles gut, das Metall muss demnächst noch aus meinem Körper entfernt werden. Der Unfall war ein harter Schlag, aber kein Grund, aufzuhören.
Was treibt Sie immer wieder an?
Die Mischung aus Technik, Adrenalin, Teamarbeit und Naturgewalten. Rallyesport ist wie eine Sucht – aber eine gute. Es ist kein Spiel, sondern eine Lebenseinstellung.
Text und Interview: Andreas Raffeiner






