von red 28.04.2025 17:00 Uhr

Alte Tirolensien neu gelesen (Teil 53)

Das Buch widmet sich umfassend der facettenreichen Persönlichkeit Sigismund Waitz (1864–1941), der als Theologe, Seelsorger, Kirchenpolitiker und Fürsterzbischof eine prägende Figur der katholischen Kirche Österreichs war. Die Beiträge renommierter Wissenschaftler beleuchten Waitz’ Lebensstationen vom Brixner Stadtbürgerkind bis zum Salzburger Fürsterzbischof in Zeiten massiver politisch-kirchlicher Umbrüche. Der Band bietet eine fundierte, historisch und theologisch reich differenzierte Auseinandersetzung mit einem Mann zwischen Tradition und Moderne, konservativer Grundhaltung und kirchlicher Erneuerung. Eine Rezension von Andreas Raffeiner.

Helmut Alexander (Hg.), Sigismund Waitz. Seelsorger, Theologe und Kirchenfürst, Innsbruck/Bozen 2010

Einführung: Waitz – eine komplexe Kirchenpersönlichkeit

Der hier zu rezensierende Sammelband setzt sich mit einer Gestalt auseinander, deren kirchliches Wirken sich über eine Epoche extremer politischer, gesellschaftlicher und theologischer Umbrüche spannt. Herausgeber Helmut Alexander versammelt in der zu besprechenden Publikation Beiträge aus unterschiedlichen wissenschaftlichen Perspektiven, die Waitz’ Wirken in Brixen, Vorarlberg, Innsbruck und Salzburg analysieren – stets im Spannungsfeld von pastoraler Praxis, theologischer Reflexion und politischer Verantwortung.

Kindheit, Ausbildung und erste pastorale Erfahrungen

Hans Heiss eröffnet den Band mit einer sozialhistorischen Studie zur Herkunft von Waitz und seiner Prägung durch das katholisch-bürgerliche Milieu Brixens. Der familiäre Kontext – mit einem Vater als Vorbild in Wissenschaft und Glaube sowie einer Mutterseite mit ausgeprägter kirchlicher Verbindung – legt die Basis für Waitz‘ späteres Engagement. Früh zeigen sich seine Talente als Netzwerker, Modernisierer und öffentlicher Intellektueller.

Seelsorger, Theologe und Sozialethiker

Josef Gelmi zeichnet Waitz’ akademischen und pastoralen Weg bis 1913 nach. Besonders beeindruckend ist dabei die Bandbreite seines Engagements: von der Gemeindepastoral über die Herausgeberschaft bis hin zur theologischen Lehre. Waitz tritt hier als ein früher Sozialethiker hervor, der auf Werke wie die von Biederlack und Schindler zurückgreift, gleichzeitig aber auch als Praktiker der karitativen Arbeit überzeugt.

Kirchliches Engagement im Krieg und Nachkriegszeit

Matthias Rettenwander und Michael Fliri widmen sich dem kirchlichen Handeln Waitz’ während und nach dem Ersten Weltkrieg. Die Rolle als „geistlicher Offizier“ an der Heimatfront, seine seelsorglichen Kriegspredigten sowie seine spätere Tätigkeit als Generalvikar in Vorarlberg zeigen einen Mann, der die Seelsorge als gesellschaftliche Aufgabe versteht. Fliri betont seine organisatorische Kompetenz und seine nachhaltigen Beiträge zum kirchlichen Aufbau.

Diözesanpolitiker und Organisator in Innsbruck-Feldkirch

Helmut Alexanders Beitrag legt den Fokus auf Waitz’ Tätigkeit als Apostolischer Administrator von Innsbruck-Feldkirch. Hier kommt seine strategische Weitsicht zur Geltung: die Sicherung kirchlicher Strukturen, die Gründung von Bildungsinstitutionen und das Ringen um diözesane Eigenständigkeit demonstrieren seine politische Kirchlichkeit.

Kirchliche Kommunikation und ideologische Positionierungen

Manfred Scheuer analysiert die Hirtenworte und kirchenpolitischen Verlautbarungen von Waitz zwischen 1919 und 1938. Besonders die kritische Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus, der Sozialdemokratie und der Rolle der Medien zeichnet Waitz als konservativen, aber keineswegs reaktionären Bischof aus. Er tritt für die sonntägliche Ruhe, christliche Familienideale und eine selbstbewusste katholische Medienpolitik ein.

Frauenorganisation und kirchliche Partizipation

Nina Kogler richtet den Blick auf Waitz’ Verhältnis zur katholischen Frauenbewegung. Seine Unterstützung der Katholischen Frauenorganisation (KFO) zeigt Waitz als jemanden, der kirchliche Laienpartizipation auch auf Geschlechterebene ermöglichte – allerdings innerhalb klarer traditioneller Rollenbilder. Der Beitrag liefert wertvolle Einblicke in die institutionelle Entwicklung der KFO in der Ersten Republik.

Engagement in der Bischofskonferenz und Konkordatsverhandlungen

Michaela Sohn-Kronthaler bietet eine strukturanalytische Darstellung von Waitz’ Rolle innerhalb der Österreichischen Bischofskonferenz. Besonders seine Initiativen zur Sozialen Frage und zur Errichtung eines Konkordats belegen seine herausragende Stellung in der kirchlichen Hierarchie der Zwischenkriegszeit. Sein pragmatischer Katholizismus steht hier im Dienst der kirchlichen Institutionalisierung.

Waitz als Fürsterzbischof unter dem NS-Regime

Alfred Rinnerthaler widmet sich der letzten Lebensphase von Waitz als Salzburger Fürsterzbischof. In seiner Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus zeigt sich Waitz als standhafter Kirchenmann, der sich mit klarem Wort, aber vorsichtiger Diplomatie gegen die Vereinnahmung der Kirche stemmt. Sein Tod 1941 fällt in eine Zeit größter kirchlicher Bedrängnis.

Schlussbetrachtung: Zwischen Tradition und Modernität

Die Konferenzschrift präsentiert Sigismund Waitz als facettenreiche Persönlichkeit, deren Lebenswerk sowohl aus heutiger theologischer als auch historischer Perspektive hohe Relevanz besitzt. Seine Fähigkeit, theologische Reflexion, pastorale Praxis und institutionelle Verantwortung miteinander zu verbinden, macht ihn zu einem exemplarischen Vertreter katholischer Führung im 20. Jahrhundert. Dabei gelingt es dem Band, ideologische Simplifizierungen zu vermeiden und Waitz in seiner ganzen Komplexität zu erfassen.

Fazit

Der Band Sigismund Waitz. Seelsorger, Theologe und Kirchenfürst ist ein gewichtiger Beitrag zur österreichischen Kirchengeschichte. Die Aufsätze überzeugen durch wissenschaftliche Tiefe, stilistische Klarheit und historische Kontextualisierung. Es handelt sich um eine unverzichtbare Lektüre für Kirchenhistoriker, Theologen und Zeithistoriker gleichermaßen.

Von Andreas Raffeiner

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Helmut Alexander (Hg.), Sigismund Waitz. Seelsorger, Theologe und Kirchenfürst, Innsbruck/Bozen 2010.

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