von ag 19.04.2025 13:30 Uhr

Ehrenamt in Gefahr? – UT24 fragt nach

Das Ehrenamt ist ein maßgeblicher Pfeiler unserer Gesellschaft in Südtirol. Ob im Rettungswesen, bei der Freiwilligen Feuerwehr, in sozialen Diensten, in Sportvereinen oder in der Kultur – das Ehrenamt ist allgegenwärtig und von unschätzbarem Wert. In den vergangenen Jahren werden jedoch immer wieder Stimmen des Unmuts laut. Bürokratie, Buchhaltung und Steuerrecht sorgen bei vielen Ehrenamtlichen für Kopfzerbrechen. UT24 hat beim Dienstleistungszentrum für das Ehrenamt Südtirol (DZE) nachgefragt.

Bild von Gianni Crestani auf Pixabay

Ein zentraler Grund für das gut funktionierende Ehrenamt in Südtirol ist die enge Verbundenheit der Menschen mit ihrer Heimat und Gemeinschaft. Viele wachsen schon früh in Vereinen auf, übernehmen Verantwortung und geben später ihre Erfahrungen weiter. Zudem genießen Ehrenamtliche in Südtirol hohe Anerkennung und Unterstützung – sowohl gesellschaftlich als auch politisch. Doch Bürokratie, Buchhaltung und Steuerrecht sorgen bei vielen Ehrenamtlichen zunehmend für Fragezeichen und macht eine gute Arbeit zunehmend schwieriger. Wie steht es um das Ehrenamt in Südtirol. UT24 hat beim DZE nachgefragt.

Das Dienstleistungszentrum für das Ehrenamt (DZE) besteht aus 28 Vereinigungen und Organisationen des Südtiroler Ehrenamts, welches am 28. Dezember 2017 gegründet wurde. Ziel dieses Vereins ist es, als einziges DZE in Südtirol akkreditiert zu werden. Führen sollen es die Mitglieder selbst. Hauptaufgaben liegen vor allem in der rechtlichen Beratung der ehrenamtlichen Vereine sowie im Beistand bei der Gründung von Vereinen wie auch deren konkreten Begleitung bei der Behandlung unterschiedlichster Sachthemen.

Trotz Schwierigkeiten beeindruckende Zahlen

DZE-Direktor Ulrich Seitz kann gegenüber UT24 trotz schwieriger Rahmenbedingungen mit Unsicherheiten zu den Auswirkungen der Reform des Dritten Sektors auf nationaler Ebene, mit Einfluss auch auf Südtirol, der Sportreform und des neuen zu genehmigenden Landesgesetzes zum Ehrenamt mit einem eigenen Landesregister, mit beeindruckenden Zahlen aufwarten: Laut einer Studie des Arbeitsministeriums vom Jänner 2025 gibt es italienweit pro 100.000 Einwohner 203,5 Vereine – in Südtirol sind es mit 433,6 mehr als doppelt so viele. Mit 49 Vereinen führt die Gemeinde Ritten das Südtirol-Ranking an. Neben den 440 Mitgliedsvereinen – mehr als die Hälfte davon im kulturellen und sozialen Sektor tätig – zählt das DZE Südtirol noch 75 Fördermitglieder, die ebenfalls betreut werden. Das Dienstleistungsangebot wurde in den letzten Jahren stetig ausgebaut und an die Bedürfnisse der Mitgliedsvereine angepasst. „Der Fokus liegt auf dem steuerrechtlichen und buchhalterischen Aspekt“, berichtet Seitz, weil hier die Unterstützung am nötigsten sei.

„Knapp 2.200 Beratungen wurden 2024 durchgeführt, zwei Drittel davon online, 20 Prozent nach 17:00 Uhr oder an Freitagen, um Berufstätigen entgegenzukommen. 77 Infoveranstaltungen wurden in den Gemeinden abgehalten, um die Mitglieder auch vor Ort zu erreichen. Insgesamt wurden im Jahre 2024, 51 neue Vereine über das DZE Südtirol auf den Weg gebracht und es scheinen nur knapp 20 Vereine landesweit auf, die im Jahre 2024 ihre Tätigkeiten eingestellt haben. Und hier hauptsächlich nicht aus bürokratischen Dingen, sondern weil es vielmehr Todesfälle oder schwere Krankheiten im Vorstand gegeben hat, die die Weiterführung der Arbeiten nicht mehr sicherstellen konnte“, zeigt der Direktor des DZE auf.

UnserTirol24: Herr Seitz, was sind Ihrer Meinung nach die größten Herausforderungen, mit denen ehrenamtlich geführte Organisationen derzeit konfrontiert sind?

Ulrich Seitz, Direktor des DZE: Was die aktuellen Herausforderungen angeht, steht zuoberst die ausufernde Bürokratie. Viel Kopfzerbrechen bereiten oft die unübersichtlichen Vorgaben bei Beitragsvergaben und Autorisierungen auf Landesebene, Region und Gemeinden. Konkret sind es unterschiedliche Fristen und Prozentsätze, schleppende Digitalisierung, schwerfällige Programme, nicht koordinierte Kontrollen und Kriterien bei der Bewertung der Bilanzen, besonders bei der Anerkennung der Haushaltsabschlüsse, die im Staatlichen Einheitsregister „Runts“ hinterlegt werden. Zudem leiden die Mitgliedsvereine unter der fehlenden Anerkennung der ehrenamtlich geleisteten Stunden und die gesetzlichen Vertreter unter den sehr langen Bearbeitungszeiten bei der Behandlung von Beitragsgesuchen und bei Auszahlungen. Eine sicherlich erhebliche Belastung stellt insgesamt die Digitalisierung dar, die auch in der Vereinswelt Einzug gehalten hat. Besonders die Aktivierung von Spid, PEC und Digitale Unterschrift wird oft von Vereinsgremien als Stressfaktor empfunden.

UT24: Gibt es eine spürbare Zurückhaltung, ehrenamtlicher Leitungen zu vernehmen – vielleicht aus Angst vor Haftung oder Überforderung?

Seitz: Diese Zurückhaltung spürt man seit Jahren, nicht erst seit der Einführung des Kodex des Dritten Sektors im Jahre 2017, sondern vielmehr seit dem famosen Fall „Mathà“ in Andrian. Und dennoch sparen leider immer noch viele Vereine am Versicherungsschutz, obwohl dieser gesetzlich vorgesehen und verankert ist. Sogar Landesbeiträge wurden in den letzten Jahren hierfür aktiviert. Hier gilt es auf jeden Fall bei jenen Abhilfe zu schaffen, die säumig sind. Das Dienstleistungszentrum für das Ehrenamt empfiehlt diesbezüglich, sich gut zu informieren und einen Check durch einen Experten im Verein durchführen zu lassen. Das DZE Südtirol bietet diese Leistungen bereits heute kostenlos an. Schwierig ist die Situation zusehends für gesetzliche Vertreter von Vereinen, die dafür Sorge tragen müssen, eine Art Überbrückung zu garantieren und zwar über Darlehen/Bürgschaften oder ähnlichem, gerade dann wenn zugesagte Beiträge durch die Öffentliche Hand mit erheblicher Verspätung ausbezahlt werden und in der Zwischenzeit Personalkosten oder andere Forderungen abgedeckt werden müssen.

UT24: Gibt es politische Initiativen oder Gespräche mit Entscheidungsträgern, um die Situation zu verbessern?

Seitz: Ja, es gibt einen Austausch mit der Landesregierung und den politischen Vertretern des Landes in Rom. Alle sind darauf gespannt, wieviel über die angekündigte Möglichkeit eines eigenen Landesgesetzes zum Ehrenamt mit eigenem Register zur Erleichterung mancher Vorgaben erreicht werden kann.

Zahlen zum Ehrenamt aus dem abgelaufenen Jahr 2024

  • Es gibt derzeit 218.600 Freiwillige im Ehrenamt in Südtirol. Davon sind 108.000 Menschen in sogar 2 bis 3 Organisationen tätig. 55 Prozent davon sind Männer, 60 Prozent unter 50 Jahre und 75 Prozent davon noch berufstätig.
  • 9 Jahre ist der durchschnittliche Verbleib im Verein, unabhängig vom Geschlecht.
  • 30 Prozent der Führungspositionen in rund 4.300 Vereinen sind weiblich besetzt.
  • 54 Prozent der Südtiroler Organisationen sind für die 5 Promille-Zuwendung akkreditiert.
  • Im Bereich Digitalisierung wurden im Jahre 2024, rund 350 Leistungen für die Aktivierung notwendiger Dienste wie SPID, PEC und Digitale Unterschrift garantiert.
  • Am meisten Nachfrage gibt es schließlich weiterhin für den steuerrechtlichen und buchhalterischen Bereich. Insgesamt wurden dabei 179 Bilanzen in der Nationalen Plattform „Runts“ hinterlegt und weit über 400 steuerrechtliche Beratungen von Seiten des DZE Südtirol garantiert. 51 neue Vereine wurden bei ihrem Weg in den Dritten Sektor begleitet.
  • 17 Vereine mussten ihre Tätigkeit aufgeben (Hauptgründe Tod oder Krankheit).
  • Das DZE Südtirol hat im Durchschnitt im Jahr 2024 täglich 8 Stunden am Tag, Beratungen in unterschiedlichen Themenbereichen garantiert.
Jetzt
,
oder
oder mit versenden.

Es gibt neue Nachrichten auf der Startseite