von Alexander Wurzer 12.04.2025 09:04 Uhr

Autonomiereform: Was bleibt wirklich übrig vom Minderheitenschutz?

Der Preis der Einigung ist hoch – zu hoch. Mit der Autonomiereform riskiert die SVP, das Herzstück der Südtiroler Selbstverwaltung zu opfern. Nachdem die Ergebnisse der Verhandlungen durchgesickert sind, überwiegt in ihren Reihen Selbstzufriedenheit. Man habe „vernünftige“ Kompromisse erzielt, heißt es, und keinen Schritt zurück gemacht.

Südtirols Autonomie war das vierte Kernthema und die grundlegende Klammer im Mediengespräch von Landeshauptmann Arno Kompatscher zum Jahreswechsel 2022-2023. (Foto: LPA/Fabio Brucculeri)

Doch ein genauer Blick auf die Details und die historischen Zusammenhänge zeigt ein anderes Bild: Die Schutzmechanismen der Autonomie werden Schritt für Schritt relativiert – und das ausgerechnet von jener Partei, die sich traditionell als Garant dieser Rechte verstand. Was die SVP nun als Erfolg verkauft, ist in Wahrheit ein fauler Kompromiss mit Rom.

Die Relativierung als Strategie

Landeshauptmann Kompatscher erklärte in der Neuen Südtiroler Tageszeitung: „Wir haben nur jenen Forderungen zugestimmt, die uns vernünftig erscheinen und den Minderheitenschutz nicht einschränken.“ Doch was als vernünftig dargestellt wird, bedeutet in der Praxis einen historischen Rückschritt: Die Vierjahresregel für das Wahlrecht soll halbiert werden, der Begriff des „nationalen Interesses“ bleibt bestehen, und das Tor zur ethnisch formierten Regierung wird geöffnet.

Historischer Kontext: Warum diese Punkte eingeführt wurden – und warum sie jetzt untergraben werden

Wer glaubt, es handle sich bei den aktuellen Reformvorschlägen um „Modernisierungen“, der ignoriert oder verdrängt bewusst die historischen Ursachen der Autonomie. Die Schutzklauseln wurden mit gutem Grund eingeführt – nicht aus Willkür, sondern als Lehre aus einer Zeit, in der Südtirols kulturelle und sprachliche Identität unter massivem Druck stand. Der „nationalstaatliche Zugriff“ Roms auf Südtirol war real. Die Autonomie ist das Ergebnis jahrzehntelangen Kampfes, nicht das Produkt großzügiger Zugeständnisse.

Die Vierjahresregel zur Ausübung des aktiven Wahlrechts wurde als Schutz vor politischer Einflussnahme durch massenhaften Zuzug eingeführt. Es ging darum, das demografische und damit politische Gleichgewicht nicht durch eine Wahlberechtigung ohne lokale Verwurzelung zu gefährden. Diese Regel war eine wehrhafte Antwort auf gezielte Italianisierungsversuche.

Und heute? Heute wird genau diese Schutzklausel – mit einem Federstrich – geopfert. Die SVP verkauft diese Schwächung des Minderheitenschutzes als „pragmatisch“. Doch eine Umfrage von Politis aus dem Jahr 2014 zeigt, wie wenig dieses Zugeständnis der Bevölkerungsmeinung entspricht: 77 Prozent der Befragten wollten an der Vierjahresfrist festhalten. Bei der deutschen Volksgruppe, also jenen Bürgern, die die SVP laut Statut vertritt, lag die Zustimmung noch höher. Diese Zahlen sprechen eine deutliche Sprache – aber sie wurden ignoriert.

Das "nationale Interesse" – ein alter Wolf im neuen Schafspelz

Der Begriff des „nationalen Interesses“ ist ein zentralistisches Machtinstrument – ein juristischer Fallstrick, der das Potential hat genutzt zu werden, die Autonomie auszuhöhlen. Als das nationale Interesse 1992 in der Streitbeilegungserklärung vor der UNO akzeptiert wurde, hat es einen großen Aufschrei und auch Austritte von Granden aus der SVP gegeben. Wie fahrlässig der Umstand ist, im Rahmen der Autonomiereform nicht auf die Streichung des „nationalen Interesses“ zu bestehen, zeigt die Tatsache, dass im Rahmen des Autonomiekonvents von den SVP-Vertretern einstimmig die Streichung des „nationalen Interesses“ aus dem Autonomiestatut gefordert wurde. Was früher als unzumutbar galt, wird heute als akzeptabel hingenommen. Heute aber verteidigt dieselbe Partei die Beibehaltung dieser Formulierung als angeblich harmlos. Das ist nicht nur ein Bruch mit der eigenen Linie – es ist ein Verrat an den Prinzipien, die man einst verteidigt hat.

Bildung der Landesregierung: Demokratie auf Abruf

Noch gravierender ist die geplante Kann-Bestimmung, wonach die Landes- und Gemeinderegierung nicht mehr auf Basis des Wahlergebnisses, sondern nach dem Anteil der Sprachgruppen in der Gesamtbevölkerung zusammengesetzt werden kann – sofern der Landtag dies mit absoluter Mehrheit beschließt. Das klingt technokratisch, ist aber in Wahrheit eine politische Zeitbombe.

Demokratie funktioniert nur, wenn der Wählerwille respektiert wird. Wenn ethnische Zugehörigkeit wichtiger wird als Wahlergebnisse, dann verabschieden wir uns vom Grundprinzip der Demokratie. Es ist bemerkenswert, dass ausgerechnet die SVP, die sich früher als Bollwerk gegen solche Bestrebungen verstand, heute diese Entdemokratisierung salonfähig macht.

Der Preis der Zugeständnisse: Was Südtirol wirklich riskiert

Marc Röggla vom Center for Autonomy Experience warnt in einem ausführlichen Artikel der RAI-Tagesschau vom 2. Dezember 2024, dass verlorene Schutzinstrumente schwer oder gar nicht wieder eingeführt werden können. Gerade die Ansässigkeitsklausel, der Proporz oder der Zweisprachigkeitsnachweis seien zentral für das Gleichgewicht zwischen den Sprachgruppen. „Ein verlorenes Instrument ist kaum zurückzuholen“, sagt er – ein Satz, der wie ein Menetekel über dieser Reform steht.

Kritik kommt dabei längst nicht nur von Experten. Auch die Süd-Tiroler Freiheit oder Andreas Leiter Reber warnen eindringlich vor den Auswirkungen der Reform – und sie stehen mit dieser Warnung nicht allein: In den sozialen Medien, Online-Foren und Leserkommentaren formiert sich deutlicher Widerstand aus der Zivilgesellschaft. Die Menschen spüren, dass mit dieser Reform nicht nur ein Gesetzestext geändert wird – sondern das Gleichgewicht eines jahrzehntelang gewachsenen Zusammenlebens ins Wanken gerät.

Zugeständnisse an Rom mögen kurzfristig politische Ruhe schaffen, langfristig schwächen sie das Selbstbestimmungsrecht und das Vertrauen in die Autonomie. Der Vorschlag zur Reform bringt nicht mehr Sicherheit, sondern mehr Abhängigkeit von der Gunst der Zentralregierung.

Die Autonomiereform ist kein Fortschritt, sondern eine schleichende Entkernung

Die SVP mag ihre Verhandlungsergebnisse als Erfolg darstellen, doch ein Blick auf die historischen Grundlagen und aktuellen Entwicklungen offenbart ein anderes Bild. Die geplanten Reformpunkte stellen keine Stärkung, sondern eine Aushöhlung der Autonomie dar. Statt sich auf bewährte Schutzinstrumente zu verlassen, riskiert man, diese preiszugeben – gegen den Willen weiter Teile der Bevölkerung.

Wer heute schweigt, wird morgen vielleicht ohne Stimme sein. Die Gesellschaft, vor allem aber verantwortungsbewusste Politiker müssen deshalb jetzt wachsam sein. Denn was heute als pragmatischer Kompromiss erscheint, könnte morgen das Ende eines einzigartigen Modells des Minderheitenschutzes einläuten.

Und mehr noch: Es drängt sich der Eindruck auf, dass das politische Versprechen, diese Reform in jedem Fall abzuschließen – koste es, was es wolle – inzwischen schwerer wiegt als der Inhalt selbst. Um nicht mit einem „Scheitern“ aus Rom zurückzukehren, wird nun auf Biegen und Brechen durchgezogen, was auf dem Papier nach Einigung aussieht, in Wirklichkeit aber das Fundament der Autonomie untergräbt. Wenn politische Eitelkeit und der Wunsch nach einem Etappensieg wichtiger werden als langfristiger Schutz, dann ist es höchste Zeit für einen Kurswechsel.

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