von Alexander Wurzer 22.03.2025 08:00 Uhr

SVP: Von der Sammelpartei zur Partei ohne klare Linie?

Die Südtiroler Volkspartei (SVP) war jahrzehntelang das politische Rückgrat der deutsch- und ladinischsprachigen Südtiroler. Ihre zentrale Aufgabe bestand darin, die Rechte dieser Minderheiten in Italien zu verteidigen und den Ausbau der Autonomie voranzutreiben. Die Partei wurde gegründet, um den deutsch- und ladinischsprachigen Südtirolern eine starke politische Stimme zu geben. Dies war nicht nur eine Frage der politischen Strategie, sondern ein elementares Prinzip, das sogar im Parteistatut verankert ist.

Italienische Trikolore mit SVP-Wappen. Fotomontage UT24 (Bild: OpenClipart-Vectors auf Pixabay und SVP)

Unter dem Dach der SVP haben sich jahrzehntelang verschiedenste politische Strömungen versammelt – Linke, Rechte, Mittige, Soziale. Die Volkstumspolitik war der Kitt, der diese Strömungen zusammengehalten hat. Inzwischen hat es den Anschein, als hätte dieser Kitt rapide an Kraft verloren. Die mögliche Folge: Die Sammelpartei wird von nichts mehr wirklich zusammengehalten. Dass sie beim nächsten größeren Konflikt auseinanderbricht – mit allen Konsequenzen für die Minderheiten in einem fremden Staat – ist bei dieser Parteilinie immer wahrscheinlicher. Der Auslöser ist ganz offensichtlich: Ohne den Kitt der Volkstumspolitik gibt es nichts mehr, das die Strömungen, die diametral auseinanderdriften, zusammenhält.

Dies registrieren auch die Wähler. Die SVP verliert zunehmend an Rückhalt in der eigenen Bevölkerung, während neue politische Kräfte, die Volkstumspolitik leben, an Bedeutung gewinnen. Bei der Landtagswahl 2023 erzielte die Partei mit 34,5 Prozent das schlechteste Wahlergebnis ihrer Geschichte – ein Rückgang, der nicht nur auf allgemeine politische Trends, sondern auch auf hausgemachte Fehler zurückzuführen ist.

Vor diesem Hintergrund wagt die Partei nun einen drastischen Kurswechsel: Bei den anstehenden Gemeinderatswahlen öffnet sich die SVP für italienische Kandidaten und solche mit Migrationshintergrund. Ein Schritt, der die Grundprinzipien der Partei infrage stellt und in der Bevölkerung auf scharfe Kritik stößt. Die zentrale Frage ist nun: Ist das ein notwendiger Modernisierungsschritt oder ein verzweifelter Versuch, den schwindenden Einfluss zu retten?

Öffnung aus Überzeugung oder aus Not?

Dass sich die SVP nun für italienische Kandidaten öffnet, kommt für viele überraschend. Bis vor wenigen Jahren war es undenkbar, dass die Partei italienische Bewerber in ihren Reihen aufstellt. Noch letztes Jahr, als der Leiferer Bürgermeister Giovanni Seppi für eine Öffnung der SVP für Italiener plädierte, wurde abgewunken. Der Grund dafür lag auf der Hand: Die SVP verstand sich als Schutzpartei der deutsch- und ladinischsprachigen Minderheit – und nicht als eine Partei für alle Südtiroler. Doch die Gemeinderatswahl in Leifers scheint ein Umdenken in der SVP bewirkt zu haben. Von insgesamt 4.400 Stimmen hat Seppi 2.500 von Italienern erhalten.

Nun wird argumentiert, dass diese Öffnung keine Abkehr von den Grundwerten sei, sondern eine notwendige Anpassung an die Realität. Doch Kritiker sehen darin vor allem ein Zeichen der Schwäche. Denn die Frage drängt sich auf: Sind diese Kandidaten auf der Liste, weil die SVP wirklich eine neue politische Richtung einschlagen will, oder weil sie keine ausreichende Anzahl an deutsch- und ladinischsprachigen Kandidaten mehr findet?

Tatsächlich leidet die Partei unter einem erheblichen Mitgliederschwund. Immer weniger junge Südtiroler identifizieren sich mit der SVP und viele sehen keine Veranlassung mehr, sich aktiv zu engagieren. Gleichzeitig hat die Partei mit einem zunehmenden Vertrauensverlust zu kämpfen. Entscheidungen wie die Zusammenarbeit mit den nationalistischen Fratelli d’Italia oder das Einknicken vor römischen Interessen haben das Bild einer Partei geschaffen, die in erster Linie um Machterhalt bemüht ist – und nicht mehr vordergründig um den Schutz der Minderheitenrechte.

Dass nun italienische Kandidaten aufgestellt werden, verstärkt diesen Eindruck. Denn es wirft eine grundsätzliche Frage auf: Wenn die SVP sich von ihrer ursprünglichen Identität entfernt, was unterscheidet sie dann noch von anderen Parteien?

Die Reaktionen: Wut, Enttäuschung und Unsicherheit

Die Entscheidung, italienische Kandidaten auf die Wahllisten zu setzen, hat in der Bevölkerung eine Welle der Empörung ausgelöst. In sozialen Netzwerken häufen sich kritische Kommentare, und viele ehemalige SVP-Wähler machen ihrem Ärger Luft. Auch der Südtiroler Heimatbund hat sich klar gegen diesen Kurs ausgesprochen und sieht darin eine „Abkehr von der eigenen Identität“.

Die Sorge ist nicht unbegründet. Denn wenn die SVP ihre Rolle als Schutzpartei der deutsch- und ladinischsprachigen Bevölkerung aufgibt, wer wird diese dann übernehmen? Es gibt bereits Parteien, die sich als Alternativen positionieren – darunter die Süd-Tiroler Freiheit, die Liste JWA und die Freiheitlichen. Diese Gruppierungen könnten von der aktuellen Entwicklung profitieren, indem sie enttäuschte SVP-Wähler anziehen.

Doch nicht nur parteipolitisch könnte sich dieser Kurswechsel als problematisch erweisen. Auch auf gesellschaftlicher Ebene könnte er langfristige Folgen haben. Südtirols Autonomie basiert auf einem fein austarierten Gleichgewicht zwischen den Sprachgruppen. Die SVP war stets der Garant dafür, dass die Interessen der deutsch- und ladinischsprachigen Bevölkerung auf höchster politischer Ebene vertreten wurden. Wenn sich die Partei nun zunehmend italienischen Wählern öffnet, stellt sich die Frage, ob diese Rolle noch glaubhaft ausgefüllt werden kann.

Ein weiterer Aspekt ist der politische Kurs innerhalb der Partei. Wenn nun Vertreter mit unterschiedlichen kulturellen Hintergründen und politischen Vorstellungen auf einer gemeinsamen Liste antreten, wie soll dann eine einheitliche Linie gewährleistet werden? Schon jetzt gibt es innerhalb der SVP Spannungen zwischen traditionell konservativen und modernistischen Strömungen. Diese könnten sich weiter verschärfen, wenn Kandidaten mit völlig unterschiedlichen politischen Prioritäten aufeinandertreffen.

Zudem wurde ein Punkt, der in Bezug auf die Öffnung der SVP für Italiener von entscheidender Relevanz ist, bislang kaum bedacht: Nämlich der Umstand, dass sich die Zusammensetzung des Stadtrates proportional nach der Größe der Sprachgruppen im Gemeinderat richtet. Wenn die SVP nun zusätzliche italienische Vertreter in den Gemeinderat wählen lässt, wird die deutsche Minderheit dadurch weiter geschwächt.

Quo vadis, SVP? Ein riskantes Spiel mit ungewissem Ausgang

Die kommenden Wahlen werden zeigen, ob dieser Kurswechsel für die SVP von Erfolg gekrönt ist oder sich als politisches Eigentor erweist. Sollte die Partei weitere Stimmenverluste erleiden, wird die Parteiführung sich fragen müssen, ob sie die richtige Entscheidung getroffen hat.

Doch unabhängig vom Wahlergebnis bleibt eine zentrale Frage bestehen: Wohin steuert die SVP? Ist sie noch die Partei, die sie einst war? Und wenn nicht – was wird sie in Zukunft sein?

Es ist verständlich, dass eine Partei sich an veränderte Gegebenheiten anpassen muss. Doch eine Anpassung darf nicht zur Selbstaufgabe führen. Wenn die SVP ihre Identität als Schutzpartei der deutsch- und ladinischsprachigen Südtiroler aufgibt, läuft sie Gefahr, sich selbst überflüssig zu machen.

Die kommenden Monate werden entscheidend sein. Die SVP muss sich überlegen, ob sie ihren neuen Kurs weiterverfolgt oder ob sie sich wieder stärker an ihren ursprünglichen Werten orientiert. Denn eines ist klar: Die Wähler werden genau hinschauen. Und wenn die SVP nicht liefert, wird sie es bei den nächsten Wahlen zu spüren bekommen. Noch ist es nicht zu spät – aber wer seine Wurzeln verliert, verliert auch die, die ihn tragen.

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