von Alexander Wurzer 10.03.2025 09:30 Uhr

Minderheitenschutz oder Reformdruck? Südtirols Schulsystem im Fokus

Das Schulsystem Südtirols mit seinen getrennten deutsch-, italienisch- und ladinischsprachigen Schulen ist ein bewährtes Modell zum Schutz der sprachlichen und kulturellen Identität der Volksgruppen. Doch immer wieder gibt es Stimmen, die eine Reform fordern – hin zu gemischtsprachigen Schulen. Kritiker warnen jedoch vor den Folgen: Wird damit langfristig der Minderheitenschutz ausgehöhlt? Und steht gar die deutsche Sprache als gleichwertige Bildungssprache auf dem Spiel?

Brigitte Foppa - Foto: Verdi Grüne Vërc

UT24 hat mit den Fraktionen im Südtiroler Landtag gesprochen – über die Notwendigkeit, dieses bewährte Modell zu verteidigen oder ob Reformen tatsächlich ein gangbarer Weg wären. Heute mit Brigitte Foppa von den Grünen.

Das Südtiroler Schulsystem gilt als tragende Säule des Minderheitenschutzes. Warum sollte man aus Ihrer Sicht an diesem bewährten Modell festhalten – oder es reformieren?

Viele Familien in Südtirol wünschen sich eine Weiterentwicklung des bestehenden Schulmodells im Sinne der Mehrsprachigkeit. Nach vielen Jahren der Auseinandersetzung mit dem Thema sind wir Grünen zum Schluss gekommen, dass es das Zielführendste ist, das bestehende Schulsystem beizubehalten; zusätzlich kann man mehrsprachige Klassen einführen, wenn genügend Nachfrage besteht und auf jeden Fall die muttersprachlichen Klassen garantiert sind. Unser Landesgesetzentwurf, der im Landtag aufliegt, sieht diesen Weg vor. Das vom Statut vorgesehene Schulsystem bleibt unangetastet.

Befürworter gemischtsprachiger Schulen argumentieren mit einem besseren Zusammenleben der Volksgruppen. Kritiker entgegnen, dass dies langfristig zur schleichenden Assimilation der deutschen Minderheit führen könnte. Teilen Sie diese Bedenken?

„Gemischtsprachig“ ist ein Begriff, der nahelegt, dass Mehrsprachigkeit zu einer Vermischung der Sprachen führt. Damit würde man auch das gesamte ladinische Schulsystem, das paritätisch bzw. mehrsprachig aufgebaut ist, schlechtreden. Ein mehrsprachiges Zusatzangebot – nur auf ein solches beziehe ich mich – würde die jetzige Situation, in der Eltern ihre Kinder in die Schulen der jeweils anderen Sprachgruppe einschreiben, entlasten. Ja, es würde den muttersprachlichen Unterricht entlasten! Mehrsprachige Zusatzklassen sind pädagogisch so gedacht, dass beide Sprachen gleichwertig gelernt werden, ohne dass man die Erstsprache verlernt. Mit den Sprachen ist es wie mit der Liebe einer Mutter: Wer ein zweites Kind bekommt, muss nicht die Mutterliebe auf 2 Kinder aufteilen, sondern man verdoppelt die Liebe. Genauso ist es mit den Sprachen. Zusätzlich weitere Sprachen in früher Lebenszeit lernen ist ein Gewinn, auch für die eigene Muttersprache.

In anderen europäischen Regionen, in denen Minderheiten keine muttersprachliche Schule haben, kommt es oft zu sprachlicher Angleichung an die Mehrheitssprache. Wie kann verhindert werden, dass eine mögliche Einführung gemischtsprachiger Schulen langfristig zur Schwächung der deutschen Sprache in Südtirol führt?

Wir haben ja die muttersprachliche Schule, und wir behalten diese bei. Mehrsprachige Klassen werden daran nichts ändern. De facto hat auch das muttersprachliche Schulmodell dazu geführt, dass die Klassen „gemischt“ sind (siehe „Fall Goetheschule“). Also ist auch das muttersprachliche Schulmodell kein Gegenmittel gegen das Zusammentreffen von Kindern mehrerer Sprachen in einer Klasse.

Die Pisa-Studien zeigen, dass Südtirols deutschsprachige Schüler in ihrer Muttersprache überdurchschnittlich gut abschneiden. Sehen Sie eine Gefahr, dass eine Reform des Schulsystems hier negative Auswirkungen hätte?

Nein. Wir Südtiroler:innen sind Teil eines großen Sprach- und Kulturraums mit über 100 Millionen Menschen, die unsere Sprache sprechen. Der Minderheitenschutz ist eine unabdingbare und unverrückbare Bedingung für den Erhalt der deutschen Sprache in Südtirol. Zwei- und Mehrsprachigkeit ist kein Hindernis für den Erhalt der Muttersprache, sondern eher noch förderlich.

Ein entscheidender Punkt ist die Unterrichtsqualität: Kann eine Schule mit zwei Unterrichtssprachen wirklich sicherstellen, dass beide Sprachen gleichwertig erlernt werden? Oder besteht die Gefahr, dass eine Sprache – insbesondere das Deutsche – im schulischen Alltag in den Hintergrund rückt?

Die Qualität des Unterrichts muss gewährleistet werden, wie in allen anderen Modellen auch. Dass die Anzahl von Unterrichtsstunden nicht grundsätzlich Garantie für das Erlernen einer Sprache ist, zeigen die über 1.000 Schulstunden an Zweitsprache, die jede:r Südtiroler Maturant:in in der schulischen Laufbahn absolviert hat, mit sehr mittelmäßigen Ergebnissen. Wir gehen davon aus, dass in einer gemeinsamen Lernumgebung beide Sprachen mehr Platz haben und dass diese pädagogisch fundiert aufgebaut werden.

Der Schutz der deutschen Sprache ist auch eine Frage der Identität. Würde eine stärkere Durchmischung nicht langfristig dazu führen, dass sich die kulturelle Eigenständigkeit der Südtiroler abschwächt?

Normalerweise stärkt sich im Kontakt mit anderen das Bewusstsein des Eigenen. Wir alle verstehen unsere eigene Sprache besser, wenn wir eine andere lernen. Plötzlich verstehen wir Dinge über uns selbst. Dass es im Italienischen kein Wort für „gemütlich“ gibt, hat mir schon als Kind die Bedeutung der „Gemütlichkeit“ in unserer Kultur klargemacht. Im Unterland sind wir seit jeher mit der italienischen Kultur in engem Austausch, über das Fleimstal, das Nonstal und das Trentino jenseits der Salurner Klause. Es hat uns nicht geschadet.

Sprachliche Trennung im Schulwesen bedeutet nicht soziale Trennung – schließlich gibt es viele Möglichkeiten der Begegnung außerhalb der Schule. Glauben Sie, dass der Druck zur Reform wirklich von den betroffenen Familien kommt, oder wird dieses Thema eher politisch forciert?

Viele Familien wünschen sich für ihre Kinder eine weitgehende Zweisprachigkeit und die Möglichkeit des Austausches, in und außerhalb der Schule. Der Wunsch, das muss man klar sagen, kommt stärker aus der italienischen Welt. Aus unserer Sicht sind alle Möglichkeiten der Begegnung willkommen. Auch räumliches Zusammenführen der Sprachen in gemeinsamen Schulgebäuden (grüner Antrag von 2014) ist sinnvoll, damit Kinder und Jugendliche sich begegnen. Wie absurd ist es, getrennte Schulgebäude zu errichten, getrennte Musikschulen, getrennte Sportvereine etc. – um dann deutsche und italienische Kinder in der „settimana azzurra“ am Meer zusammenzubringen, damit sie miteinander reden…?

Was sagen Sie Eltern, die für den Erhalt der muttersprachlichen Schule eintreten und Angst haben, dass ihre Kinder in einem gemischtsprachigen System Nachteile hätten?

Das mehrsprachige Zusatzangebot ist nicht ein Verdränger der muttersprachlichen Schule, sondern eine Ergänzung.

Sollte es bei einer so grundlegenden Frage eine Volksabstimmung geben, oder sehen Sie diese Debatte als rein politische Angelegenheit?

Laut unserem Landesgesetz für direkte Demokratie sind „Volksabstimmungen (…) unzulässig in Bezug auf die Steuer- und Haushaltsgesetze, die Regelungen der finanziellen Zuwendungen an das Personal und die Organe des Landes sowie auf jene Sachbereiche und Normen, die den Schutz der Rechte der Sprachgruppen, und sozialer Minderheiten garantieren.“ Wir haben das 2018 ins Gesetz geschrieben, um keiner Sprachgruppe das Recht zu geben, über die Rechte der anderen Sprachgruppe zu entscheiden. Grundsätzlich bin ich eine Befürworterin von Volksabstimmungen, so auch in dieser Frage. Umfragen der letzten Jahre sagen deutlich, dass der Wunsch nach einem mehrsprachigen Zusatzangebot weit verbreitet ist. Dem sollte die Politik nachkommen.

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