von gk 26.02.2025 17:39 Uhr

„…Bis ich nicht mehr imstande war, aufrecht zu stehen“

Am 17. Juli 1961 wurde der 33-jährige Sepp Innerhofer aus Schenna, einer der engsten Vertrauten von Sepp Kerschbaumer, von den Carabinieri abgeholt. Er berichtete am 22. September 1961 in einem aus dem Gefängnis geschmuggelten Brief über seine Erlebnisse mit den Vertretern der Staatsmacht.

Sepp Innerhofer (links) als Gefangener im Mailänder Prozeß (Bild SHB).

Bozen, 22. Sept. 1961
Sehr geehrter Herr Dr. Magnago!

Entschuldigen Sie vielmals, daß ich Ihnen durch mein Schreiben noch mehr Arbeit bereite, aber da ich gehört habe, daß die Öffentlichkeit über die Art und Weise der Mißhandlungen nicht im Bilde ist, möchte ich durch eine, nur die wichtigsten Angaben umfassende Schilderung, Ihnen diesen Brief schreiben.
Nach meiner Verhaftung am 17. Juli (Montag nachts) musste ich den ganzen Dienstag und Mittwoch aufrecht stehen, ohne Essen und Trinken. Bin immer wieder inzwischen vorgeführt worden, um verhört zu werden. Gleich am Dienstag schon bekam ich die ersten Schläge ins Gesicht und in den Rippen.

Da ich von der ganzen Sache überhaupt nichts wusste, habe ich jedesmal auf ihre Fragen verneinen müssen. 2 Stunden wurde ich dann unter eine starke Glühlampe gestellt. Beim nächsten Verhör hatte mir dann ein bestimmter Herr Pozzer (in Zivil) mit der Faust so stark ins Gesicht geschlagen, daß mir die Lippe aufsprang und ein Oberzahn losgeschlagen wurde. Dann musste ich wieder im Gang stehen, und die Wache wurde beauftragt, mir bei unaufrechtem Stehen, die Fußspitzen zu treten, was auch etliche male geschehen ist, da ich fast nicht mehr imstande war aufrecht zu stehen. Nach meiner Vernehmung am Mittwoch vor dem Staatsanwalt wurde ich 24 Stunden in den Keller, auch wieder ohne Essen u. Trinken, gesperrt. Am Donnerstag nachts wurde ich dann zu einer „Sonderbehandlung“ nach Eppan gebracht, wo ich mich vollständig nackt ausziehen musste.

Wurde dann mit Hosen- und Gewehrriemen furchtbar über den ganzen Körper über geschlagen. Als ich um Wasser bat, wollte man mir etwas Anderes (Gelbes Wasser) einschütten. Da ich den Mund nicht auftat, wurden mir bei den Geschlechtsteilen die Haare ausgezupft !! – um mich zu zwingen, den Mund zu öffnen. Da alle meine Kraft zu Ende war, habe ich um ein Verhör gebeten, und habe mich dann durch eine ausgedachte Lüge, vor weiteren Mißhandlungen geschützt. Am Freitag Früh kam ich dann wieder nach Meran und glaubte, daß ich endlich Ruhe finden würde.

Jedoch ging es gleich mit Verhören und weiteren Schlägen wieder weiter. Am Freitag Mittag bekam ich das erste Mal nach 4 Tagen einen Klumpen kalte Pasta, und Wasser. Nachmittag kamen dann furchtbare Stunden. Wurde wiederum beim Verhör mit harten Faustschlägen auf den Hinterkopf behandelt.

Zweimal fiel ich vom Stuhl zu Boden. Nach einem weiteren starken Schlag weiß ich nichts mehr. Bin am Samstag früh noch ganz benommen aufgewacht, und mir wurde dann ein langes Protokoll vorgelegt, das ich, ohne zu lesen, unterschrieben habe.
Weiß heute noch nicht, war darin steht, da ich der italienischen Sprache nicht mächtig bin, und ebenso noch nicht vor dem Untersuchungsrichter war.

Habe heute noch, nach 2 Monaten Haft, mit dem Kopf zu leiden. Wurde hier in Bozen behandelt, sowie 14 Tage nach Trient ins Krankenhaus gebracht, jedoch mein Kopfweh blieb, und ich kann fast gar nicht schlafen. Mit diesem meinen furchtbarsten Erlebnis, nach Krieg und Militär, möchte ich diesen Bericht abschließen mit besten Grüßen an Ihnen für Ihr Verständnis dankend

Ergebenst Sepp Innerhofer, Meran

(Wörtliche Wiedergabe des Originalbriefes. SVP-Archivalien, Südtiroler Landesarchiv Bozen)

  • Folterbrief von Sepp Innerhofer (Bild: Effekt Verlag).

Sepp Innerhofer hatte den Brief an Magnago geschrieben, da, wie er sagte, die Öffentlichkeit über die Mißhandlungen nicht informiert sei. Noch deutlicher konnte man den Wunsch nach Öffentlichmachung wohl nicht ausdrücken. Zunächst aber verschwand auch Innerhofers Brief in der Versenkung. Er sollte erst Anfang 1962 wieder hervorgeholt werden.

Das Innerhofer durch Folter aufgewungene vorgefertigte „Geständnis“ sollte ihm im Mailänder Prozess 3 Jahre und 3 Monate Kerker einbringen. Der Staatsanwalt, welcher ihn zwischen den Folterungen verhört hatte, wollte natürlich nichts von irgendwelchen Misshandlungen bemerkt haben.

„Das gehört zum Schlimmsten in unserem Leben“

Wie es Sepp Innerhofers Familie während und nach der Folterung des Ehemannes und Vaters erging, das schildert Astrid Kofler in berührender Weise:

„Vier Kinder hatte er; seine Gattin wusste nichts. Und es traf sie heftig: Als er nach drei Tagen der Folter immer noch den Mißhandlungen widerstand und die Namen anderer für sich behielt, wurde Rosa Innerhofer geholt. Dass sie ihn so sehen musste, geschwollen, blutig geschlagen, sollte ihn zum Reden bringen. Das gehört zum Schlimmsten in ihrer beider Leben, sagt er: das und die Enttäuschung über den im August 1963 geführten Prozess in Trient gegen die von den politischen Häftlingen wegen der Mißhandlungen angezeigten zehn Carabinieri. Rosa Innerhofer war als Zeugin vorgeladen worden, das Urteil war für sie und die anderen Frauen, für die Mütter und Familien ein Schock. Sie möchte jetzt, nach 40 Jahren, noch nicht darüber sprechen.“
(Astrid Kofler: „Zersprengtes Leben“, Edition Raetia 2003, S. 31)

„Als die Väter von Sepp Mitterhofer, von Luis Gutmann, von Sepp Innerhofer starben, bekamen die Söhne keine Erlaubnis, an der Beerdigung oder auch nur an der Aufbahrung teilzunehmen. ,Die Väter’, so sagen mehrere Schwiegertöchter über den Kummer der Eltern von Häftlingen, ‚hat es mehr mitgenommen als die Mütter.’ Die Mütter, ergänzt eine andere, hat es auch mitgenommen, nicht weniger als die Väter, aber die Mütter waren zu sehr mit der Bewältigung des Alltags beschäftigt, als dass sie hätten kränkeln können. Die Väter, die mehr Zeit hatten, habe es in den Grundfesten erschüttert.“
(Astrid Kofler: „Zersprengtes Leben“, Edition Raetia 2003, S. 37)

Der obige Auszug stammt aus dem Buch „Für die Heimat kein Opfer zu schwer“ von Dr. Helmut Golowitsch.

Golowitsch, Helmut: Für die Heimat kein Opfer zu schwer. Folter-Tod-Erniedrigung. Südtirol 1961-1969. Edition Südtiroler Zeitgeschichte: Deutschland: Druckerei Brunner. 2009. ISBN: 978-3-941682-00-9.

Jetzt
,
oder
oder mit versenden.

Es gibt neue Nachrichten auf der Startseite