von Alexander Wurzer 01.02.2025 07:30 Uhr

Weckruf für Europa: Die demografische Krise als Herausforderung

Ein hochinteressanter Bericht von Dr. Gudrun Kugler, Nationalratsabgeordnete der ÖVP, ist jüngst im christlichen Online-Magazin Corrigenda erschienen. In ihrem Gastbeitrag schildert sie eindringlich die demografische Krise Europas – eine Herausforderung, die oft unterschätzt wird, jedoch weitreichende Konsequenzen für Wirtschaft, Sozialsysteme und kulturelle Identität hat.

Die Gesellschaft altert rapide (Bild von Gerd Altmann auf Pixabay)

Die Europäische Kommission zählt den demografischen Wandel zu den drei großen Transformationen unserer Zeit – neben Künstlicher Intelligenz und dem ökologischen Wandel. Doch während über diese beiden Themen intensiv debattiert wird, bleibt die demografische Frage oft im Hintergrund. Dabei, so zitiert Corrigenda den deutschen Demografen Harald Michel, wird sie „aus allen Knopflöchern platzen“.

Die schrumpfende Bevölkerung Europas – eine stille Krise

Die europäische Bevölkerung schrumpft. In vielen Ländern liegt die Geburtenrate seit Jahrzehnten unter dem zur Bestandserhaltung nötigen Niveau. Die Folgen sind eine rapide alternde Gesellschaft, ein wachsender Arbeitskräftemangel und massive Belastungen für die Renten- und Sozialsysteme. In Deutschland wird bis 2040 etwa ein Drittel der Bevölkerung im Rentenalter sein – eine Entwicklung, die sich in vielen anderen europäischen Ländern ähnlich abzeichnet.

Auch im Alpenraum sind die Auswirkungen spürbar. Die Europaregion steht vor denselben Herausforderungen wie der Rest Europas: niedrige Geburtenraten, Überalterung und ein zunehmender Fachkräftemangel. Besonders in den Tälern und Dörfern ist dies deutlich zu sehen: Viele junge Menschen ziehen für Studium und Arbeit in größere Städte oder ins Ausland, während ältere Generationen bleiben. Das verändert nicht nur die Altersstruktur, sondern auch die Wirtschafts- und Sozialdynamik des Landes.

Kinderlosigkeit als wachsende Herausforderung

Noch besorgniserregender als die sinkende Kinderzahl pro Familie ist die steigende Kinderlosigkeit. Dr. Gudrun Kugler betont in ihrem Beitrag, dass es nicht primär darum geht, warum Menschen weniger Kinder haben, sondern warum immer mehr Menschen gar keine Kinder bekommen.

In Japan sind heute 40 Prozent der Frauen kinderlos, in Italien und den USA mehr als ein Drittel. In Südkorea liegt die Kinderlosigkeit bereits bei 55 Prozent. Dabei zeigt die Forschung, dass rund 90 Prozent der Frauen grundsätzlich Kinder haben möchten. Doch äußere Umstände wie fehlende Partner, lange Ausbildungszeiten, finanzielle Unsicherheit und Zukunftsängste führen dazu, dass der Kinderwunsch oft aufgeschoben wird – manchmal so lange, bis es zu spät ist.

Auch in Nord-, Ost-, Süd- und Welschtirol zeigt sich dieses Muster. Die steigenden Lebenshaltungskosten, insbesondere die hohen Immobilienpreise, machen es für viele junge Menschen schwierig, sich früh für eine Familie zu entscheiden. Gleichzeitig sind Beruf und Familie oft schwer vereinbar, da flexible Arbeitsmodelle und ausreichend Betreuungsplätze nicht überall selbstverständlich sind. Wer sich mit 35 oder 40 Jahren für Kinder entscheidet, stößt nicht selten auf biologische oder wirtschaftliche Hürden.

Welche Maßnahmen sind erforderlich?

Dr. Gudrun Kugler macht in ihrem Beitrag auf Corrigenda deutlich, dass Politik allein die demografische Krise nicht lösen kann. Ein gesellschaftlicher Wandel ist ebenso erforderlich. Kinder und Familien brauchen wieder mehr Anerkennung. Österreich hat mit dem „Familienbonus Plus“ erste Schritte gesetzt, doch selbst umfangreiche familienpolitische Maßnahmen, wie sie etwa in Ungarn erprobt wurden, konnten die Geburtenrate nicht auf das Reproduktionsniveau anheben.

Die demografische Entwicklung zeigt, dass materielle Anreize allein nicht genügen. Es braucht eine gesellschaftliche Neubewertung der Familie als zentralem Element einer stabilen Zukunft. In Medien, Bildung und Politik muss vermittelt werden, dass Kinder keine Belastung, sondern eine Bereicherung sind. Familie darf nicht länger als Hindernis für Karriere und persönliche Entwicklung gelten, sondern als tragende Säule einer funktionierenden Gesellschaft.

Für die Europaregion Tirol ist dies besonders relevant. Zwar bietet das Land wirtschaftliche Stabilität und eine hohe Lebensqualität, doch wenn junge Menschen aufgrund von Wohnraummangel oder beruflicher Unsicherheit zögern, eine Familie zu gründen, wird sich der Bevölkerungsschwund weiter verstärken. Politische Maßnahmen sollten daher nicht nur finanzielle Erleichterungen umfassen, sondern auch eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie sowie gezielte Wohnbauförderungen für junge Menschen.

Die Notwendigkeit sozialer Reformen

Neben einer familienfreundlicheren Gesellschaft sind strukturelle Reformen notwendig. Dr. Gudrun Kugler warnt davor, dass eine schrumpfende Erwerbsbevölkerung die bestehenden Rentensysteme nicht dauerhaft finanzieren kann. Langfristige Strategien müssen entwickelt werden, die über einzelne Legislaturperioden hinausreichen.

Dazu gehören nicht nur Reformen im Rentensystem, sondern auch Investitionen in Bildung und Arbeitsmarktprogramme. Südtirol hat hierbei die Chance, eine Vorreiterrolle einzunehmen. Das Land verfügt über eine starke Wirtschaft und eine vergleichsweise niedrige Arbeitslosigkeit – das bietet ideale Voraussetzungen für innovative Konzepte, die eine nachhaltige Bevölkerungsentwicklung fördern.

Politische Verantwortung und Weichenstellung

Die neue Regierung in Österreich und die bevorstehenden politischen Entscheidungen in Italien stehen vor einer Weichenstellung. Werden sie die demografische Krise ernst nehmen? Corrigenda fordert, dass sich die neuen politischen Koalitionen nicht nur mit kurzfristigen wirtschaftlichen Fragen befassen, sondern langfristige Maßnahmen einleiten.

Das Thema gehört in die politischen Programme, Ministerien müssen sich diesem Schwerpunkt widmen und es braucht gezielte politische Ämter, die sich mit dem demografischen Wandel auseinandersetzen. Auch in Südtirol sollte das Thema stärker in den politischen Fokus rücken. Denn es geht nicht nur um Zahlen, sondern um die Zukunftsfähigkeit des gesamten Landes.

Ein Weckruf für Europa – und für den Alpenraum

Der Bericht von Corrigenda ist ein Weckruf für Europa: Ohne Menschen fehlt das „Warum“. Die demografische Krise ist nicht nur eine statistische Größe, sondern eine Entwicklung mit tiefgreifenden Folgen für das gesellschaftliche Miteinander, den Generationenvertrag und die kulturelle Identität unseres Kontinents. Eine kinderlose Gesellschaft verliert nicht nur wirtschaftlich, sondern auch kulturell und emotional.

Der Alpenraum – von Südtirol über Nord- und Osttirol bis ins Trentino – steht in besonderer Weise vor diesen Herausforderungen. Ein Land, das sich über Jahrhunderte durch starke Familienstrukturen und enge Gemeinschaften definiert hat, muss neue Wege finden, um diesen Charakter zu bewahren. Nur durch eine nachhaltige Familienpolitik, die junge Menschen unterstützt und gezielt Anreize für Familien schafft, kann die Zukunft gesichert werden.

Die demografische Krise ist eine der größten Herausforderungen unserer Zeit – und sie erfordert jetzt entschlossenes Handeln. Europa kann es sich nicht leisten, weiter zuzusehen.

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