Was tun gegen Einsamkeit im Alter?

Während es bei jüngeren Menschen oft auch auf einen gestiegenen Individualismus zurückzuführen ist, lebt beispielsweise jede dritte Frau über 75 Jahre allein in den eigenen vier Wänden. Die Gründe dafür sind vielfältig: der demografische Wandel oder weil sie verwitwet sind. Anlässlich des vergangenen Tages der Senioren am Dienstag, den 1. Oktober wurde das Thema bei einer Tagung in Bozen, die von der KVW Bildung in Zusammenarbeit mit dem Amt für Senioren und Sozialsprengel organisiert wurde, aus verschiedenen Blickwinkeln beleuchtet.Â
©KVW/ Veranstalter und Referenten von links Elisabeth Mair (KVW Bildung), Landesrätin Rosmarie Pamer, Christian Wenter (Referent), Daniela Gassen (Referentin), Brigitte Abram (KVW Bildung), Werner Atz (KVW), Steiner Werner (KVW), Maria Kusstatscher (KVW Senioren), Amtsdirektorin Brigitte Waldner
Einsamkeit und ihre Folgen
Den Auftakt machte der ehemalige Meraner Primar, Geriater und Gerontologe Dr. Christian Wenter, der sich in den vergangenen Jahren intensiv mit dem Thema beschäftigt hat und als Arzt ganz nah an seinen Patienten ist. Seiner Meinung nach ist Einsamkeit weiterverbreitet, als man denkt, und das Gefühl der Einsamkeit, niemanden zu haben, mit dem man sich austauschen kann und der da ist, wenn man ihn dringend braucht, verstärkt gesundheitliche Probleme. Sowohl die Psyche als auch der Körper leiden darunter, wenn man sich mit zunehmendem Alter immer mehr in sein Schneckenhaus zurückzieht. Depressionen, Angstzustände, Alkohol- oder Zigarettenmissbrauch können ebenso die Folge von Einsamkeit sein wie Mangelernährung durch einseitige Ernährung bis hin zu Alzheimer und Krebs. „Es ist ein Teufelskreis, denn chronische Krankheiten verstärken auch die soziale Einsamkeit und es ist bezeichnend, dass dieses Phänomen der Einsamkeit im Alter weltweit auf dem Vormarsch ist. Nationen wie Japan oder Großbritannien haben bereits seit einigen Jahren einen Minister für Einsamkeit, um der alternden Bevölkerung Impulse zu geben, aktiv gegen dieses Phänomen vorzugehen“, so Wenter in seinem Vortrag.
Wie kann man entgegenwirken?
Daniela Gassen vom Malteser Hilfsdienst brachte Beispiele, wie man der Vereinsamung im Alter gezielt entgegenwirkt und neue Angebote für Senioren schafft. So gibt es seit 2003 das Projekt der Besuchsdienste, bei dem Ehrenamtliche alte und einsame Menschen zu Hause besuchen und ihnen bis zu drei Stunden ihrer Zeit schenken. Es geht um Begegnung und Abwechslung in einem sonst eintönig gewordenen Leben in der eigenen Wohnung. Unterstützt von zwei hauptamtlichen Mitarbeiterinnen und mehreren Gruppenleitern leisten über 160 Personen diesen wichtigen ehrenamtlichen Dienst. „Wertvoll sind auch die Besuchsdienste mit Hund, denn Tiere sind meist gute Türöffner. Gut angenommen werden auch die Kulturbegleitdienste, bei denen ältere Menschen in Gruppen gemeinsam ein Konzert oder ein Museum besuchen“, berichtete Gassen aus ihrer Erfahrung. Ergänzt werde das Angebot durch gemeinsame Ausflüge, Unterstützung bei digitalen Medien und Fahrdienste, schließlich schränke auch eine eingeschränkte Mobilität viele Senioren in ihren Aktivitäten ein. Ganz wichtig sei es aber auch, die Ehrenamtlichen im Blick zu haben und ihr Engagement durch gemeinsame Erlebnisse, z.B. eine jährliche Adventsfeier, zu würdigen und ihnen zu danken. Auch wenn sie viel Dankbarkeit und Wertschätzung erfahren, sei es nicht selbstverständlich, dass sie sich für die Gemeinschaft einsetzen. Â
Auch in Südtirol gehe das Engagement zurück und es sei schwieriger als noch vor einigen Jahren, Menschen für solche Dienste zu gewinnen. Der Landesvorsitzende des KVW, Werner Steiner, appellierte an die Anwesenden, selbst aktiv zu werden, Verantwortung zu übernehmen und wieder mehr das Miteinander als das Füreinander in den Vordergrund zu stellen. Wenn man selbst die Verantwortung für das Gelingen eines Projektes trägt, setzt man sich ungleich mehr dafür ein.Â
Landesrätin und Landeshauptmann-Stellvertreterin Romarie Pamer hob einige wichtige Maßnahmen hervor, die bereits umgesetzt werden: So entstehen landauf, landab neue Wohnformen, die Stundenanzahl des Hauspflegediensts wurde erhöht. „Großes Potenzial sehe ich aber in der Vernetzung und Kooperation. Ohne diese wird es nicht gehen, denn die Herausforderungen werden immer größer“, so die Landesrätin.
©KVW/PodiumsdiskussionÂ
„Jeder Einzelne ist gefordert, hinzuschauen und aktiv zu werden“
In einer anschließenden Podiumsdiskussion wurden Best-Practice-Modelle aus Südtiroler Seniorenheimen und Seniorenclubs vorgestellt. Neben dem obligatorischen Kaffee und Kuchen, einem Karterle usw. sei es wichtig, das Angebot zu differenzieren. Nicht für alle Senioren sei das gleiche Angebot gut: doe einen gehen wandern, die anderen interessieren sich für Kultur, wieder andere sind technikbegeistert.Â
Brigitte Waldner, Direktorin des Amtes für Senioren und Sozialsprengel und Mitorganisatorin der Tagung, beschäftigte vor allem die Frage, wie man diese einsamen Menschen erreichen kann. „Es ist vor allem schwierig, jene zu erreichen, die noch nicht pflegebedürftig, aber auch nicht mehr so aktiv sind. Wer dazwischen liegt, fällt durch das Raster“, so Waldner. Jeder Einzelne ist gefordert, hinzuschauen und aktiv zu werden. Die KVW Bildung plant daher im Oktober und November vier Workshops zu diesem brisanten Thema, um gemeinsam konkrete Schritte gegen die Einsamkeit setzen zu können.Â
Nicht alles kann institutionell und professionell geleistet werden. Die größte Ressource liegt bei uns selbst, in der eigenen Familie, in der Nachbarschaft, im Freundes- und Bekanntenkreis, um einsame Menschen wieder zu integrieren und so den Fehlentwicklungen der vergangenen Jahre, -verstärkt durch die Pandemie, entgegenzuwirken.






