von ih 30.08.2024 18:43 Uhr

„Von Landeshauptmann Kompatscher halte ich überhaupt nichts!“ – UT24-Sommer-Interview

Für zwei Legislaturen war er ein bedeutender Kopf in der Südtiroler Politik: die Rede ist von Roland Atz. Bereits sein Vater Josef engagierte sich innerhalb der Südtiroler Volkspartei und war in den wichtigen Jahren von 1965 bis 1978 Landessekretär. Die politische Karriere von Roland Atz beginnt zunächst im Bozner Gemeinderat – ehe er 1993 bei den Landtagswahlen ein Mandat für den Südtiroler Landtag erreicht, welches ihn später bis in die Regionalregierung bringt. UT24 hat mit dem SVP-Urgestein im Sommer-Interview unter anderem darüber gesprochen, wie er die Politik seiner Partei heute sieht und warum er Landeshauptmann Kompatscher die versprochene Rückgewinnung autonomer Kompetenzen nicht abkauft.

Roland Atz beim Interview mit UT24 in Bozen. - Foto: UT24

Herr Atz, Sie sind für viele ein politisches Urgestein. Als Politiker, der nicht mehr aktiv ist: Zu welchem Schluss kommt man, hinsichtlich der aktuellen politischen Situation in Südtirol?

 
Das ist eine sehr schwierige Frage. Ich ärgere mich jedes Mal, wenn ich die aktuelle Berichterstattung sehe – ob es nun die Zeitungen, Fernsehberichte oder was auch immer sind. Weil man einfach seit fast zwei einhalb Legislaturen sieht, dass die heißen Themen in Südtirol von der Landesregierung nicht mehr angefasst werden. Wenn wir uns erinnern beispielsweise an die Corona-Pandemie erinnern. Da hieß es immer „Wir müssen Rom fragen!“. Wenn wir uns die Probleme der Schule im Land ansehen, die uns fast tagtäglich begegnen, heißt es ebenfalls „Wir müssen Rom fragen!“. Wir müssen bald überall Rom fragen!

Nur ein Beispiel: Denken wir mal an die Autobahn-Konzession. Ich erinnere mich noch gut daran, als der Landeshauptmann in Rom unten vom Ministerium heraus spaziert ist und einer Rai-Journalistin mit Stolz davon erzählt, dass man ein super Gesprächsklima gehabt habe und der Minister morgen schon seine Unterschrift setzt. Seit zwei einhalb Legislaturen ist aber überhaupt nichts weitergegangen. Das kann man einfach nicht machen!

Luis Durnwalder war noch bekannt dafür, dass wenn er etwas versprochen hat, dann hat er sich zumindest versucht, sich auch daran zu halten. So ein Typ war ich auch. Wenn ich etwas versprochen habe, dann habe ich mich auch daran gehalten. Ansonsten habe ich es nicht versprochen, weil ich gewusst habe, dass ich das nicht kann. Beim aktuellen Landeshauptmann Kompatscher sehe ich aber das komplette Gegenteil. Und das ist einfach nur mehr traurig.

Trauen Sie Landeshauptmann Kompatscher zumindest den versprochenen Ausbau der Autonomie zu? Diesen hat er ja vor wenigen Monaten öffentlich zur Bedingung für eine Koalition mit Fratelli d'Italia gemacht.

 
Nein, das traue ich ihm nicht zu! Umso mehr, wenn ich jetzt dieses nationale Referendum kommen soll, wo die Regierung Meloni in Zukunft einen Mehrheitsbonus von 70 Prozent bekommen soll. Da haben sich unsere Vertreter mit zwei Sitzen abspeisen lassen. Ja, was sind denn zwei Sitze bei 70 Prozent aller Parlamentarier in Rom? Die lachen uns da unten ja aus! Wir können dem ein oder anderen da unten mal einen Kaffee zahlen oder einen Witz erzählen, aber Chancen haben wir keine mehr. Weil die in Rom brauchen uns nicht mehr.

Dementsprechend können wir die Kompetenzen auch gleich vergessen. Weil Rom hat es nicht mehr notwendig, uns diese zu geben. Notwendig uns noch etwas zu geben, haben sie nur, wenn wir das Zünglein an der Waage spielen. Also, wenn sie unsere Stimmen mal wirklich brauchen sollten. Sprich, wenn bei ihnen mal drei Leute krank sind oder sonst irgendwelche Probleme bestehen. Die Politik funktioniert leider so, indem man sagt: „Ja, ich helfe dir weiter. Aber dafür kriege ich das für mein Land“. Auch Südtirol ist nur so weit gekommen, weil die Politik so ist, wie sie nun einmal ist.

Aber noch einmal, wenn eine Regierung in Italien in Zukunft wirklich eine Mehrheit von 70 Prozent hat. Und da soll ja jetzt dieses Referendum kommen, wo ich schon sehr gespannt sind, wie unsere Leute darauf reagieren. Aber ich kann es mir schon denken: sie werden unseren Wählern zur Zustimmung raten, weil sie ihnen ja diese zwei Sitze fix zugesagt haben. Aber das kann es nicht sein! Wir müssen dagegen stimmen und hoffen, dass Italien auch dagegen stimmt. Weil ansonsten sind wir verloren.

Das würde dann aber bedeuten, dass die bestehende Landesregierung auf Versprechen aufgebaut wurde, die sowieso nicht eingehalten werden können. Oder wie sehen Sie das?

 
Es geht um die Zukunft von Südtirol. Und es geht nicht um die Landesregierung von gestern, heute oder morgen. Und gerade, weil es uns als gesamtes Land betrifft, darf man eine so schwerwiegende Entscheidung nicht auf die leichte Schulter nehmen.

Wir können diesem Referendum einfach nicht zustimmen! Selbst wenn das bedeuten würde, dass die derzeitige Landesregierung fliegt – weil die Vertreter von Fratelli d’Italia oder Lega uns vielleicht damit drohen, entweder dafür zu stimmen, da sie ansonsten die Regierung verlassen.

Ja, und? Dann sollen diese Leute eben die Landesregierung verlassen. Dann müssen wir eben Neuwahlen ausschreiben. Es kann aber einfach nicht sein, wegen einer halben oder drei Viertel Legislatur – viel mehr ist eh nicht mehr – unser Land zu verkaufen. Das geht so nicht! Wir können ohnehin schon nichts mehr alleine entscheiden, ohne vorher Rom fragen zu müssen. Wir müssen uns da nur das aktuelle Beispiel der Schulen anschauen. Für den Ausbau unserer Autonomie tun wir schon lange nichts mehr.

Aber was wäre, Ihrer Meinung nach, die Lösung für dieses Problem?

 
Da muss man zunächst jeden Sektor einzeln anschauen. Am dringendsten wäre es, bei den Schulen anzufangen. Da gibt es einerseits das Problem mit den Einwanderern, die kein Wort Deutsch sprechen. Was dazu führt, dass die Lehrer keinen anständigen Unterricht mehr führen – weil sie so sehr mit den Kindern der Einwanderer beschäftigt sind, sodass unsere einheimischen Kinder automatisch auch hinten bleiben.

Auf der anderen Seite sehe ich das Problem, dass wir unseren Schülern heutzutage nichts mehr Bodenständiges, Südtirolerisches beibringen. Das habe ich schon so vielen Landesräten gesagt, aber keiner unternimmt was. Du kannst unseren Kindern nicht die griechische, ägyptische oder römische Geschichte beibringen – und die Südtiroler Geschichte weiß kein Mensch mehr. Bei den zahlreichen Gemischt-Ehen, die wir mittlerweile im Land haben, brauchen wir uns auch nicht erwarten, dass ein Ehepartner seinen Kindern unsere jüngste Südtiroler Geschichte erzählt – wenn sie sie überhaupt selbst noch wissen.

Schon der damalige Bildungslandesrat Bruno Hosp hat mir erzählt, dass das alles Themen sind, die eigentlich im Bildungsplan drin wären. Aber das ist meistens so weit hinten, dass die einzelnen Lehrer gar nicht mehr dazu kommen. Da müssten wir zuerst eimal die Schulbücher überarbeiten und dieses so wichtige Thema an erster Stelle bringen. Denn unsere Geschichte ist das Wichtigste für unsere Schüler, damit sie sich ihrer Identität bewusst werden. In dieser Hinsicht finde ich den amtierenden Landesrat Philipp Achammer einfach unmöglich! Er ist nämlich nicht in der Lage, die Schule in Südtirol richtig zu führen.

Wenn ich Sie richtig verstehe, liegt das Problem also an der politischen Führung?

 
Von Landeshauptmann Kompatscher halte ich überhaupt nichts, das haben Sie schon richtig verstanden. Aber wenn ich mir diese neue Landesregierung insgesamt so anschaue, dann habe ich nur Hoffnung in drei Regierungsmitglieder. Es sind dies Peter Brunner, Daniel Alfreider und die Rosmarie Pamer. Bei der Landesrätin Pamer gefällt mir zwar nicht so sehr, dass sie von Karl Zeller so abhängig ist – aber bitte, das muss sie selber wissen.

Aber diese drei Landesräte arbeiten, meines Erachtens nach, mit einem gewissen Hausverstand und bemühen sich immerhin Lösungen zu finden. Da fällt mir vielleicht als Vierter noch der Hubert Messner ein, weil er eben ein super Arzt war, der europaweit bekannt war. Der kümmert sich aber ohnehin nur um den medizinischen Teil und mischt sich, soweit ich das mitkriege, in den anderen Bereichen gar nicht ein.

Mit Ausnahme von Brunner, Alfreider und Pamer habe ich aber wenig Hoffnung, was die neue Regierung betrifft.

Höre ich da zwischen den Zeilen heraus, dass Sie sich einen Peter Brunner als nächsten Landeshauptmann wünschen würden?

 
Ja, ich hoffe sehr, dass solche Leute irgendwann an die Macht kommen. Natürlich dauert das jetzt noch dreieinhalb Jahre lang und da kann noch so vieles passieren. Aber ich hoffe und wünsche es dem Land. Denn mit Kompatscher geht das Land den Bach herunter. Die Volkstumspolitik hat diesen Herrn sowieso nie interessiert.

Dass wir in den deutschen Schulen zu wenig Deutsch lernen, davon hört man von dieser Regierung gar nichts. Im Gegenteil: Es wird höchstens bemängelt, dass unsere Leute in den Tälern zu wenig Italienisch sprechen würden. Da sind sie dann plötzlich wieder alle laut!

Die letzten Generationen haben sich so wahnsinnig angestrengt, dass wir das bekommen, was wir jetzt haben. Und jetzt sind wir dabei, das alles wieder zu verschenken oder zu verwässern. Das ist eine Katastrophe!

Jetzt einmal angenommen, Sie wären heute noch im Landtag...

 
…dann wäre ich wahrscheinlich in der Opposition. Aber gut, das habe ich jetzt vielleicht etwas kalt hinausgeschossen. Umgekehrt, wenn man zwei Sekunden nachdenkt, wäre es vielleicht doch schlauer, Teil der Mehrheit zu sein. Um von dort heraus ein paar Leute aufzuwecken. Aber ob mir das wirklich gelingen würde bei dieser Regierung – das weiß ich selber nicht.

Ich würde mir sowieso wünschen, dass diese Landesregierung nicht allzu lange hält. Und da geht es mir nicht um die paar Leute, die ich sehr schätze. Sondern es geht mir darum, dass die Beteiligten endlich wieder anfangen, ihren Kopf einzuschalten. Schauen Sie, in Meran haben wir vor nicht allzu langer Zeit noch den Bürgermeister gestellt. Und ich sage da bewusst WIR, weil ich mich immer noch als Volksparteiler fühle. Aber was war bei der letzten Wahl? Da haben wir gerade einmal 15,5 Prozent bekommen! Wie so etwas passieren konnte, darüber denkt wieder keiner nach. Es fragt sich ja auch keiner, warum wir bei den Landtagswahlen so schlecht abgeschnitten haben.

Alle jammern über die politische Konkurrenz, anstatt sich einmal selbst die Frage zu stellen, warum diese Konkurrenz überhaupt entstanden ist. Weil die SVP nicht imstande war, den Bürgern die richtigen Antworten zu geben. In der Einwanderungsfrage zum Beispiel, da tut die SVP genau gar nichts! Und jetzt lässt sie ausgerechnet eine Ulli Mair das bisschen machen, was sie tun kann. Abgesehen davon, dass wir die Kompetenz in dieser Frage gar nicht haben, da es ein europaweites Thema ist. Aber auch da muss ich als Partei den Finger immer wieder in die Wunde legen. Das macht der Söder in Bayern ja auch – der hat auch kein Kompetenz, legt den Finger aber trotzdem immer wieder in die Wunde und nickt nicht alles stillschweigend ab. Genau so würde sich das bei uns auch gehören.

Aber wie kann es gelingen, in der Einwanderungsfrage tatsächlich etwas zu bewegen?

 
Indem wir die Chancen nutzen, die wir ja hätten – aber die wir derzeit nicht anrühren.

Die Kritiker haben schon recht, wenn sie sagen, warum sprecht ihr den Staatspräsidenten Mattarella nicht einmal auf diese brisanten Themen an, wenn er schon Urlaub bei uns macht. Vor allem könnten wir da immer dazu sagen, dass wir dieses Einwanderungs-Problem deshalb so groß haben, weil bei uns die ganzen Schulen verwässert werden.

Wir schaffen es ja gar nicht mehr, unseren Kindern ein ordentliches Deutsch beizubringen. Das passiert alles nur, weil wir wegen diesen ganzen Einwanderern hinten bleiben. Das sind klare Argumente, die wir hier auf unserer Seite hätten. Aber die müssen wir dann auch immer wiederholen, bis sie irgendwann in Rom auch gehört werden.

Zum Abschluss etwas Persönliches: Wie war für Sie eigentlich damals der Umstieg vom Politiker zurück zur Privatperson?

 
Wie Sie wissen, gab es da ja einige Gerichtsprozesse, die mir angehängt wurden. Weshalb ich notgedrungen aufgeben musste – obwohl es mir, im Grunde meines Herzens, brutal weh getan hat. Einerseits wehgetan wegen den ganzen Anschuldigungen – und andererseits, weil ich genau gewusst habe, dass ich politisch nichts mehr zu sagen haben werde. Du bist dann plötzlich weg vom Fenster! Durch diese ganze Geschichte war ich verletzt und angeschossen. Woraufhin ich mich in der Öffentlichkeit eine Zeit lang gar nicht mehr habe sehen lassen.

Ich habe mich geschämt, aber nicht vor mir selber. Sondern, weil ich es einfach nicht verstanden habe – dass ich da plötzlich so gebrandmarkt wurde. Vor allem aber habe ich mich geschämt vor der Öffentlichkeit. In Bruneck hat mir damals eine ältere Frau, die ich zuvor noch nie gesehen habe, mitten auf dem Gehsteig ins Gesicht gespuckt. „Sie, Gauner, Sie!“, hat sie mir nachgebrüllt. Und das schwächt einen Menschen natürlich.

Erst als ich die ganzen Freisprüche bekommen habe, habe ich mich langsam wieder in Gries, wo ich aufgewachsen bin, sehen lassen. Heute habe ich zum Glück keine Probleme mehr damit. Aber das war eine narrisch, schwierige Zeit. Wenn man dann gleichzeitig mitbekommt, was politisch im Land so aufgeführt wird, hat man irgendwann kein Verständnis mehr dafür. Ich habe aber verziehen und verstehe mich mit vielen Leuten von damals wieder ganz gut, so auch mit Alt-Landeshauptmann Durnwalder. Bei ihm wundert es mich vor allem, wie selten er von den aktuellen Verantwortungsträgern um einen Rat gefragt wird. Dabei gäbe es für die heutige Politikergeneration ja keinen einfacheren Weg, als einen so erfahrenen Mann um seine Einschätzung zu fragen. Aber so ein Verhalten spricht leider für sich.

Vielen Dank für das ausführliche Interview!

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