von Alexander Wurzer 10.08.2024 08:00 Uhr

Faschistische Straßennamen: Ein unaufgearbeiteter Teil unserer Geschichte

Die jüngste Entscheidung Italiens, eine Briefmarke zu Ehren von Giovanni Gentile herauszubringen, dem Urheber der berüchtigten Lex Gentile, hat verständlicherweise in Südtirol Empörung ausgelöst. Diese Provokation dient als erschreckendes Beispiel dafür, wie tief verwurzelt Relikte und Persönlichkeiten des Faschismus in Italien sind.

Die Armando-Diaz-Straße in Bozen (Quelle: Südtiroler Heimatbund)

Aber auch in Südtirol ist der Faschismus noch allgegenwärtig. Es sind nicht nur das Siedesdenkmal oder der Kapuzinerwastl, die uns an diese dunkle Zeit erinnern. In Südtirol, vor allem aber in Bozen, finden sich zahlreiche Straßen, die nach Persönlichkeiten des faschistischen Regimes benannt sind. Diese Allgegenwart des Faschismus ist nicht nur ein Relikt der Vergangenheit, sondern eine fortwährende Beleidigung für die Bevölkerung Südtirols.

Faschistische Straßennamen in Südtirol

In zahlreichen Ortschaften Südtirols begegnet man Straßen, die Namen von prominenten Persönlichkeiten des faschistischen Italiens tragen. Diese Namen sind mehr als nur historische Relikte; sie sind ständige Erinnerungen an eine dunkle und unterdrückende Epoche in der Geschichte des Landes. Straßen wie die “ Cesare-Battisti-Straße“, “ Duca-d’Aosta-Allee“ und die „Armando-Diaz-Straße“ sind schmerzliche Mahnmale einer Zeit, die für viele Südtiroler immer noch mit großem Leid verbunden ist.

Cesare Battisti, ein irredentistischer Held, wird oft glorifiziert, obwohl seine Aktivitäten zur Förderung der italienischen Annexion von Trentino und Südtirol beitrugen. Diese Annexion führte nach dem Ersten Weltkrieg unter dem faschistischen Regime von Mussolini zu einer Zeit der Unterdrückung und Zwangsitalianisierung der lokalen Bevölkerung. Battistis sterbliche Überreste wurden in einem von italienischen Faschisten errichteten Mausoleum bei Trient beigesetzt. Emanuele Filiberto di Savoia-Aosta, bekannt als Duca d’Aosta, war ein prominenter Militärführer im Ersten Weltkrieg. Er war der Oberbefehlshaber der italienischen 3. Armee und spielte eine wichtige Rolle in den Schlachten am Isonzo. 1926 wurde Emanuele Filiberto unter Mussolinis faschistischem Regime für seinen Einsatz im Krieg geehrt und zum „Marschall von Italien“ erhoben. Die Ehrung von Armando Diaz, einem General, der im Ersten Weltkrieg eine bedeutende Rolle spielte, ist ebenfalls problematisch. Diaz wurde von Mussolini als Held gefeiert und symbolisierte die militärische Unterstützung des faschistischen Regimes als Kriegsminister vom 30. Oktober 1922 bis 30. April 1924.

Der fortwährende Schmerz der faschistischen Straßennamen

Diese Namensgebung ist nicht nur eine Beleidigung für die Opfer des Faschismus, sondern auch für die gesamte Südtiroler Bevölkerung, die jahrzehntelang unter der italienischen Unterdrückung gelitten hat. Die Aufrechterhaltung dieser Namen kann als Verharmlosung oder gar Verherrlichung einer Ideologie verstanden werden, die für Leid und Unrecht verantwortlich ist.

Interview mit Harald Stauder, SVP-Fraktionssprecher

Um mehr über die aktuelle Situation und die Bemühungen zur Entfernung dieser faschistischen Relikte zu erfahren, hat UT24 mit Harald Stauder, dem Fraktionssprecher der Südtiroler Volkspartei, gesprochen:

Anlässlich der Diskussion um die Gentile-Briefmarke ist es auch so, dass unzählige Straßen in Südtirol und vor allem in Bozen nach Faschisten benannt sind. Wie soll man Ihrer Meinung nach damit umgehen?

Die Benennung von Straßen und Plätzen ist Kompetenz der Gemeinden und somit außerhalb des Einflusses der Landespolitik. Die meisten Gemeinden haben Kommissionen, welche die Benennungen oder eventuelle Änderungen vorschlagen.

Hier wäre neben der Politik auch die kritische Zivilgesellschaft gefordert. In anderen Ländern Europas gab es in den vergangenen Jahren intensive Diskussionen um die Streichung von Namen von Persönlichkeiten, deren Leben nicht so war, dass sie mit der Benennung eines öffentlichen Ortes gewürdigt werden sollten. Die Diskussion ging mir persönlich zum Beispiel in Deutschland dabei zu weit; zeigt jedoch, dass aus der kritischen Bürgerschaft heraus, einiges möglich wäre. Ideal für die Oma/Opas, Künstler usw. gegen rechts. Möglichst sprachgruppenübergreifend natürlich.

Plant die SVP aktuell konkrete Maßnahmen, um sicherzustellen, dass die Geschichte des Faschismus in Südtirol angemessen aufgearbeitet und die entsprechenden Straßennamen umbenannt werden?

Die Aufarbeitung der Geschichte Südtirols ist auf der Seite der deutschsprachigen Bevölkerung schon seit Jahrzehnten im Gange und meines Erachtens auf einem guten Weg. Wie weit das Thema Faschismus in Südtirol und Unterdrückung der Südtiroler in den italienischen Schulen thematisiert wird, kann ich nicht beurteilen, werde aber in diese Richtung tätig werden.

Sehen Sie in der jüngsten Kontroverse um die Gentile-Briefmarke eine Chance, das Bewusstsein für die Notwendigkeit der historischen Aufarbeitung zu schärfen?

Solche Kontroversen zeigen immer wieder, dass trotz der vielen Fortschritte, noch einiges im Argen liegt. Auf der anderen Seite böten sie die Möglichkeit, Zeichen zu setzen. Leider hat es keine italienische Partei in Südtirol für notwendig empfunden, auf die sehr negative Wirkung des Minister Gentile für die Südtiroler hinzuweisen und sein Wirken in Südtirol zu verurteilen. Es wäre ein wichtiges Zeichen gewesen; wie immer man Gentile und sein Leben im Gesamtstaat auch beurteilen mag. Solche vertanen Möglichkeiten zeigen, dass noch viel in die Kultur und das Verstehen investiert werden muss.

Stellungnahmen anderer Parteien

UT24 hat auch Vertreter der anderen deutschen Parteien kontaktiert und die Frage gestellt, wie sie die Situation mit den faschistischen Straßennamen bewerten und welche Schritte sie für notwendig halten, um diese historische Belastung zu überwinden und die Erinnerungskultur in Südtirol zu verändern. Hier die Antworten:

Brigitte Foppa, Abgeordnete der Grünen:

„Die Gentile-Briefmarke ist eine unerhörte Verfehlung, die tatsächlich aufzeigt, wer in Italien am Werke ist – und wir wollen nicht vergessen, dass das die Partner in der Südtiroler Landesregierung sind, Vize-LH eingeschlossen. Diese Episode zeigt deutlich, wie sehr der Bruch mit dem Faschismus und dessen breite Aufarbeitung fehlen. Straßen- oder auch Schulnamen, die faschistische und nationalsozialistische Anhänger, Persönlichkeiten, Kriegsschauplätze etc. würdigen, gehören schon längst ausgetauscht. Straßennamen sind Ausdruck von Würdigung, darauf weisen wir immer hin, wenn wir uns dafür einsetzen, dass mehr Straßen nach Frauen benannt werden. Es war eine sehr schöne Wahlkampfaktion vor einigen Jahren, als wir grüne Frauen den Vorschlag gemacht haben, die faschistischen Straßennamen durch Namen von Frauen zu ersetzen, die gerade gegen Faschismus und Nationalsozialismus gekämpft haben. Es ist dringend notwendig, Faschismus und Nationalsozialismus aufzuarbeiten. Teile dieser Aufarbeitung könnten sein:

  • Abschaffung aller öffentlichen Benennungen, die mit NS und Faschismus in Zusammenhang stehen
  • Didaktisierung, Musealisierung und bessere Beschreibung der faschistischen Relikte, Umwandlung in Mahnmale, keine unerklärten Zweckbauten als solche beibehalten
  • Forschung und Lehre zum Thema ausdehnen, auch mit Schulprojekten
  • Spezielle Förderung für kulturelle Projekte, die sich mit der Aufarbeitung von Faschismus und NS in Südtirol befassen.“

Maria Elisabeth Rieder, Landtagsabgeordnete des Team K:

„Tatsache ist, dass eine ernsthafte historische Aufarbeitung des Faschismus in Italien, anders als in Deutschland, nicht wirklich stattgefunden hat. Das ist gerade für Südtirol sehr problematisch. Die Straßen, die nach Personen des faschistischen Regimes benannt sind, müssten dringend umbenannt werden, das wäre das Mindeste. Es ist wichtig, diese Umbenennungen gemeinsam mit den Mitbürgern der Sprachgruppen zu erarbeiten, damit es kein Gegeneinander der Sprachgruppen wird. Aus meiner Sicht haben die politischen Entscheidungsträger in unserem Land viel zu viel Angst vor Kritik und Diskussionen, die dann entstehen können. Aber gerade, wenn diese Diskussionen entstehen, ist das ein Zeichen dafür, dass es noch viel aufzuarbeiten gibt. Es muss noch offen diskutiert und unterschieden werden, was Relikte des Faschismus sind und was zur Erinnerungskultur beiträgt. Es fällt mir aber schwer zu glauben, dass diese offene Diskussion mit den Fratelli d’Italia möglich ist.“

Roland Stauder, Obmann der Freiheitlichen:

„Die Gentile-Briefmarke und das Festhalten an Straßennamen benannt nach Faschisten zeigt leider wieder, dass gewisse Kreise nach wie vor in der historischen Mottenkiste beheimatet sind.
Bei den Straßennamen liegt die Zuständigkeit bei den Gemeinderäten und eine einfache Mehrheit würde ausreichen, um zweifelhafte Figuren von den Straßenschildern (vor allem Bozen) zu tilgen.
Was die historische Belastung im Allgemeinen betrifft, muss wirksam darauf hingewiesen und diese aufgearbeitet werden. Nicht zuletzt wäre es zielführend, wenn die Italiener verstehen, dass sie neben den Hauptopfern, den Deutschen und Ladinern, zum Teil auch Opfer des Faschismus in Südtirol sind. Eine Weiterentwicklung dieses Gedankens der in letzter Konsequenz zu einem unabhängigen Land, mit zwei Kulturen und drei Sprachen führen wird („kleine Schweiz“) ist daher unabdingbar, um sich frei von faschistischem und revanchistischem Gedankengut zu entwickeln.“

Sven Knoll, Landtagsabgeordneter der Süd-Tiroler Freiheit:

„Die Polemik um die Gentile-Briefmarke offenbart leider die Falschheit, mit der die Landesregierung an dieses Thema herangeht. Es ist nicht aufrichtig, wenn man auf der einen Seite zwar zu Recht die Herausgabe einer solchen Briefmarke kritisiert, die einen faschistischen Minister ehrt – das wäre ja in jedem anderen Staat undenkbar, man stelle sich vor, wenn in Deutschland oder Österreich die Regierung eine solche Briefmarke herausgeben würde – aber auf der anderen Seite selbst nichts zur Beseitigung von faschistischen Relikten und faschistischen Namen tut. Das ist einfach unglaubwürdig.

Wir hatten in Südtirol in den letzten Jahren immer wieder Diskussionen, beispielsweise über Straßennamen. Es gibt in Bozen viele Namen, die an faschistische Generäle oder an Orte erinnern, wo die Faschisten große Verbrechen begangen haben, teilweise sogar Völkermorde. Das gleiche Problem haben wir bei Denkmälern.

Ich rufe hier das Alpini-Denkmal in Bruneck in Erinnerung, das ja einen Völkermord glorifiziert. Da schaut man immer bewusst weg. Landeshauptmann Kompatscher hat uns jetzt kritisiert und so ein bisschen die polemische Frage gestellt, was er denn tun solle als Reaktion auf diese Briefmarke. Er will ja nicht die Region deswegen auflösen. Aber was er konkret tun könnte, ist, etwas gegen die faschistischen Relikte und gegen die faschistischen Ortsnamen in Südtirol zu unternehmen. Denn niemand kann Südtirol zwingen, diese faschistischen Ortsnamen auch zu verwenden, zumal ein großer Teil dieser Namen nicht einmal mehr amtlich ist.

Ich denke, hier wäre es auch notwendig, die Gemeinden in die Verantwortung zu nehmen. Es wurde ja vom Gemeindenverband vor einigen Jahren nach Protesten von Schülern angekündigt, dass es zu einer Erhebung kommen soll, welche Straßennamen in Südtirol problematisch sind und eventuell abgeändert werden müssen. Dies ist aber offensichtlich nie gemacht worden, jedenfalls ist mir nicht bekannt, dass eine solche Erhebung jemals veröffentlicht wurde, weil man dem Problem einfach aus dem Weg gehen will.

Deswegen sagen wir: Wenn man glaubhaft gegen Faschismus und seine Wiederbetätigung und Verharmlosung auftreten will, dann muss man auch konsequent sein und sagen, dass die faschistischen Ortsnamen und vor allem die faschistischen Relikte in Südtirol genauso schlimm sind. Es ist einfach nicht glaubhaft, wenn man den Staat kritisiert, aber selbst im eigenen Land seine Hausaufgaben nicht macht. Hier hätte Kompatscher genug zu tun.“

Symbole der Unterdrückung aus öffentlichem Raum entfernen

Die Präsenz von faschistisch konnotierten Straßennamen – da sind sich alle Parteien einig – ist ein fortwährendes Symbol der Unterdrückung und ein schmerzlicher Stachel im Fleisch der Südtiroler Bevölkerung. Es ist höchste Zeit, dass diese Relikte des Faschismus endgültig aus dem öffentlichen Raum entfernt und durch Namen ersetzt werden, die Frieden, Versöhnung und Demokratie symbolisieren. Nur so kann Südtirol sich von den Schatten der Vergangenheit befreien und eine Zukunft in Würde und Gerechtigkeit gestalten.

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