von gk 30.07.2024 16:28 Uhr

„Furberia all’Italiana“: Aus Faschisten werden Antifaschisten

Unmittelbar nach Ende des Zweiten Weltkrieges sollte Südtirol methodisch der fortdauernden Herrschaft des italienischen Staates unterworfen und planmäßig durch Besetzung amtlicher Stellen durch ehemalige Faschisten refaschistisiert werden. Dokumente und Berichte aus Südtirol zeichnen ein erschütterndes Bild des Terrors gegenüber der Bevölkerung.

In den Städten demonstrierten die Italiener auch nach Kriegsende in martialischen Aufmärschen gerne ihre Macht. Im Bild Bersaglieri-Veteranen (Bild: Effekt Verlag)

Die seltsame Rolle italienischer Befreiungskräfte

„Zu Kriegsende 1945 ging es für die politisch bestimmenden Kräfte in Italien parteienübergreifend um die Bewahrung der Kriegsbeute aus dem Ersten Weltkrieg, um den Verbleib Südtirols bei Italien. Dieses Ziel verfolgte auch der antifaschistische italienische „Befreiungsausschuss“ CLN („Comitato di Liberazione Nazionale), der rasch auch ehemalige Faschisten in seine Reihen aufnahm und die alte faschistische Entnationalisierungspolitik und die gezielte italienische Unterwanderung Südtirols fortzuführen begann. Große Südtiroler Kundgebungen mit der Forderung nach Selbstbestimmung hätten durch internationales Aufsehen diese Politik ernsthaft stören und die Weltalliierten unter Druck setzen können, die eigentlich lieber die Interessen Roms unterstützten, um Italien so rasch als möglich in ein westliches Militärbündnis einbinden zu können.

  • Der exilierte Südtiroler Ernst Mumelter verbreitete unter dem Pseudonym Hans Fingeller "Die Wahrheit über Südtirol" (Bild: Effekt Verlag).

Terror gegen die einheimische Bevölkerung

Diese Dokumentation behandelt die gewaltsamen und repressiven Ereignisse in Südtirol vom Kriegsende 1945 bis zu der Entscheidung der alliierten Außenminister am 1. Mai 1946, die österreichische Forderung nach Rückgliederung Südtirols abzuweisen.

Die Bevölkerung Südtirols wurde damals durch brutalen Terror niedergehalten. Sogenannte „Nachkriegspartisanen“, auch auch Gewalttäter in italienischen Militäruniformen bedrohten die deutsche und ladinische Bevölkerung, plünderten, raubten und mordeten sogar in einer Reihe von Fällen. Der damalige Organisationsleiter der SVP, Dr. Friedl Volgger, ein ehemaliger von den Faschisten und Nationalsozialisten Verfolger und KZ-Häftling, schilderte in seinen Lebenserinnerungen die damalige Situation: „Begreiflicherweise saß den Leuten auch noch viel Angst in den Knochen. Die Italiener gebärdeten sich schon wieder allmächtig im Lande, wenn auch das letzte Wort den Alliierten zustand. Es kam zu Übergriffen von Seiten der italienischen Militäreinheiten, zu willkürlichen Verhaftungen, usw. So zogen es nicht wenige vor, zunächst einmal aus dem Fenster zu schauen und die weitere Entwicklung abzuwarten. […] Es war nicht einfach, den Leuten diese Furcht auszureden.“

Die Duldung der Gewalttaten

Die alliierte Militärregierung, die italienischen Behörden und die Regierung in Rom sahen nahezu ausnahmslos schweigend und tatenlos zu. Die politische Folge war, dass die einheimische Bevölkerung Südtirols mit solchen Methoden geduckt am Boden gehalten und wieder unter das Joch der Unterdrückung gezwungen wurde. Auch wenn die Motive einzelner Gewalttäter zumeist kriminelle waren, so waren die Auswirkungen dieses Geschehens durchaus von politischer Bedeutung.

Die Fortführung der faschistischen Politik

Hand in Hand mit diesem Terror erfolgte eine planmäßig durchgeführte Refaschistisierung des öffentlichen Lebens in Südtirol einschließlich der Besetzung amtlicher Stellen durch ehemalige Faschisten. Die vorliegende Dokumentation schildert, wie mit Entschlossenheit die alte Politik des Ethnozid, des kulturellen Völkermords, fortgesetzt wurde. Eine staatliche gelenkte Zuwanderung aus dem Süden in Verbindung mit zielgerichteten Maßnahmen sollten das von Mussolini begonnene Werk vollenden, die Volksgruppen der Deutschen und Ladiner sprachlich und kulturell auszulöschen und ihnen eine einheitliche italienische Prägung zu verpassen.

  • Soldaten der Kampftruppe "Friuli". Sie waren von den Alliierten mit britischen Uniformen und britischer Bewaffnung ausgerüstet worden.

Noch nie veröffentlichte Berichte

In dem Tiroler Landesarchiv, dem Südtiroler Landesarchiv, dem Österreichischen Staatsarchiv in Wien und in anderen Sammlungen liegen Dokumente und Berichte aus Südtirol vor, welche ein erschütterndes Bild damaligen Terrors gegenüber der Südtiroler Bevölkerung zeichnen. Viele dieser Dokumente sind noch nie publiziert worden. In der vorliegenden Arbeit werden Berichte aus der Zeit vom Mai 1945 bis zum Mai 1946 erstmals der Öffentlichkeit bekannt gemacht. Sie geben exemplarisch einen Teil eines offenbar viel größeren Geschehens wieder. In einem Geheimbericht vom September 1945 heißt es nämlich, dass die Südtiroler Volkspartei (SVP) wöchentlich etwa 5 Tatberichte über Überfälle, Diebstähle, Raub, Plünderung und Mord erhalte. Wie das SVP-Parteiorgan „Volksbote“ am 21. März 1946 berichtete, seien in einer einzigen Eingabe an die zuständigen Behörden rund 60, teils blutige, teils unblutige Überfälle aufgezählt gewesen. Dieses Dokument ist leider nicht erhalten geblieben. Es müssen sich in der Zeit von Mai 1945 bis Mai 1946 demnach wesentlich mehr derartige Vorkommnisse ereignet haben, als durch erhalten gebliebene Tatschilderungen in den öffentlichen Archiven dokumentiert sind. Dass auch die in dieser Dokumentation vorgelegten Berichte Jahrzehnte lang unter Verschluss gehalten worden waren, hatte politische Gründe gehabt und war zum Teil auch von Angst diktiert gewesen. Der damalige SVP-Parteiobmann Erich Amonn und sein Generalsekretär Dr. Josef Raffeiner hatten nach eigener Aussage gefürchtet, mittels des noch immer in Kraft befindlichen faschistischen Strafgesetzbuches, des „Codice Penale“, wegen Schmähung der italienischen Nation und der bewaffneten Streitkräfte angeklagt zu werden, wenn sie die ihnen aus den einzelnen Ortsgruppen der Partei zugegangenen Berichte öffentlich machten. Sie hielten sich daher unter der Decke der Verschwiegenheit und informierten auch die Vertreter der Alliierten Militärregierung lieber nur mündlich.

Das Wissen um die Geschehnisse hilft, die weitere Entwicklung zu verstehen

Zur Darstellung des Geschehens gehört auch die Schilderung der damaligen Haltung des hohen und niederen Klerus Südtirols. Diese Priester und zahlreiche ihrer weltlichen Freunde und Verbündeten versuchten mit Denkschriften, Unterschriftenaktionen und Volkswallfahrten das Blatt zugunsten Südtirols zu wenden – leider vergeblich. Ihr Verhalten war jedoch ein Lichtblick in einer düsteren Zeit und ist in diesem Werk ebenfalls ausführlich dokumentiert. Ein Blick in das erschütternde Geschehen unmittelbar nach Kriegsende hilft, die weitere Entwicklung im Lande bis zu dem Wendepunkt des dramatischen Protestes der „Feuernacht“ des Jahres 1961 besser zu verstehen.“

 

 

Der obige Auszug stammt aus dem Buch „Repression. Band 1. Wie Südtirol 1945/46 wieder unter das Joch gezwungen wurde“ von Helmut Golowitsch.

Golowitsch, Helmut: Repression. Band 1. Wie Südtirol 1945/46 wieder unter das Joch gezwungen wurde: Neumarkt a.d. Etsch: Effekt!. 2020. ISBN: 978-88-97053-68-2

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