von red 25.06.2024 17:25 Uhr

Vor 85 Jahren: „Gehen“ oder „Bleiben“

Im Jahr 1939 sind die Südtiroler vor eine zutiefst existenzielle Entscheidung gestellt worden, die ihre Zukunft und Identität grundlegend beeinflussen sollte: die „Option“. Diese historische Episode ist eng mit den politischen Verhältnissen und den Machtdynamiken zwischen Deutschland und Italien zur Zeit des Zweiten Weltkriegs verbunden.

Bild aus UT24-Archiv

Südtirol, eine Region mit einer mehrheitlich deutschsprachigen Bevölkerung, war nach dem Ersten Weltkrieg infolge des Vertrags von St. Germain vom Vaterland Österreich abgetrennt und Teil des Königreichs Italien geworden. Diese politische Entscheidung führte zu Spannungen, da die einheimische Bevölkerung eine tiefe kulturelle und historische Verbundenheit mit dem deutschen Sprach- und Kulturraum pflegte. Unter dem faschistischen Regime Italiens begann ab 1922 eine Politik der Italianisierung in Südtirol, die darauf abzielte, die deutsche Kultur zu unterdrücken und zu assimilieren. Dies führte zu erheblichen Spannungen und Unzufriedenheit unter der deutschsprachigen Bevölkerung.

Mit dem Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich im Jahr 1938 und der zunehmenden Allianz zwischen Deutschland und Italien unter dem Dach der Achsenmächte verschärften sich die Spannungen in Südtirol weiter. Italienische Garantieerklärungen für die Brennergrenze nach dem Anschluss Österreichs beruhigten die südtirolische Bevölkerung nur kurzzeitig. Es war offensichtlich, dass deutsche Ambitionen auf Südtirol nicht ausgeschlossen waren, trotz offizieller Freundschaftsbekundungen zwischen Deutschland und Italien.

Die „Option“ - Entweder oder

Vor diesem Hintergrund sah das faschistische Italien in der „Option“ eine praktikable Lösung für das „Südtiroler Problem“: Die Bevölkerung wurde vor die Wahl gestellt, entweder die deutsche Staatsbürgerschaft anzunehmen und in das Deutsche Reich auszuwandern oder die italienische Staatsbürgerschaft zu behalten und in Südtirol zu bleiben. Diese Wahl wurde durch das Abkommen vom 23. Juni 1939 formalisiert, das von den Durchführungsbestimmungen vom 26. Oktober 1939 begleitet wurde.

  • Foto ©: „Fotomontage SSB“, Abdruck bzw.

Schicksal39 ist eine Plattform des Südtiroler Schützenbundes, um Geschichten, Gedanken und Gefühle zur Option zu veröffentlichen, um Zeugnis abzulegen, Dokumente zu bewahren, die Auswirkungen zu dokumentieren. – Foto: © „Fotomontage SSB“

Für die Südtiroler selbst stellte diese Wahl eine fatale Alternative dar. Die Entscheidung „für Deutschland“ versprach die Sicherung der kulturellen Identität, jedoch auf Kosten sozialer, wirtschaftlicher und familiärer Bindungen – ein Verlust der „Heimat“. Der Verbleib in Italien bedeutete dagegen, als Minderheit in einem zunehmend repressiven faschistischen Regime zu verharren, welches auf Assimilation und Unterdrückung ausgerichtet war.

Mehrheit „für Deutschland“

Die Entscheidung fiel überwiegend „für Deutschland“ aus: Mehr als 85 Prozent der zur Option zugelassenen Südtiroler unterzeichneten bis Ende 1939 das Optionsformular für die deutsche Staatsbürgerschaft. Dies führte zur Auswanderung von etwa 75.000 Südtirolern, was einem erheblichen Teil der Bevölkerung entsprach. Die Übersiedlung war jedoch nicht für alle möglich, da viele an der Ablöse ihres Vermögens und dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs scheiterten.

Die „Option“ von 1939 bleibt bis heute ein zentraler und kontroverser Punkt in der Geschichte Südtirols. Sie wird oft als ein bedeutendes Trauma in der kollektiven Erinnerung der Südtiroler betrachtet, das tiefe Spaltungen und Konflikte innerhalb der Gesellschaft verursachte. Die Interpretation der Entscheidung ist Gegenstand intensiver historischer Debatten: Während einige sie als eine Unterstützung für das nationalsozialistische Deutschland sehen, interpretieren andere sie als eine verzweifelte Ablehnung der faschistischen Unterdrückung.

Insgesamt bleibt die „Option“ von 1939 ein bedeutendes Beispiel dafür, wie politische Entscheidungen das Leben und die Zukunft ganzer Bevölkerungsgruppen grundlegend verändern können. Ihre Auswirkungen sind bis heute spürbar und stellen eine Herausforderung für die historische Forschung und Erinnerungskultur dar.

Von Andreas Raffeiner

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