von red 24.06.2024 18:49 Uhr

Landtagsabgeordnete Maria Elisabeth Rieder im UT24-Gespräch

Obwohl Frauen mehr als die Hälfte der Bevölkerung ausmachen, sind sie in der Politik nach wie vor unterrepräsentiert. Maria Elisabeth Rieder vom Team K ist eine engagierte Frau, die im nachstehenden UT24-Interview über die erforderlichen strukturellen und kulturellen Veränderungen spricht. Diese seien vonnöten, um den Frauenanteil in der Politik nachhaltig zu steigern. Sie teilt ihre persönlichen Erfahrungswerte im Umgang mit geschlechtsspezifischen Vorurteilen und gibt Einblicke in erfolgreiche Maßnahmen und Strategien. Zudem betont sie die Bedeutung von respektvollem Umgang im politischen Diskurs und erläutert ihre Visionen für die Zukunft Südtirols.

Maria Elisabeth Rieder, Landtagsabgeordnete des Team K - Foto: Maria Elisabeth Rieder

UnserTirol24: Frau Rieder, welche strukturellen und kulturellen Veränderungen sind Ihrer Meinung nach erforderlich, um eine tiefgreifende oder vielleicht auch nachhaltige Steigerung des Frauenanteils in der Politik zu erreichen? Können Sie spezifische Beispiele aus anderen Ländern oder Bereichen nennen, die als Vorbild dienen könnten?

Maria Elisabeth Rieder: Der Frauenanteil in der Politik ist im Verhältnis zum Frauenanteil in der Bevölkerung zu gering. Über die Hälfte der Südtiroler Bevölkerung sind Frauen. Im Landtag sitzen in dieser Legislaturperiode zehn Frauen, da stimmt das Verhältnis nicht. Leider ist es immer noch so, dass viele Menschen den Frauen die Politik nicht zutrauen. Am schwierigsten ist es für Frauen, wenn sie zum ersten Mal in ein politisches Amt gewählt werden. Sind sie einmal gewählt, arbeiten sie meist hart und werden dann auch wieder gewählt. Zum anderen sind Frauen nach wie vor überwiegend für die Erziehung der Kinder und die Pflege von Angehörigen zuständig, was sich nur schwer mit der anspruchsvollen politischen Arbeit vereinbaren lässt. Erziehungs- und Pflegearbeit muss gerecht verteilt und zur Aufgabe von Männern und Frauen werden. In den vergangenen Jahren hat sich einiges getan, aber es bleibt noch viel zu tun.

UT24: Wie gehen Sie persönlich mit geschlechtsspezifischen Vorurteilen oder Diskriminierungen um, die Ihnen in Ihrer politischen Karriere begegnet sind?

Rieder: Ich habe gelernt, meinen Weg zu gehen und mich von diesen Vorurteilen nicht aufhalten zu lassen. Das kostet aber oft viel Kraft und ist nicht immer einfach. Im Laufe der Jahre habe ich gelernt, dass ich als Frau mehr arbeiten und leisten muss als Männer. Frauen bekommen im Gegensatz zu Männern selten einen Vertrauensvorschuss, sie müssen, gerade in der Politik, aber nicht nur dort, immer wieder beweisen, dass sie es können. Dazu gehört eine Portion Selbstbewusstsein und Durchsetzungsvermögen, sonst hat Frau keine Chance.

Ich glaube, dass noch nicht alle Abgeordneten im „Hohen Haus“ angekommen sind.

Landtagsabgeordnete Maria Elisabeth Rieder

UT24: Kurz zu Hannes Rabensteiner und der Süd-Tiroler Freiheit, ohne die persönlichen Gepflogenheiten und Beziehungen in Frage zu stellen… Wie bewerten Sie die aktuellen Kommunikations- und Umgangsformen im Landtag im Vergleich zu früheren Legislaturperioden? Sehen Sie eine Entwicklung in Richtung mehr oder weniger Respekt und Zusammenarbeit?

Rieder: Die Kommunikation und der Umgang im Landtag haben sich im Vergleich zur vergangenen Legislaturperiode verändert. Ich glaube, dass noch nicht alle Abgeordneten im „Hohen Haus“ angekommen sind. Wir stehen erst am Anfang der Legislaturperiode, alles muss sich erst einspielen. Für die Zusammenarbeit muss man sich erst einmal kennen lernen und auch ein gewisses Vertrauen entwickeln. Wir werden sehen, wie sich das entwickelt. Ich respektiere jedenfalls alle Abgeordneten, denn sie sind von den Südtirolern gewählt. Ich empfinde es als Ehre und auch als große Verantwortung, im Landtag zum Wohle aller Südtiroler zu arbeiten.

Landtagsabgeordnete Maria Elisabeth Rieder am Präsidium im Südtiroler Landtag – Foto: Maria Elisabeth Rieder

UT24: Welche Maßnahmen oder Reformen würden Sie vorschlagen, um die Debattenkultur und den respektvollen Umgang im Landtag zu verbessern? Etwa eine Art Knigge im Hohen Haus…

Rieder: Ich hoffe, dass sich jeder Abgeordnete seiner Verantwortung bewusst ist und dass er als öffentliche Person auch eine Vorbildfunktion hat. Gegenseitiger Respekt ist aus meiner Sicht grundlegend. Ich glaube, dass wir alle von unseren Eltern gelernt haben, respektvoll miteinander umzugehen, und jeder sollte wissen, dass es einen Unterschied macht, ob ich gerade in einem Gasthaus sitze und scherze oder ob ich im Südtiroler Landtag, dem höchsten Entscheidungs- und Verwaltungsorgan Südtirols, über die Zukunft unseres Landes diskutiere und entscheide. In der Sache kann ich gegensätzlicher Meinung sein, persönliche Angriffe sind aber ein absolutes No-Go. Zu einem respektvollen Umgang gehört für mich auch, dass sich die Abgeordneten in der Debatte mit der Funktion, mit dem Nachnamen und siezen. Ich spreche die Frau Landesrätin Mair in der Landtagsdebatte nicht mit „Ulli“ an, auch wenn ich außerhalb mit ihr „per Du“ bin. Das ist Respekt vor dem Amt und ich wünsche mir diesen Respekt auch für mich. In der Sache kann man auch hart, klar und inhaltlich fundiert diskutieren.

UT24: Wie gelingt es Ihnen, als Oppositionelle konstruktive Kritik zu üben und gleichzeitig ein kohärentes und attraktives Alternativprogramm zu präsentieren? Können Sie Beispiele für erfolgreiche Oppositionsarbeit nennen?

Rieder: Ich bleibe bei meiner Kritik immer auf der sachlichen Ebene und werde nie persönlich. Es ist mir sehr wichtig, nicht nur zu kritisieren, sondern immer auch einen guten Vorschlag zu machen, wie ich es machen würde. Aus den Rückmeldungen von Bürgern erfahre ich, dass die Menschen dies sehr schätzen. Sie wollen keinen Streit, sondern Diskussionen, sie wollen konstruktive Kritik mit eigenen Ideen und Vorschlägen.

Mein erster Beschlussantrag in dieser Legislaturperiode war „Wir brauchen ein Frauenhaus in Bozen“. Dieser wurde im Landtag einstimmig angenommen. Im Vorfeld habe ich alle Landtagsfraktionen informiert und eingeladen, den Beschlussantrag mitzuunterzeichnen, was die meisten auch getan haben. Kommunikation, Austausch und Verhandlungen auf Augenhöhe führen manchmal zum Erfolg.

Landtagsabgeordnete Maria Elisabeth Rieder im Südtiroler Landtag – Foto: Maria Elisabeth Rieder

Neben Social Media ist die regelmäßige Präsenz in Radio, Fernsehen, Zeitungen und Online-Medien ein Muss.

Landtagsabgeordnete Maria Elisabeth Rieder

UT24: Welche Strategien nutzen Sie, um politische Themen zu setzen und die öffentliche Meinung zu beeinflussen, trotz der oft begrenzten Ressourcen der Opposition?

Rieder: Kontinuierliche und seriöse Arbeit wird von den Menschen geschätzt, sie erkennen, ob man als Politikerin weiß, wovon man spricht und ob man ehrlich ist. Es ist wichtig, sich mit den Themen auseinanderzusetzen und in die Tiefe zu gehen. Jene Bürger, die unsere politische Arbeit verfolgen, erkennen sehr wohl, wer sattelfest ist und nicht nur oberflächlich etwas daherredet, das ist harte Arbeit. Dann ist es natürlich wichtig, dass die Bürger auch erfahren, was und wie du arbeitest, dafür muss es dir gelingen, in den verschiedenen Medien präsent zu sein. Neben Social Media ist die regelmäßige Präsenz in Radio, Fernsehen, Zeitungen und Online-Medien ein Muss. Ich greife Themen auf, die die Menschen bewegen, die ihnen das Leben schwer machen oder wo sie einfach mehr Hilfe und Unterstützung brauchen.

Der Landeshauptmann scheint völlig abgetaucht zu sein, er ist nur wahrnehmbar, wenn er nach Rom oder Brüssel fährt.

Landtagsabgeordnete Maria Elisabeth Rieder

UT24: Wie beurteilen Sie die Leistung der aktuellen Landesregierung, welche die denkbar knappste Mehrheit innehat, in Bezug auf zentrale Themen wie Bildung, Wirtschaft und soziale Gerechtigkeit? Wo sehen Sie Erfolge und wo orten Sie Versäumnisse?

Rieder: Ich tue mich ehrlich gesagt sehr schwer mit einer Bewertung, weil bisher nicht viel passiert ist. Die elf Landesräte sind wie abgetaucht, zwar sehr beschäftigt, aber niemand hat bisher Akzente gesetzt. Der Landeshauptmann scheint völlig abgetaucht zu sein, er ist nur wahrnehmbar, wenn er nach Rom oder Brüssel fährt. Ich nehme eine große Lethargie wahr. Weder im Bildungsbereich noch in der Wirtschaft gibt es neue Impulse. Von sozialer Gerechtigkeit kann keine Rede sein: Bei den Gehältern der öffentlich Bediensteten gibt es keine Fortschritte, die Verhandlungen für die Jahre von 2019 bis 2021 sind weit von einem Abschluss entfernt. Für die Inflationsanpassung der Folgejahre haben die Verhandlungen noch gar nicht begonnen und die zur Verfügung gestellten Mittel reichen nach eigenem Bekunden des Landeshauptmannes bei weitem nicht aus, um den Kaufkraftverlust auszugleichen. Hohe Lebenshaltungskosten und im Vergleich dazu viel zu niedrige Löhne auch in der Privatwirtschaft. Auch im Bereich Wohnen gibt es nur zaghafte Ansätze, aber die Aussichten, dass Wohnen in Südtirol in den nächsten Jahren für die einheimische Bevölkerung günstiger wird, sind gering. Immer mehr Menschen fühlen sich abgehängt und können nicht mehr mithalten, da haben diejenigen leichtes Spiel, die einfache Lösungen anbieten. In der vergangenen Legislaturperiode wurden viele Pläne geschrieben: Klimaplan Südtirol 2040, Landessozialplan, Gleichstellungsaktionsplan, Mobilitätsplan… Jetzt müssten diese Pläne endlich in die Umsetzung gehen, aber es passiert bisher… nichts.

Wer fleißig ist, wird in Südtirol bestraft, wer schlau ist, wird gefördert.

Landtagsabgeordnete Maria Elisabeth Rieder

UT24: Welche alternativen Ansätze oder Politikvorschläge würde Ihre Partei umsetzen, wenn sie an der Macht wäre?

Rieder: In den vergangenen Jahren wurde in Südtirol der so genannte „Mittelstand“ völlig vernachlässigt. Die Arbeiter und Angestellten, die Selbständigen und Kleinunternehmen, das sind jene, die Steuern zahlen und überall zur Kasse gebeten werden, doch bei den verschiedenen Leistungen fallen sie immer wieder durch das Raster. Ein Beispiel: Beide Eltern arbeiten und zahlen Steuern, aber wenn die Kinder studieren, bekommen sie kein Stipendium. So ist es immer wieder, bei den Schulbüchern, bei der Zahnspange,…. Wer fleißig ist, wird in Südtirol bestraft, wer schlau ist, wird gefördert. Der Mittelstand muss endlich wieder von der Politik gesehen werden, es geht um gerechte Förderung und die meisten wollen einfach nur nicht mit Bürokratie überhäuft und behindert werden. Das sollte uns doch gelingen.

Die Hauptthemen sind Löhne und Wohnen: Die Grundgehälter im öffentlichen Dienst wurden seit Jahren nicht angepasst, die Kollektivvertragsverhandlungen müssen endlich beschleunigt werden. Auch in der Privatwirtschaft müssen die Löhne steigen. Dort verdienen gut ausgebildete Arbeitnehmer, die gut verhandeln können, gut, aber die staatlichen Tarifverträge sind viel zu niedrig, um die Lebenshaltungskosten zu decken. Als Team K würden wir als erstes den Landeshaushalt nach Ausgaben durchforsten, die nicht notwendig sind oder wenig Nutzen bringen. Die Gehälter im öffentlichen Dienst müssen erhöht und gleichzeitig die Stellenpläne überprüft und angepasst werden.

Ohne Wohnraum werden wir keine Arbeitskräfte mehr finden und unsere Jugend wird Südtirol verlassen. Bestehende Wohnungen müssen für Südtiroler reserviert werden und es braucht ein Wohnbauprogramm. Wir brauchen bezahlbare Mietwohnungen in Südtirol, hier wurde in den vergangenen Jahrzehnten viel versäumt und es besteht Nachholbedarf. Ich bin gespannt, ob der Landeshauptmann seine Ankündigung einer hundertprozentigen Konventionierung wahr macht.

Team K Fraktion im Südtiroler Landtag – von links nach rechts: Alex Ploner, Maria Elisabeth Rieder, Paul Köllensperger, Franz Ploner – Foto: Team K

UT24: Welche langfristigen politischen Visionen haben Sie für die Entwicklung des Landes in den nächsten Jahren? Wie sehen konkrete Schritte aus, um diese Visionen zu verwirklichen?

Rieder: Eine große Herausforderung wird die Gesundheitsversorgung und Pflege sein. Wir brauchen Ärzte und noch mehr Pflege- und Betreuungspersonal. Hier gibt es viel zu tun, vor allem bei der Ausbildung und Bezahlung, aber auch bei den Arbeitsbedingungen. Damit junge Menschen in Südtirol leben und arbeiten können, brauchen sie Wohnraum und umfassende Kinderbetreuungsangebote, um Beruf und Familie vereinbaren zu können.

Die Ausbildung an der Claudiana muss reformiert werden. Personen, die ihre Ausbildung im Ausland absolviert haben, müssen unbedingt nach Südtirol zurückgeholt werden. Die langwierigen Anerkennungsverfahren, die Auswahlverfahren für den öffentlichen Dienst und die bürokratischen Hürden halten viele junge Menschen von einer Rückkehr ab, und wenn dann noch die Bezahlung im Ausland wesentlich höher ist, wer kommt dann noch zurück? Hier bedarf es immenser Anstrengungen und bis dahin müssen wir zumindest vor Ort alles tun, um zu unterstützen. Ziel muss es zunächst sein, möglichst viele Südtiroler zur Rückkehr zu bewegen.

Wir hören immer wieder, dass neue Seniorenheime gebaut werden und jetzt auch zehn Gemeinschaftshäuser. Natürlich sind Einrichtungen und Bauten wichtig, aber meine Sorge ist, dass viele dieser Häuser leer stehen werden, weil wir kein Personal finden. Es gibt in Südtirol einfach die Tendenz, lieber in Mauern zu investieren als in Menschen (womit wir wieder bei den Löhnen wären…).

UT24: Welche spezifischen Methoden und Kanäle nutzen Sie, um den Kontakt zu den Bürgern in Südtirol aufrechtzuerhalten und deren Anliegen zu verstehen? Haben sich diese Methoden im digitalen Zeitalter verändert?

Rieder: Natürlich haben sich die Methoden in den vergangenen Jahren verändert, besser gesagt vervielfacht. Die Bürger nehmen auf verschiedenste Weise Kontakt auf: telefonisch, per Mail, über die Kanäle der sozialen Medien, aber auch persönliche und telefonische Sprechstunden sind sehr gefragt. Viele Bürger schätzen weiterhin das persönliche Gespräch. So biete ich immer wieder auch „Kaffee trinken mit Maria Elisabeth Rieder“ an. Ich versuche, alle Anfragen zu beantworten und dann je nach Anliegen zu telefonieren oder einen persönlichen Termin zu vereinbaren. Die Themen sind natürlich vielfältig, oft hole ich erst einmal Informationen bei Experten ein und stelle Kontakte her. Wenn ich bestimmte Themen aufgreife, bekomme ich dann oft persönliche Erfahrungsberichte, so dass ich auch die unterschiedlichen Sichtweisen der Menschen nachvollziehen kann.

Foto: Maria Elisabeth Rieder

UT24: Wie integrieren Sie die Rückmeldung der Bevölkerung und die Vorschläge aus Ihrem potentiellen Wahlvolk in Ihre politische Arbeit und Entscheidungsfindung?

Rieder: Oft ist es auch so, dass ich immer wieder Rückmeldungen und persönliche Erfahrungen zum gleichen Thema bekomme. Dann recherchiere ich zu diesem Thema, suche Kontakt zu Experten und erarbeite dann einen Vorschlag, den ich in den Landtag bringe, z.B. habe ich in der vergangenen Legislatur Beschlussanträge zu folgenden Themen gemacht: Einführung eines Registers für Pflegekräfte, Aufwertung des Berufsbildes Schulwartinnen und Schulwarte oder Wohnbauförderung: Die Fleißigen belohnen, Pflegegeld-Beschleunigung des Verfahrens, Vorstreckung der Abfertigung der öffentlichen Angestellten durch die Landesverwaltung….

Ich bin mir sicher, dass ich mit meiner Art zu arbeiten und meinen Weg als Politikerin zu gehen, auch ein Vorbild für andere sein kann.

Landtagsabgeordnete Maria Elisabeth Rieder

UT24: Wie planen Sie, die Gleichberechtigung der Geschlechter in allen Bereichen der Gesellschaft zu fördern und sicherzustellen, dass Frauen gleiche Chancen im Berufsleben erhalten? Befürworten Sie das vielerorts stark kritisierte Gendern?

Rieder: Solange Gleichberechtigung nicht selbstverständlich ist, muss die Politik mit Regelungen, Gesetzen und Quoten eingreifen, um den Prozess voranzutreiben. Parallel dazu braucht es eine gesellschaftliche Entwicklung, die alle Lebensbereiche umfasst. Neben Regelungen braucht es auch Anreize, damit gesellschaftliche Veränderungsprozesse schneller in diese Richtung gehen.

Und natürlich kann jeder Einzelne seinen Beitrag leisten. Ich bin mir sicher, dass ich mit meiner Art zu arbeiten und meinen Weg als Politikerin zu gehen, auch ein Vorbild für andere sein kann.

Ich glaube, dass Sprache eine große Wirkung hat. Studien zeigen, dass Gendern Frauen sichtbarer macht und auch die Reflexion über Geschlechterrollen erhöht. Ich persönlich möchte nicht „mitgemeint“, sondern „mitgenannt“ werden. Deshalb gendere ich seit Jahrzehnten konsequent, aber nicht übertrieben.
(Anm. d. Red.: UT24 hat die Antworten von Maria Elisabeth Rieder entgendert)

UT24: Welche Maßnahmen müssen ergriffen werden, um berufstätige und alleinerziehende Mütter besser zu unterstützen und die Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu verbessern?

Rieder: Noch nie war die Geburtenrate so niedrig wie heute. Viele junge Menschen entscheiden sich gegen Kinder oder haben nur noch ein oder maximal zwei Kinder. Familien brauchen Wahlfreiheit, und dazu brauchen wir eine Kinderbetreuung, die diese Wahlfreiheit ermöglicht. Angebote für die langen Sommerferien, aber auch am Nachmittag müssen für alle, die sie nutzen wollen, selbstverständlich werden. Zu wenig Plätze und hohe Kosten für Sommerbetreuungsplätze sind für viele Familien eine kaum lösbare Herausforderung. Hier gilt es, alte Muster aufzubrechen und nach neuen Möglichkeiten zu suchen. Gleichzeitig müssen Lösungen gefunden werden, damit jene Frauen, die ihre Kinder zu Hause betreuen und auch jene, die Pflegeaufgaben übernehmen, diese Zeiten für die Pension anerkannt bekommen. Alleinerziehende haben noch einmal ganz besondere Herausforderungen, die derzeit leider viel zu wenig Beachtung finden. Deshalb werde ich dieses Thema im Juli in den Landtag einbringen.

Protest der Gewerkschaften – Foto: Maria Elisabeth Rieder

UT24: Welche Programme setzen Sie ein, um geschlechtsspezifische Gewalt zu bekämpfen und die Sicherheit von Frauen in der Öffentlichkeit und im privaten Raum zu erhöhen?

Rieder: Jeden Tag lesen wir in der Presse über Gewalt gegen Frauen, aber das, was öffentlich wird, ist nur die Spitze des Eisbergs. Es gibt viel zu tun. Mein erster Beschlussantrag in dieser Legislaturperiode lautete: „Wir brauchen ein Frauenhaus in Bozen“. Er wurde einstimmig angenommen. Ich werde immer wieder von Frauen kontaktiert, die Opfer von Gewalt geworden sind. Ich versuche, jede Einzelne so gut wie möglich zu unterstützen. Ich stehe diesbezüglich auch in engem Kontakt mit Landesrätin Mair. Es gibt so viele offene Baustellen. In Gesprächen versuche ich, die betroffenen Frauen zu unterstützen und zu stärken. Hier muss vor allem in der Prävention angesetzt werden und das muss schon in der Schule beginnen. Es braucht Angebote und Präventionsmaßnahmen für Jungen und Mädchen, für Frauen und Männer. Sicherheitskräfte, Personal in Gesundheitseinrichtungen, Anwälte und Richter brauchen Aus- und Weiterbildung, damit sie richtig handeln. Und wir alle müssen die Augen offen halten, mutig eingreifen oder auch mal etwas sagen, wenn uns etwas auffällt.

UT24: Bleibt das Fazit: Südtirol ist in 50 Jahren…

Rieder: Ich glaube nicht, dass wir uns das vorstellen können… Die rasanten Entwicklungen, insbesondere im Bereich der KI, werden unser Leben grundlegend verändern. Ich bin zuversichtlich, dass vieles einfacher und besser wird, aber Herausforderungen wird es sicher immer geben. Die zweite große Frage ist: Wie sieht unsere Welt dann aus, haben wir den Klimawandel gestoppt? Tatsache ist, dass wir in einer schwierigen Übergangszeit leben, und jeder von uns trägt seinen Teil dazu bei, ob unsere Kinder und Kindeskinder nach dieser Übergangszeit in einer friedlichen, gesunden und glücklichen Welt leben werden.

UT24: Vielen Dank für das Interview!

Das Interview führte Andreas Raffeiner

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