von aw 11.06.2024 09:05 Uhr

Ladinische Einheitssprache: Ein Gespräch mit Mjr. Andreas Kostner

In der Diskussion um die Einführung einer ladinischen Einheitssprache stehen die ladinischen Schützen einer solchen Entwicklung skeptisch gegenüber. Diese Position steht im Kontrast zu den Ansichten anderer Vertreter der ladinischen Gemeinschaft, die das Fehlen einer einheitlichen Schriftsprache als immer größer werdenden Nachteil für die ladinische Sprache erachten.

Die Flagge der Ladiner. - Foto: UT24/Annelise Vian

Andreas Kostner, als Ladiner-Vertreter Mitglied der Bundesleitung des Südtiroler Schützenbundes, bietet UT24 in einem exklusiven Interview Einblicke in die Gründe für die Ablehnung einer Einheitssprache und erläutert alternative Vorschläge zur Förderung der sprachlichen Vielfalt.

Können Sie die Position der ladinischen Schützen zur Einführung einer ladinischen Einheitssprache erläutern und warum diese abgelehnt wird?

Ich denke, wer bei den Schützen ist, ist grundsätzlich ein Mensch, der viel von der kulturellen Vielfalt im historischen Tirol hält. Eine der größten Besonderheiten, die dieses schöne Land von der kulturellen Seite zu bieten hat, ist eine der ältesten Sprachen Europas. Allein schon, dass es eine so alte Sprache geschafft hat, so viele Jahrhunderte zu überleben, ist für mich persönlich eine wahnsinnig tolle Sache. Die ladinische Sprache, wie sie jetzt in allen einzelnen ladinischen Tälern gesprochen wird, also in Gröden, Gadertal, Fassatal, Buchenstein und Anpezo, hat sich auf natürliche Art und Weise zu dem entwickelt, was sie jetzt ist – mit all ihren Vor- und Nachteilen.

Grundsätzlich bin ich nicht der Meinung, dass eine erfundene Sprache Sinn macht. Nichts anderes als etwas Erfundenes ist nämlich dieses „Einheitsladinisch“. Die geografischen, demografischen und kulturellen Umstände haben jede einzelne ladinische Sprache zu dem gemacht, was sie heute ist. Diese gilt es zu schützen und entsprechend ihrer jeweiligen Eigenheiten weiter auszubauen und anzupassen. Aber allen 30.000 Ladinisch sprechenden Personen, jungen wie alten, eine neue Sprache aufzuzwingen, kann nur schiefgehen. Experimente mit der eigenen Sprache können als Minderheit in einem Staat oder Land schnell nach hinten losgehen.

Sprache ist im Wesentlichen etwas Komplexes, das nicht mit einfachen Ideen geschützt werden kann, es bedarf Zeit, Lernhunger und die Freude an etwas Eigenem festzuhalten, auch wenn man damit vielleicht auch schon in der Landeshauptstadt verstanden wird.

Welche Rolle spielt die sprachliche Vielfalt in der ladinischen Gemeinschaft und wie beeinflusst diese die Identität der Ladiner?

Ich finde, dass gerade die sprachliche Vielfalt bei den Ladinern interessant ist. Wir ladinischen Schützen treffen uns zum Beispiel in regelmäßigen Abständen, um uns auszutauschen. Hierbei finde ich es immer wieder aufs Neue schön, die anderen ladinischen Sprachen zu hören. Natürlich kommt es auch vor, dass man das ein oder andere Wort nicht versteht, aber der Kontext ist immer klar. Auch wenn man ab und zu nachfragen muss, ist das doch nur ein Zeugnis von gegenseitigem Interesse. Schön finde ich auch, dass man sofort zuordnen kann, woher jemand kommt, wenn man die verschiedenen ladinischen Sprachen hört. Inwiefern die sprachliche Vielfalt die Identität von jedem Einzelnen beeinflusst, kann ich nur schwer beantworten, aber die einzelnen Täler bekommen einen persönlichen Charakter durch die Sprache. Ich finde, dass wir alle zusammen eine Tiroler Identität und Kultur haben, das Ladinische ist ein Teil davon.

Wie sehen die Schützen die Zukunft der ladinischen Sprache und welche Strategien werden als wichtig erachtet, um diese zu fördern?

Im Lied „Gherdëina, Gherdëina“ (1921) von Leo Runggaldier heißt es:

„Gherdëina, Gherdëina
Dl’oma si rujné
Rejona, rejona
Y no te l desmincé”

Was soviel heißt wie:

„Gröden, Gröden
deiner Mutter ist die Sprache,
spreche, spreche,
und vergiss sie nie.”

Diese Strophe sagt meiner Meinung nach viel darüber aus, was in einer Minderheitensprache das Wichtigste ist, damit diese weiterhin überlebt. Außerdem bin ich der Meinung, dass das Lehren in allen Schulstufen eine sehr förderliche Maßnahme ist. Ich erlebe immer wieder, wie auch Oberschüler von außerhalb, die bei uns in Gröden die Sportschule, die Kunstschule oder die Berufsschule für Kunsthandwerk besuchen, begeistert Ladinisch lernen. Es kommt dann durchaus vor, dass sich auch andere mit den Einheimischen beim Ausgehen auf Ladinisch unterhalten. Ich behaupte auch, dass in den meisten Freundeskreisen überwiegend Ladinisch gesprochen wird. Dass es auch verschiedene private und öffentlich-rechtliche Medien gibt, finde ich auch wichtig. Ich bin kein Sprachwissenschaftler, aber persönlich habe ich nicht den Eindruck, dass die ladinischen Sprachen vom Aussterben bedroht sind. Der Schützenbund hat in seinen Statuten auch einen Platz in der Bundesleitung für einen ladinischen Vertreter vorgesehen, so wird versucht, auf Landesebene auch stets ein Augenmerk für die ladinischen Belange zu geben. Soweit ich weiß, handhaben das auch die meisten anderen Verbände in Südtirol ähnlich. Im ehrenamtlichen, aber auch im öffentlichen Bereich gibt es meiner Meinung nach viele Leute, die gute Arbeit leisten, ohne sich irgendwelche Sprachen zu erfinden. Die ladinischen Täler, die leider außerhalb der Provinz Bozen sind, haben aufgrund der demografischen Entwicklung sicherlich größere Schwierigkeiten als die ladinischen Täler in Südtirol. Leider gibt es in der Provinz Belluno kaum gesetzliche Schutzmaßnahmen für die ladinische Sprache.

Wie reagieren Sie auf die Argumentation von Befürwortern einer Einheitssprache, wie sie von Persönlichkeiten innerhalb der ladinischen Gemeinschaft vorgebracht werden?

Zum einen gilt es zu sagen, dass zum heutigen Zeitpunkt das „Einheitsladinisch“, auch genannt „Ladin Dolomitan“, in Südtirol nicht amtlich ist, und das ist auch gut so. Subjektiv betrachtet kommt es mir oftmals so vor, dass um dieses Einheitsladinisch viel Wirbel um nichts gemacht wird. Ich persönlich kenne kaum jemanden, der der Meinung ist, dass es eine gute Idee ist, jemandem eine erfundene Sprache aufzuzwingen. Ich kenne nur einige Exponenten, die von sich gerne behaupten, dass sie alle Ladiner vertreten würden, dem aber absolut nicht so ist. Es gibt verschiedene Organisationen mit unterschiedlichen Anliegen, nicht immer sind die lautesten auch die besten. Die ladinische Sprache wurde immer wieder (und wird immer noch teilweise) politisch missbraucht. Die Faschisten haben zum Beispiel immer wieder, auch durch bekannte Wissenschaftler, versucht, die Sprache als „italienischen Dialekt“ zu deklarieren. Bis heute hat sich aber die Sprache allen Experimenten und Assimilierungsversuchen von italienischer und deutscher Seite standgehalten. Die Geschichte hat gezeigt, dass es durchaus möglich ist, eine Sprache zu erhalten, ohne sie komplett neu zu erfinden. Mir wäre bis jetzt kein einziges Sprachexperiment bekannt, welches gut ausgegangen ist, negative Beispiele gibt es dafür hingegen genügend. Wir würden viel mehr verlieren, als wir gewinnen können. Wenn wir mit der Einführung einer erfundenen Sprache das Risiko tragen müssen, einen wesentlichen Teil unserer Kultur, sprich unserer Wurzeln, auf lange Sicht zu verlieren, dann verzichte ich lieber.

Interessante Perspektive der ladinischen Schützen

Andreas Kostners Einblicke bieten eine interessante Perspektive auf die komplexen Fragen, die die Idee einer ladinischen Einheitssprache umgeben. Die Ansichten der ladinischen Schützen beleuchten die Herausforderungen und Bedenken einer kulturellen Gemeinschaft, die bestrebt ist, ihre einzigartige Identität in einer sich schnell wandelnden Welt zu bewahren.

Abschließend lässt sich sagen, dass die Diskussion um die ladinische Einheitssprache tief in den Herzen und Traditionen der Ladiner verwurzelt ist. Während einige die Vereinheitlichung als Weg zur Stärkung und Bewahrung der Sprache sehen, betonen andere, wie Andreas Kostner, die Bedeutung der Vielfalt und der Bewahrung regionaler Besonderheiten. Diese Debatte wird sicherlich weiterhin leidenschaftlich geführt werden, da beide Seiten das gemeinsame Ziel teilen, die ladinische Kultur und Sprache für zukünftige Generationen lebendig zu erhalten.

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