Der Geheimunterricht in der Gemeinde Kiens

Zur Optionszeit – in Ehrenburg optierten nicht weniger als 87 Personen – wurden die deutschen Sprachkurse von den Kindern fleißig besucht, auch wenn der Unterricht nur 10 Wochenstunden umfasste. Die Hilfslehrer Josef Wieland und Maria Priller arbeiteten mit großer Mühe und viel Fleiß vor und während des Zweiten Weltkrieges.
Nachdem die deutsche Schule in Südtirol eliminiert wurde (hier zu den historischen Hintergründen), wurden im ganzen Land Katakombenschulen für den geheimen Deutschunterricht eingerichtet (hier zum Bericht dazu). Zum Geheimunterricht in der Gemeinde Kiens erzählt der Zeitzeuge Alois Happacher Folgendes:
Herr Lehrer Sebastian Niederwanger wohnte oberhalb des Kirchplatzes in seinem Häuschen. Es wurde das Niedowanga- oder Learahaisl – auch gelbes Haus – genannt. Leider musste es vor ein paar Jahren dem Ausbau der Straße nach Hofern weichen. Das Häuschen war ganz an den Berghang des Stoan gestellt. Vom Weg führte eine kurze Stiege hinauf in einen kleinen überdachten hölzernen Vorbau. Auf dieser Höhe waren rechts ein paar Gartenbeete und eine kleine Holzhütte, links die Haustür, dahinter eine Küche und geradeaus die Stubentür. Die Fenster gaben den Blick frei auf den Friedhof, die Kirche und darüber hinaus über Felder und Rienz auf die andere Talseite mit Bahnhof. Zum Lehrer kamen wir – unser paar Buben – heimlich, ein- oder zweimal in der Woche, um zu lesen, schreiben und rechnen zu lernen. Ich brachte jedes Mal etwas Nahrungsmittel (Mehl, Eier, Butter, Speck, Brot, Milch oder Wein), aber auch Geld mit. Durch die politischen Verhältnisse war er brotlos geworden. Die bescheidene Entschädigung für die Organistenarbeit in der Kirche reichte wohl nicht zum Leben. Zudem war er schon etwas älter und nicht mehr ganz gesund. Die offizielle Einrichtung der deutschen Sprachkurse erlebte Lehrer Sebastian Niederwanger nicht mehr. Die Bevölkerung dankte ihm durch die große Teilnahme am Begräbnis. Den damaligen Behörden dürfte wohl nicht entgangen sein, dass die Bevölkerung nicht nur einem Lehrer, sondern ihrem Lehrer die letzte Ehre erwies. Er wurde rechts am Friedhofseingang begraben. Leider existiert die Grabstätte nicht mehr – auch ein Zeichen dafür, wie schnell der Wohlstand vergessen lässt.
Ich erlebte den Herrn Lehrer als eine Respektsperson. Er war im Unterricht sehr streng und äußerst genau. Wir schrieben auf Schiefertafeln. Bei der deutschen Schreibschrift gibt es einen dünnen Auf- und festen Abstrich. Wer ihm den Aufstrich nicht dünn genug zog, dem riss er sofort ein Kopfhaar aus und sagte: „Sooo dünn musst du den Aufstrich machen!“
Während des Unterrichts musste abwechselnd immer einer von uns Schülern aufpassen, ob sich verdächtige Personen dem Hause näherten. Der Aufpasser werkelte vor dem Haus im Garten, in der Holzhütte, in der Küche. Bei Gefahr musste er singen oder pfeifen. Schleunigst wurden dann die Schiefertafeln trocken gereinigt und weggeräumt. Unter Anleitung des Herrn Lehrers begann ein allgemeines Aufräumen in der Wohnung. Es musste schon ein paarmal Alarm gegeben werden aber bis ins Haus kam nie jemand.
Pauline Piock unterrichtete in Kiens von 1925 bis 1939. Schon früh nach dem Ersten Weltkrieg gab es in Kiens einen Kindergarten. Laut mündlicher Überlieferung musste er bald wieder aufgelöst, weil die Kiener die Kinder nicht in einen italienischen Kindergarten schicken wollten.
Ehrenburg
Vier Lehrkräfte, die vorzeitig aus dem staatlichen Schuldienst entlassen wurden, wechselten in die illegale Südtiroler Notschule über. Es waren dies Maria Priller vom Hinterbichl, Josef Wieland, Schlossbediensteter beim Grafen Künigl, Marianna Gasteiger (die Tochter vom Gasser in Ehrenburg) sowie Paula Trebo vom Kattler.
Ende der 20er-Jahre unterrichteten sie beim Renner, im Stöckla Hause, beim Weba, im Getzenberger Stöckl und beim „Kutscha“. Ihre Tätigkeiten blieben nicht unbemerkt. Als sie von den Carabinieri verhaften werden sollten, flohen Paula Trebo und Marainna Gasteiger ins Kloster, um dem Zugriff der Polizei zu entgehen. Paula Trebo blieb im Kloster, während ihre Freundin Marianna Gasteiger diesen Schritt nicht wagte.
Der Lehrer Josef Wieland unterrichtete in Ehrenburg von 1940 bis 1946. Er leitete den Kirchenchor in Ehrenburg von 1932 bis zu seinem Tode im Jahre 1975 und hatte sich in mehreren Vereinen verdient gemacht.
Die „Hintobichl Moidl“ Maria Priller ist 1914 in Getzenberg geboren und 1962 im Schloss Ehrenburg gestorben.
Moidl wollte nichts mehr und nicht weniger sein als Magd: eine einfache Magd im Dienste der Mitmenschen, im Dienste der Heimat als Hilfslehrerin in jener Zeit, da man den eigenen Taufnamen nimmer in der eigenen Muttersprache schreiben durfte, im Dienst des Reiches Gottes auf Erden durch ihre vielen apostolischen Gänge als Bundvorsteherin im eigenen Dorf und die letzten 6 Jahre als Dekanatsvertreterin für die Jungfrauen des Dekanates Bruneck.
Das Wort „Ecce adsum – siehe, ich bin bereit!“ hat sie daheim gelernt in strenger Zucht. Sie hat es gesprochen immer wieder und sie sprach es mit größter Bereitschaft und Ergebung, als der Herr ihr im noch blühenden Alter das schwere Kreuz der unheilbaren Krankheit auflegte. Sie trug es mit größter Geduld und schrieb in ihr Testament: „Meine Leiden schenke ich Gott für die Bekehrung der Sünder und um geistliche Beruf zu erbitten, für die Festigung des Reiches Gottes in meiner Heimat und zum Lob der Kornmutter von Ehrenburg.“
St. Sigmund
In St. Sigmund unterrichteten die Katakombenlehrer Franz Stauder und Maria Hildgartner.
Franz Stauder (1895–1984) unterrichtete in St. Sigmund, in St. Johann im Ahrntal, dann in Stilfes und Vorderafing in der Gemeinde Jenesien. Er war ein fleißiger Mann, bescheiden und beschäftigte sich neben der Lehrtätigkeit, von der er sonst nicht leben konnte, als Chordirigent in St. Sigmund, als Maurer, Handlanger, Holzknecht und Tagelöhner.
Maria Hildgartner vom Ploner wurde im Jahre 1936/37 als Hilfslehrerin ausgebildet und unterrichtete von 1931 bis 1938 als Katakombenlehrerin. Sie wanderte 1942 mit ihrem Mann Anton Wagger aus Stegen nach St. Johann in Tirol aus, weil er dort in einem Sägewerk Arbeit gefunden hatte.
Verzeichnis der deutschen Schulen der Provinz Bozen Kreis Bruneck:
- Kiens: 110 Schüler, 3 Lehrpersonen
- Hofern: 53 Schüler, 1 Lehrperson
- Ehrenburg: 71 Schüler, 2 Lehrpersonen
- St. Sigmund: 53 Schüler, 1 Lehrperson
Der Auszug stammt aus dem Buch „Die Deutschen brauchen keine Schulen“ herausgegeben von Dr. Margareth Lun.
Margareth Lun (Hrsg.): „Die Deutschen brauchen keine Schulen“: Neumarkt a.d. Etsch: Effekt! 2020. ISBN: 9788897053699






