Hilfe zur Selbsthilfe: Die deutsche Notschule

1925 machten sich Kanonikus Michael Gamper, Eduard Reut-Nicolussi und Karl Tinzl, sowie der Salurner Rechtsanwalt Josef Noldin daran, den illegalen Hausunterricht zu organisieren, nachdem es zuvor zur völligen Italianisierung der Schulen in Südtirol gekommen war (hier gehts zum Bericht über den geschichtlichen Hintergrund).
Mit finanzieller Unterstützung aus Deutschland und Österreich wurden junge Mädchen zu Notschullehrerinnen ausgebildet und bescheiden entlohnt. Die Ansprüche waren nicht allzu hoch gewesen, verlangt wurden „flüssiges, verständiges Lesen, gutes Erzählen, hinreichende Kenntnis der Rechtschreibung und der hierfür nötigen Wort- und Satzlehre, hinlänglicher Aufsatz“. Noch vor den Kenntnissen kam aber die Freude am Umgang mit Kindern.
Der Hausunterricht wurde zur „Geheimschule“
Da den Behörden dieser häusliche Unterricht nicht lange verborgen blieb, beschloss der Präfekt Giuseppe Guadagnini, ihn durch die eigenmächtige Herausgabe eines Dekretes vom 27. November 1925 kompromisslos abzuschaffen und die Verantwortlichen so hart wie möglich zu bestrafen. Die Zerschlagung der deutschen Notschule gelang dennoch nicht. Die Unterrichtsbehelfe waren primitiv: man verwendete eine leicht zu löschende Schiefertafel oder lose Blätter, seltener Hefte. Geschrieben wurde mit Griffel und Bleistift; Tinte wurde kaum verwendet. Eine Tafel gab es nicht. Fibeln und Lesebücher kamen aus Deutschland und Österreich und wurden über die Jöcher ins Land geschmuggelt.
Dieses Dekret, das den Hausunterricht zu einer „Geheimschule“ abstempelte, obwohl nachweislich alle von ihm erfassten Schüler den italienischen Pflichtunterricht besuchten, degradierte die Südtiroler zu Staatsbürgern zweiter Klasse. Es gab kein Gesetz, das den Eltern verbot, ihren Kindern die Kenntnis der Muttersprache durch private, den öffentlichen Utnerricht nicht störende Unterweisung zu sichern. Ohne also die gesetzlichen Grundlagen seiner Sanktionierung nennen zu können, begnügte sich Guadagnini mit der Behauptung, die „Geheimschulen“ stellten „eine regelrechte Organisation des Widerstandes“ dar, der aus Gründen der politischen Sicherheit niederzuwerfen sei. Mit der Beseitigung der letzten Reste der Doppelsprachigkeit bedeutete rückblickend das Jahr 1929 für Südtirol eine zwar weniger auffällige, aber vielleicht noch tiefgreifendere Wende zum Schlechteren als das Jahr 1923.
Tolomei als Totengräber Südtirols
Tolomei sah auf dem Gebiet der Schule „die Konkurrenz der deutschen Geheimschulen und der deutschen Pfarrschulen“. Diese Geheimschulen behinderten seiner Meinung nach in entscheidender Weise „den Assimilierungsprozess, durch den die Italianisierung im nächsten Jahrzehnt abgeschlossen sein sollte“. Der Privatunterricht wurde seit Beginn des Jahres 1929 insofern gesetzlich verunmöglicht, als er gemäß eines Erlasses des Trientner Schulamtes vom 27. Februar 1929 nur noch in Form von Einzelunterricht genehmigungsfrei war und auch in diesem Fall unter dem Vorwand der „Überbürdung“ oder der „nationalen Schädigung“ des Schülers jederzeit eingestellt werden konnte.
Von den 757 deutschen Lehrkräften in den Südtiroler Schulen wurden mit der Annexion alle nicht in Südtirol geborenen als österreichische Beamte ausgewiesen. Hand in Hand mit der Italianisierung der Schulen durch die Lex Corbino und die Lex Gentile erfolgte der systematische Abbau der deutschen Lehrkräfte, wenngleich sie in der geforderten Anzahl nicht gänzlich von italienischen abgelöst werden konnten.
Italienische Lehrkräfte erhielten jedoch großzügige Vergünstigungen, Gratiswohnungen und Bahnbermäßigungen, ab 1932/33 wurde den Italienern die Gehaltsaufbesserung von einem Drittel bzw. die Erhöhung der Pension um ein Drittel des vorgesehenen Betrages schmackhaft gemacht. Dieses Dekret erlaubte dem Schulamt die beliebige Versetzung von in Südtirol angestellten deutschen Lehrern und Besetzung von Lehrern aus Mittel- und Süditalien. Die Folge war eine letzte Säuberungsaktion unter den deutschen Lehrern.
Die Notschule als Hilfe zur Selbsthilfe
In den darauffolgenden Jahren griffen nun Eltern zur Selbsthilfe. In den sogenannten Katakombenschulen erklärten sich Menschen unter unsagbaren Opfern bereit, die deutsche Schule über die Notzeit hinüber zu retten. Kanonikus Michael Gamper, Josef Noldin, Rudolf Riedl, Angela Nikoletti und andere, zumeist junge Frauen, suchten Räumlichkeiten und Lehrmittel, um die ca. 30.000 deutschsprachigen Kinder zu unterrichten.
Der Unterricht in diesen Geheimschulen war sehr gefährlich, da Italien mit aller Härte danach trachtete, diese Schulen zu eliminieren. Sobald eine Katakombenschule enttarnt wurde, mussten Lehrer und Eltern mit extrem hohen Geldstrafen, Freiheitsentzug und sogar Verbannung rechnen.
Fortsetzung folgt…
Lesen Sie im nächsten Bericht alles über die Abwicklung der Notschule am Beispiel der Pustertaler Gemeinde Kiens.
Der Auszug stammt aus dem Buch „Die Deutschen brauchen keine Schulen“ herausgegeben von Dr. Margareth Lun.
Margareth Lun (Hrsg.): „Die Deutschen brauchen keine Schulen“: Neumarkt a.d. Etsch: Effekt! 2020. ISBN: 9788897053699






