Wie kam es zu den Katakombenschulen?

Welche Familie offiziell deutsch und welche italienisch war, entschieden nämlich die italienischen Behörden und diese machten den Großteil der deutschen Familien kurzerhand zu italienischen. In der Folge wurden auch alle Orts- und Familiennamen ins Italienische übersetzt. Es bestand die Gefahr der kompletten Auslöschung der deutschen Sprache in Südtirol, was auch Ziel der italienischen Besatzer war. Die Südtiroler versuchten dies zu verhindern, indem sie die sogenannten „Katakombenschulen“ einrichteten.
Geschichtlicher Hintergrund
Das im Friedensvertrag von St. Germain an Italien abgetretene Südtirol umfasste im Jahre 1919 noch 413 deutsche Volks- und Bürgerschulen mit 36.520 schulpflichtigen Kindern und 757 deutschen Lehrkräften.
Wenn auch die Bemühungen um eine politisch autonome Verwaltung endgültig gescheitert waren, so sollte Südtirol, nach den Versprechungen italienischer Staatsmänner, in kultureller Hinsicht seine Autonomie behalten. Dies entsprach auch der Ansicht des mit der Besetzung Südtirols ins Land gekommenen Militärgouverneurs Giuglielmo Pecori-Giraldi, dessen Intention dahin ging, aus den Südtirolern gute deutsche Bürger Italiens und nicht schlechte italianisierte Untertanen zu machen. Dies hat ihn oft in Konflikt mit den fanatischen Agitationen Ettore Tolomeis und des Kommissariats gebracht. Das von Tolomei entworfene und vom Ministerpräsidenten gebilligte Manifest „An die Bevölkerung des Alto Adige“ brachte deutlich zum Ausdruck, dass Italien nicht bereit war, auf die auf Rom ausgerichtete zentrale Verwaltung des „Oberetsch“ zu verzichten.
Im Herbst 1919 löste Luigi Credaro Pecori-Giraldi als Unterrichtsminister ab und in einem Brief vom 11. Oktober 1919 wies er bereits auf die drohende Gefahr hin, dass die verstreut siedelnde italienische Minderheit von ca. 60.000 Personen allmählich der Verdeutschung anheimfielen. Die italienischen Schulen in den gemischtsprachigen Orten würden kaum besucht werden.
Die „Lex Corbino“
Mit der „Lex Corbino“ vom 28. August 1921 gelang es Credaro zwar, einen effizienten Unterricht in der Muttersprache zu sanktionieren, die politischen Kräfte gingen aber einen anderen Weg. Als erste Schule wurde jene von Laag italianisiert, nachdem von den 146 Schulkindern lediglich 5 deutschsprachig waren.
Faschistische Besetzung Bozens und „Lex Gentile“
Mit der Besetzung Bozens vom 1. und 2. Oktober 1922 hatten die Faschisten in Südtirol bereits vor dem Marsch auf Rom die Macht an sich gerissen. Der neue Präfekt der Venezia Tridentina, Giuseppe Guadagnini, der sein Amt am 4. November 1922 antrat, verkündete am 18. November sein faschistisches Programm im Sinne Tolomeis: Beseitigung aller deutschen Schulen im gemischtsprachigen Gebiet, Einführung des Italienischunterrichts, Errichtung zahlreicher italienischer Kindergärten, Revision des Geshcichtsunterrichts und Ausweisung deutscher Geistlicher.
Die „Lex Gentile“, die 1923 das Schulwesen reformierte, schrieb den alleinigen Gebrauch der Staatssprache im Dienste der Nation vor. Sie bildet das ausschlaggebende faschistische Dekret auf dem Schulsektor und zugleich das schwerwiegendste Entnationalisierungsdekret dieser Zeit.
Hatten die Südtiroler bisher alle faschistischen Verordnungen fügsam hingenommen, so setzten sie sich nun gegen die Italianisierung der Schulen mit allen Mitteln zur Wehr. Es kam überall zu Protestkundgebungen und zur Ablehnung der Reform Gentile. Die radikalste Verordnung auf dem Gebiet des Erziehungswesens war die Integration des Kindergartens als Vorbereitungsunterricht in die Volkschule, das ab 1. Oktober 1924 in allen Kindergärten der Provinz Bozen/Trient die Anwendung der italienischen Sprache vorschrieb und die deutsche Sprache nur noch vergleichsweise zuließ. Das Hauptziel war immer dasselbe: mit allen möglichen Mitteln zu verhindern, dass die Kinder den Unterricht in ihrer Muttersprache erhalten.
Die sogenannten „Anhangstunden“ in der deutschen Muttersprache
Die versprochenen „Anhangstunden“ in der Muttersprache wurden aus dreierlei Gründen erschwert:
- Sie durften nur nach dem italienischen Pflichtschulunterricht abgehalten werden (zwischen 11 und 12 Uhr sowie zwischen 15 und 16 Uhr); das hatte zur Folge, dass die Kinder müde und unkonzentriert waren.
- Die italienischen Lehrkräfte beherrschten die deutsche Sprache meist äußerst mangelhaft.
- Ein Erlass des Schulamtes von Trient vom Mai 1924 verbot in den ersten Klassen den Gebrauch jeglicher Unterrichtsmaterialien (Fibeln, Lesebücher, Hefte, usw. mit Ausnahme der Schultafel) und ebenso die Anwendung des deutschen Alphabets.
Als Ersatz für die aufgelassenen Anhangstunden versuchten nun Eltern, durch Privatunterricht ihren Kindern die Grundbegriffe deutschen Lesens und Schreibens zu vermitteln. Da sie aber häufig den Unterricht selbst nicht übernehmen konnten, wurde er einern geeigneten Hilfskraft übertragen, welche gegen geringe Entschädigung die Kinder mehrerer Nachbarhäuser in einer Bauernstube, oft auch in Kellern und Scheunen, zum Unterricht versammelte. Dieser beschränkte sich auf die elementarsten Regeln der deutschen Sprache und schloss eine Aufteilung in Kurse nach Alter und Fähigkeit von vorneherein aus.
1925 machten sich Kanonikus Michael Gamper, die Abgeordneten Eduard Reut-Nicolussi und Karl Tinzl sowie der Salurner Rechtsanwalt Josef Noldin daran, den illegalen Hausunterricht zu organisieren.
Fortsetzung dazu folgt…
Der Auszug stammt aus dem Buch „Die Deutschen brauchen keine Schulen“ herausgegeben von Dr. Margareth Lun.
Margareth Lun (Hrsg.): „Die Deutschen brauchen keine Schulen“: Neumarkt a.d. Etsch: Effekt! 2020. ISBN: 9788897053699






