von gk 25.04.2024 08:30 Uhr

25. April – Tag der Befreiung?

Am 25. April feiert Italien den „Tag der Befreiung“. Genauer gesagt, den Tag der Befreiung vom Faschismus im Jahre 1945. Doch was bedeuteten dieser Tag und die Wochen danach für Südtirol?

Der Pfarrplatz von Bozen nach einem alliierten Bombenangriff (Bild: SSB)

Das offizielle Italien gedenkt an diesem Tag im engeren Sinne der bewaffneten Aufstände vom 25. April 1945, zu denen damals vom  Nationalen Befreiungskomitee („Comitato di Liberazione Nazionale“ – CLN) aufgerufen worden war. Die damaligen Aufstände begünstigten den alliierten Vormarsch in der Po-Ebene wesentlich, etliche norditalienische Städte, etwa Mailand und Genua, konnten von den Partisanen der “Restistenza” dadurch bereits einige Tage vor Eintreffen der alliierten Truppen von der deutschen Besatzung befreit werden. Im weiteren Sinne soll der Feiertag das erfolgreiche Ende des Kampfes gegen Faschismus und Nationalsozialismus symbolisieren, den Regimegegner in Italien erst politisch und Partisanen ab September 1943 auch bewaffnet geführt hatten.

Auch wenn Italien an diesem Tag an die Befreiung von diktatorischen Regimen erinnert, kann indes in Südtirol von einer Befreiung vom Faschismus in diesen Tagen nicht gesprochen werden. Der Faschismus in Südtirol hat überlebt.

Die Zeit nach dem 25. April 1945 bedeutete für die Menschen in Südtirol in erster Linie das Ende der Kriegswirtschaft und das Ende der seit 1943 herrschenden deutschen Verwaltung. Zu einer Befreiung vom Faschismus kann man in Südtirol weder am 25. April, noch am 3. oder 8. Mai 1945 sprechen, sondern es kam de facto zu einer Rückkehr zum Status quo von 1943 und damit zu einer Rückkehr zu einer nationalistischen italienischen Verwaltung, die sich zwar nicht mehr faschistisch nannte, aber faschistisch dachte und handelte.

Nach Kriegsende kam es in Südtirol zu einer Reihe sehr einschneidender Ereignisse, die die Entwicklung dieses Landes und seine Zukunft sehr beeinflusst haben. Dies meint zum einen den politischen Bluff der Italiener, mit denen es ihnen gelungen war, in den letzten Kriegstagen die Verwaltung in Südtirol an sich zu reißen und so bereits vor dem Einmarsch der Alliierten vollendete Tatsachen zu schaffen. Zum anderen soll daran erinnert werden, dass die italienische Regierung im Herbst 1945 bereits alle rechtlichen Voraussetzungen für eine Massenvertreibung der Südtiroler geschaffen hatte, wie sie nach Kriegsende auch 14 Millionen Deutsche im Sudentenland und in den deutschen Ostgebieten getroffen hatte.

  • Alcide Degasperi entwickelte und leitete die italienische Südtirol-Politik der Nachkriegszeit. Er gehörte als Außenminister der italienischen Regierung an, die am 21. November 1945 die Massenvertreibung der Südtiroler beschloß. Wenige Tage später wurde er Ministerpräsident (Bild: SSB).

Der 8. Mai 1945 und Südtirol

Der 8. Mai stellte sich – im Detail betrachtet – für die Bundesrepublik Deutschland, Österreich, Italien und Südtirol völlig unterschiedlich dar. Italien wurde vom Faschismus befreit, Deutschland und Österreich vom Nationalsozialismus – und Österreich erstand darüberhinaus wieder als unabhängiges Land, was auch für Südtirol sehr wichtig war und sich ab der ersten Stunde auch dafür stark machte.

Doch welche Bedeutung hatte dieser Tag für Südtirol?
Natürlich kam es auch in Südtirol zu einer Befreiung vom Nationalsozialismus, wenngleich ihn das kleine Land als staatliches Herrschaftssystems nicht in derselben Weise erlebt hat, wie andere Gebiete. Wie zuvor bereits erwähnt, erlebten die Menschen in Südtirol in den zwanzig Monaten der deutschen Verwaltung zwischen September 1943 und Mai 1945 vor allem die Kriegswirtschaft und ihre Folgen: Einberufungen, tote Soldaten an der Front, Entbehrungen – kurzum ganz einfach den kriegsbedingten Ausnahmezustand.

Kam es in Südtirol auch zu einer Befreiung vom italienischen Faschismus? In Südtirol fand fast zwei Jahre zuvor – am 9. September 1943 – eine Ersetzung des schwarzen durch das braune Regime statt – am 8. Mai 1945 kehrte die italienische Herrschaft über Südtirol zurück. Nicht mehr in offensichtlicher schwarzer Gewandung, aber mit nicht minderen Unterdrückungs- und Assimilierungsabsichten. Von einer „Befreiung“ kann also keine Rede sein. Darüber hinaus steht der 8. Mai 1945 auch für eine erneute Verweigerung des demokratischen Selbstbestimmungsrechtes für Südtiroler.

  • Alcide Degasperi ließ sich in den 50er Jahren als der Mann feiern. der Italien den Besitz Südtirols gesichert hatte. Nachdem die Massenvertreibung der Südtiroler durch die Alliierten unterbunden wurde, versuchte Italien zumindest die Rückkehr der bereits umgesiedelten Südtiroler zu verhindern und zu boykottieren. Die italienische Politik verfolgte bis in die 60er Jahre eine schleichende ethnische Säuberung durch soziale Diskriminierung, während gleichzeitig die italienische Einwanderung nach Südtirol massiv gefödert wurde (Bild: SSB)

Wie es dazu kam

Den Vertretern des italienischen Befreiungskomitees (CLN) war bewusst, dass die Südtiroler eine Wiedervereinigung mit dem wiedererrichteten Österreich anstrebten. Da sie über die deutsch-alliierten Kapitulationsverhandlungen bestimmt informiert waren, ging es besagter Widerstandsbewegung in den letzten Kriegstagen vor allem um die territoriale Besitzstandsicherung am Brenner, um – noch vor Eintreffen der alliierten Truppen – in Südtirol vollendete Tatsachen zu schaffen und die deutsch- und ladinischsprachige Bevölkerung erneut unter italienische Kontrolle zu bringen. Es war klar: Wer beim Einrücken der Alliierten die Kontrolle in Südtirol ausübte – Südtiroler oder Italiener – der hatte die deutlich bessere Ausgangsposition für die späteren Friedensverhandlungen, bei denen es auch um die Festlegung der Grenzen gehen würde. Aus diesem Grund wurde der Mailänder Geschäftsmann Bruno De Angelis im April 1945 von Mailand aus mit dem gezielten Auftrag nach Bozen geschickt, die Machtübernahme Italiens über den CLN in Südtirol vorzubereiten und durchzuführen.

Der Handstreich gelang und so wurden die Alliierten, als sie am 4. Mai 1945 in Bozen einrückten, von einer mit italienischen Trikoloren beflaggten Stadt empfangen, während sie im Unterschied dazu in Innsbruck von weiß-roten und rot-weiß-roten Fahnen begrüßt wurden. Und während ihnen in Innsbruck eine provisorische Tiroler Landesregierung entgegentrat, stellten sich ihnen in Bozen als Vertreter der italienischen Regierung der Präfekt Bruno De Angelis und ein italienischer Bürgermeister vor. Jener Präfekt wurde von den Alliierten am 12. Mai 1945 auch als solcher bestätigt.

Nur durch das politische Ziel des Besitzanspruches auf Südtirol motiviert und dementsprechend sinnlos, waren auf De Angelis Bestrebungen zurückgehende bewaffnete Aktionen, die sich noch nach Bekanntgabe der Kapitulation der deutschen Truppen in Italien und der Einstellung aller Feindhandlungen ereigneten. Zu einer solchen –  von italienischer Seite provozierten bewaffneten Auseinandersetzung zwischen deutschen Truppen und Italienern – kam es am 2. Mai 1945 in Laas im Vinschgau, bei der neun italienische Arbeiter ums Leben kamen. Zur blutigsten Auseinandersetzung sollte es aber am 3. Mai 1945 in der Bozner Industriezone kommen. Mit der Zielsetzung, durch Provokation einen Kampf gegen die bereits geschlagenen Gegner herauszufordern, um einen Anspruch auf die Brennergrenze geltend machen zu können, lösten Arbeiter der Lancia-Werke, die organisiert und bewaffnet worden waren, mit Schüssen aus dem Hinterhalt auf die Richtung Norden zurückflutenden deutschen Truppen, die völlig sinnlose „Schlacht von Bozen“ aus, die mehrere Todesopfer forderte.

Wiederherstellung faschistischer Zustände in Bozen

Die Machtübername Italiens in der Person De Angelis und unter dem Segen der Alliierten bedeutete für Südtirol, dass mit der Außerkraftsetzung aller Verordnungen, die in der Zeit der deutschen Verwaltung erlassen wurden, jener Zustand wiederhergestellt wurde, der zuvor am Höhepunkt der faschistischen Diktatur in Südtirol vorherrschte. Neben der Wiedereinsetzung ehemaliger Faschisten in ihre Ämter, wurde Italienisch auch wieder zur alleinigen Amtssprache erklärt. Am 22. November 1945 beklagte der „Volksbote“, dass von 50 Beamten der Bozner Quästur nur vier Südtiroler seien. Auch die italienische Massenzuwanderung setzte sogleich wieder ein. Allein zwischen Mai 1945 und Jahresende sollten 25.000 Italiener nach Bozen zuwandern.

Bereits am 19. Mai 1945 protestierte die eben erst gegründete Südtiroler Volkspartei (SVP) in einem Schreiben an die alliierte Militärregierung: „Die durch die faschistische Regierung und Partei geschaffenen Zustände wurden nicht abgeschafft […] sondern wiederhergestellt und verschärft.“

Der Leiter der politischen Abteilung der Quästur, Alberto Nastati, ließ daraufhin sofort die Mitgliederlisten der neuen Partei beschlagnahmen. Die italienischen Truppeneinheiten führten sich also sogleich und wiederholt auf, wie in besetztem Feindesland.

Vorhaben der ethnischen Säuberung

Was heute außerdem nahezu in Vergessenheit geraten ist, ist die Tatsache, dass den Südtirolern genauso die Gefahr der Vertreibung drohte, wie auch 14 Millionen anderen Deutschen. Im Juli 1945 richtete die oberste italienische Siedlungsbehörde („Commissariato per le Migrazioni“) ein Memorandum an das italienische Innenministerium, in dem es den Vorschlag unterbreitete, die bereits im Zuge der Option ausgesiedelten 75.000 Südtiroler nicht mehr nach Südtirol zurückkehren zu lassen und forderte außerdem die Ausweisung weiterer 100.000 Südtiroler:

„Wenn diese 100.000 mit Sonderreisepaß versehenen Personen umgesiedelt werden, kann das Problem des Alto Adige faktisch als erledigt angesehen werden, da die Provinz Bozen endlich einmal eine große italienische Mehrheit haben wird. Es wird sich dann lediglich darum handeln, jene italienischen Provinzen auszusuchen, aus denen die Familien stammen sollen. die die Höfe der Fremdsprachigen zu übernehmen hätten.“

Am 21. November 1945 genehmigte die italienische Regierung dazu einen Gesetzentwurf, der die faktische Vertreibung der Südtiroler zur Folge gehabt hätte. Diese Vorgehensweise wurde jedoch von den Alliierten untersagt, was zeigt, dass nur die Präsenz der westlichen Alliierten und die Tatsache, dass Italien nicht zu den Siegerstaaten zählte, die Südtiroler vor dem Schicksal einer Massenvertreibung bewahrte. Dennoch versuchte man von italienischer Seite weiter vehement, die Rückkehr der bereits umgesiedelten Südtiroler zu verhindern.

 

Wieder zerplatzt der Traum der Selbstbestimmung

Ein weiterer schwerwiegender Schlag für die Bevölkerung südlich des Brenners war das endgültige Nein der Außenministerkonferenz der vier alliierten Mächte (USA, Großbritannien, Frankreich und Sowjetunion) zu einer Volksabstimmung über die staatliche Zugehörigkeit Südtirols am 1. Mai 1946. Damit wurde die Forderung nach dem demokratischen Selbstbestimmungsrecht erneut verweigert und Südtirol wieder gegen den Willen der Bevölkerung Italien zugesprochen. Schon wieder zerplatzte der Traum der Tiroler Landeseinheit.

Bis in die 1960er-Jahre hinein verfolgte Italien die Politik der schleichenden ethnischen Säuberung durch soziale Diskriminierung, die tausende Südtiroler zur Auswanderung aus ihrer Heimat zwang, während gleichzeitig die italienische Einwanderung nach Südtirol massiv gefördert wurde. Diese Assimilierungspolitik und die daraus entstehende Diskriminierung und die sozialen Missstände führten in direkter Folge zu der wachsenden Unzufriedenheit in der Bevölkerung und den bekannten Ereignissen der 1960er-Jahre in Südtirol.

Noch heute weigert sich Italien – ganz besonders in Südtirol – beharrlich, die Zeugnisse und Spuren der faschistischen Herrschaft zu beseitigen. Noch heute werden faschistische Relikte mit Millionen von Steuergeldern aufwändig restauriert, gehegt und gepflegt und von Militärs und extremistischen Gruppen aufgesucht. Italien pflegt also noch heute ein mitunter sehr „legeres“ Verhältnis mit Teilen seiner Geschichte.

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Teile der historischen Begegebenheiten wurden aus der Broschüre “8. Mai 1945  – Der Faschismus überlebt in Südtirol” des Südtiroler Sehützenbundes von 1995 entnommen.

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  1. TomTom
    25.04.2024

    Für Südtirol sicher keine Befreiung

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