von gk 20.04.2024 11:30 Uhr

Wie aus Faschisten plötzlich Christdemokraten wurden

Das Jahr 1945 hätte zu einem demokratischen Neubeginn in Südtirol führen können. Es hätte die Gelegenheit geboten, im Sinne der von den siegreichen Alliierten propagierten Menschenrechte, das Unrecht von 1920 zu korrigieren und Südtirol wieder zu Österreich heimkehren zu lassen. Es kam aber bekanntlich alles ganz anders.

 

Alcide Degasperi (Bild: Wikimedia Commons)

Der beginnende „Kalte Krieg“ veranlasste die Amerikaner und Briten, die hehren Grundsätze zu Gunsten des Bündnisses mit Italien hintan zu stellen, welches im Mittelmeerraum eine strategische Rolle spielte. Ihr italienischer Partner war dabei Alcide Degasperi, welcher am 10. Dezember 1945 mit der Regierungsbildung betraut worden war und der bis 1953 Regierungschef blieb. Sein Ziel war es, Südtirol um jeden Preis unter italienischer Herrschaft zu behalten.

Der Christdemokrat Degasperi hatte auch eine faschistische Vergangenheit. Er hatte im Jahre 1923 höchstpersönlich durch seine politischen Fehlhandlungen die Errichtung der faschistischen Diktatur ermöglicht. Auf dem Parteikongress des „Partito Popolare Italiano“ (PPI) im April 1923 hatte er die Teilnahme der „Popolari“ an der ersten Regierung Mussolinis ausdrücklich begrüßt und sich mit dem Faschismus solidarisiert:

„Wir bekennen uns offen und rückhaltlos als Kollaborationisten. Nachdem der Staatsstreich (der Faschisten) nun einmal stattgefunden hat, ist es nötig, ihn zu unterstützen, damit die idealistischen, auf Erneuerung abzielenden Energien … in den Dienst des allgemeinen Wohles gestellt werden.“

Der Parteikongress der „Popolari“ hatte daraufhin Mussolini das Vertrauen ausgesprochen und im Sommer 1923 votierte die von Degasperi gelenkte Fraktion der „Popolari“ im römischen Parlament für die faschistische Wahlrechtsreform und ermöglichte mit ihren entscheidenden Stimmen den Faschisten die Machtergreifung. Mussolinis Steigbügelhalter Degasperi hatte aber auch Gegner unter den Faschisten gehabt und verbrachte nach der Auflösung der alten Parteien 16 Monate in Haft. Dieser Glücksfall verschaffte ihm die im Jahr 1945 dann so wertvolle „antifaschistische“ Reputation.

Die geheimnisvolle Wandlung vo Faschisten zu Antifaschisten

Degasperi bediente sich nach Kriegsende als demokratischer Ministerpräsident auch der Hilfe „bewährter“ Faschisten, hievte sie wieder in entscheidende Machtpositionen und integrierte sie nach Möglichkeit in die DC. So wurden diese in ausgewiesene christliche Demokraten umgewandelt. Ein gutes Beispiel dafür ist der Mitbegründer der Democrazia Cristiana, der langjährige Parlamentsabgeordnete, Staatssekretär, Minister und Staatspräsident Oscar Luigi Scalfaro, welcher 1942 in den Justizdienst eintrat, seinen Schwur auf den „Duce“ leistete und sich dann im April 1945 als neugebackener „Antifaschist“ und Staatsanwalt bei einem Nachkriegs-Sondertribunal in Novara betätigte, welches Todesurteile gegen ehemalige Faschisten aussprach. Ebenfalls zu den Gründungsvätern der DC gehörte das ehemalige faschistische Parteimitglied Giovanni Leone. Dieser Mann sollte es im Jahre 1963 zum italienischen Ministerpräsidenten bringen.

Italienische Rassengesetzgebung

Der Christdemokrat und spätere Innenminister und Ministerpräsident Amintore Fanfani hatte im Jahre 1938 zu den zahlreichen intellektuellen Unterzeichnern des „Manifesto des Razzismo Italiano“ (Manifest des italienischen Rassismus) gehört, in dessen Artikel IX es hieß: „Die Juden gehören nicht der italienischen Rasse an.“

Dieses von der Faschistischen Partei initiierte Manifest war der Anstoß und Grundlage für die italienische Rassengesetzgebung, den Ausschluss der Juden aus der nationalen Gemeinschaft und ihre darauf folgende Verfolgung gewesen. Fanfani arbeitete auch zusammen mit Giorgio Almirante, dem späteren Gründer der neofaschistischen Partei „Movimento Sociale Italiano – MSI“ (Italienische Sozialbewegung) an der faschistischen Zeitschrift „La difesa della razza“ (Die Verteidigung der Rasse) mit.

1939 rühmte Rassenspezialist Fanfani den Faschismus in der Zeitschrift „Rivista internazionale die scienze sociali“ (Internationale Zeitschrift der Sozialwissenschaften) mit den Worten:

„… es verwirklichte sich die traditionelle faschistische Politik zur Verteidigung der Rasse … für die Macht und Zukunft der Nation müssen die Italiener … rassisch rein sein.“

Daher sei „die Trennung der Semiten von der nationalen Volksgruppe“ notwendig. Für ein künftiges Europa wünschte sich Fanfani die „allgemeine Einführung autoritärer Regierungsformen“ sowie die „harmonische Abstimmung der verschiedenen Systeme auf die Grundsätze des Faschismus und Nationalsozialismus.“

  • Amintore Fanfani (Bild: Wikimedia Commons).

Bedeutung für die Südtirol-Frage

Im Zusammenhang mit der Südtirol-Frage ist von Bedeutung, dass dieser Mann von 1960 bis 1962 Ministerpräsident war, sich durch Autonomiefeindlichkeit und Gehässigkeit gegenüber den Südtirolern auszeichnete und nicht gegen die Folterungen wehrloser Menschen unternahm. Er hatte in Wahrheit nichts von seiner alten Gesinnung aufgegeben.

Die DC gestattete im Jahre 1946 die Gründung der neofaschistischen Partei MSI, welche sich den Christdemokraten als Verbündeter im Kampf gegen die Kommunisten und Sozialisten zur Seite stellte. Im Oktober 1946 kam es zur ersten großen Amnestie, welche für zehntausende Faschisten die Kerkertore öffnete. Der MSI unterstützte die DC in zahlreichen Parlamentswahlen, bei Regionalratswahlen in Sizilien und Sardinien, bei Kommunalwahlen und 1947 bei der Bürgermeisterwahl in Rom. Im Jahre 1948 sollte unter den Vorzeichen dieser Zusammenarbeit auch der Bozner DC-Kandidat Angelo Facchin, ein ehemaliger fanatischer Faschist, mit den Stimmen der Neofaschisten in die römische Abgeordnetenkammer gewählt werden.

Von 1953 bis 1954 war der DC-Politiker Antonio Azara italienischer Justizminister. Auch er besaß als Jurist eine besondere Qualifikation: Er war Generalstaatsanwalt und Mitglied des wissenschaftlichen Komitees der faschistischen Zeitschrift „Il Diritto Razzista“ (Rassenrecht) gewesen. Im Jahr 1953 unterstützte der MSI im römischen Parlament die Bildung der Regierung des Ministerpräsidenten Giuseppe Pella (DC), eines ehemaligen faschistischen „podestá“ (Bürgermeisters) von Biella. 1957 stützte der MSI die Regierung des DC-Politikers Antonio Segni, kurz darauf die Regierung des DC-Ministerpräsidenten Adone Zoli, 1959 wieder eine Regierung Segni und 1960 die Regierung des DC-Politikers Fernando Tambroni. Letzerer war eingeschriebenes Mitglied der Faschistischen Partei gewesen und hatte es in der Fachistischen Miliz bis zum „Centurione“ gebracht.

 

Enge Freundschaft zwischen (Neo-)Faschisten und Christdemokraten

Die DC bedankte sich für solche Zuneigung mit öffentlichen Freundschaftsbekundungen. Am 4. Mai 1953 umarmte der christdemokratische Staatssekretär im 7. Kabinett Degasperi, Giulio Andreotti, auf einer Wahlveranstaltung der DC in Arcinazzo öffentlich den wegen seiner in Libyen und Äthiopien verübten Gräuel berüchtigten faschistischen Marschall und Ehrenpräsidenten des neofaschistischen MSI, Rodolfo Graziani.

Der spätere Innenminister, Verteidigungsminister und Ministerpräsident Andreotti hatte bereits als Student im Jahre 1935 an den „Littorali“, den Kulturbewerben der faschistischen Studentenorganisation GUF („Gruppo Universitario Fascista“) teilgenommen und in der faschistischen Zeitschrift „La Terra“ Lobendes über den „Duce“ veröffentlicht. Ebenso wie Andreotti kam auch der DC-Politiker Paolo Taviani, welcher ebenso wie Scelba in den Jahren 1962–1968 als Innenminister die Folterungen Südtiroler Häftlinge durch die Carabinieri decken sollte, aus der faschistischen GUF. Taviani hatte im Jahr 1936 in der Zeitschrift „Vita e Pensiero“ geschrieben:

„Italien besitzt ein Imperium, weil es Mussolinis Prinzipien des gefährlichen Lebens, des Glaubens, Gehorchens und Kämpfens in die Tat umsetzt.“

  • Aldo Moro auf einer Parteiveranstaltung der DC (Bild: Wikimedia Commons)

Bei der Vertuschung der Folterungen half natürlich auch der italienische Justizapparat nach Kräften mit, an dessen Spitze vom 21. Februar 1962 bis zum 4. Dezember 1963 Giacinto Bosco stand, welcher unter dem Faschismus von 1927 bis 1932 das Amt eines Staatssekretärs  im Außenministeriums inne gehabt hatte.

Der DC-Politiker Aldo Moro, Ministerpräsident von 1963 bis 1968 war so wie Andreotti Mitglied der faschistischen Studentenorganisation GUF gewesen. Er hatte sich später, bis zu seiner Ermordung durch die „Brigate Rosse“ als gemäßigter Politiker erwiesen. Als Ministerpräsident hatte aber auch er zu den Folterungen in Südtirol geschwiegen und nichts dagegen unternommen.

 

Fortsetzung folgt…

Der obige Auszug stammt aus dem Buch „Für die Heimat kein Opfer zu schwer“ von Dr. Helmut Golowitsch.

Golowitsch, Helmut: Für die Heimat kein Opfer zu schwer. Folter-Tod-Erniedrigung. Südtirol 1961-1969. Edition Südtiroler Zeitgeschichte: Deutschland: Druckerei Brunner. 2009. ISBN: 978-3-941682-00-9

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