von gk 12.02.2024 09:31 Uhr

„Die Zeit in Rom hat mein politisches Urteilsvermögen geschärft“

Der Südtiroler Freiheitskämpfer und Musiker Günther Andergassen erzählt in seiner Autobiografie über seine Ausbildungszeit und wie er die Situation und Missstände im Südtirol der 1950er- und 1960er-Jahre – fernab der Heimat – erlebte.

Ausflug während der Gymnasialzeit in Innsbruck; Günther Andergassen in der Mitte, mit dem Brillenbügel im Mundwinkel (Bild: Effekt Verlag).

Nachdem Günther Andergassen aus Dresden zurückgekehrt und Innsbruck wiederaufgebaut war, stellte sich dort bald der Alltag ein. Er besuchte das Realgymnasium und schon bald war klar, dass er sich der Musik und Komposition sehr zugetan fühlte. Er gründete einen Kirchenchor, komponierte, musizierte und begann 1950 ein Studium an der Universität Innsbruck in Romanistik, Anglistik mit starkem Blick auf die Künste, also Kunstgeschichte und Musikwissenschaft.

Mithilfe eines Staatsstipendium verbrachte er nach seiner Promotion acht Semester in Rom, heiratete dann die Innsbruckerin Elvira Oberhauser, wurde Vater und schaffte es neben seiner Familie und beruflichen Tätigkeit auch noch „nebenbei“ an der Salzburger Musikakademie „Mozarteum“ Musikpädagogik und Komposition zu studieren.

  • Günther Andergassen mit Gattin Elvira (Foto: Effekt Verlag).
  • Günther Andergassen mit seinem Sohn (Foto: Effekt Verlag).

„In meine Zeit in Rom sind nicht nur wichtige persönliche Ereignisse und Begegnungen gefallen, sondern Rom hat auch mein politisches Urteilsvermögen geschärft. Bei aller Verehrung der italienischen Kultur, hat diese wichtige Zeit mich auf meine Wurzeln besinnen lassen und mir geholfen, besser zu erkennen, wo ich herkam und wohin ich sollte. Tatsächlich schätzte ich nach Rom die eigenen Ursprünge als der anderen Seite ebenbürtig ein. Umso mehr aber verachtete ich den mussolinischen Geist, der inzwischen längst und seit 1922 im Besonderen seine Diktatur auslebte.

Und damit sind wir auch beim Thema „Südtirol“, das nach und nach die Gespräche zwischen mir und meiner Frau bestimmte. Elvira hatte vorher kaum Berührung mit der Geschichte Südtirols gehabt. Mit der Zeit wurde ihr aber klar, was mich so intensiv beschäftigte, und sie lernte die ungewöhnliche Vorgeschichte kennen, die später mein und unser Leben bestimmten sollte. Es ist wohl durchaus verständlich, dass wir uns zwar gut verstanden, dass unser Leben aber ohne Konflikte gar nicht denkbar war.

Wenn ich mir später die Frage stellte, ob meine Heirat mit Elvira richtig war, so gab ich mir selbst die positive Antwort darauf – all dies mit Elviras überzeugtem Ja dazu. Und das trotz allem was uns das spätere Leben so sehr erschwerte.

Der Faschismus in Südtirol feierte fröhliche Urständ

In den späten 50er-Jahren war die Situation in Südtirol prekär: Tausende junge Menschen mussten Arbeit im Ausland suchen; staatliche Stellen und öffentliche Ämter der Verwaltung, bei der Bahn und bei der Post wurden an zugewanderte Italiener oder an deren Nachkommen – und nicht an Südtiroler – vergeben. Ebenso beklemmend war die Wohnungssituation; die neu errichteten „Volkswohnhäuser“ blieben Zuwanderern aus dem Süden vorbehalten – die in den 30er-Jahren dafür errichtete Industriezone hatte die Voraussetzung dafür geschaffen. Die Autonomie war bereits zu ihrer Entstehungszeit ausgehöhlt durch die Einbeziehung der Provinz Trient, was zu einer Minderheit im eigenen Land führte. Die Diktion der Italiener bis herauf zu Alcide Degasperi war die gleiche geblieben: Man sprach nach wie vor von der „heiligen und gottgewollten Brennergrenze“.

Man war noch fern von einem Europa der Vaterländer, wie wir es uns heute vorstellen könnten. Vieles aus der faschistischen Ära hatte überlebt oder feierte gar fröhliche Urständ: Denkmäler aus jener unseligen Zeit waren Mittelpunkt von nationalen Feiern und wurden immer wieder restauriert. An den Beinhäusern in Innichen, Gossensaß und Mals legte man damals wie heute Kränze nieder, um vorzugaukeln, dass hier Italiener im Ersten Weltkrieg gefallen seien und man sich dieses Land mit 600.000 Toten „verdient“ habe.

Die Kundgebung auf Schloss Sigmundskron und ihre Auswirkungen

Zu all den sozialen und politischen Missständen kam vieles hinzu, sodass schließlich das Fass zum Überlaufen kam und der Widerstand sich massiv rührte.

Am 17. November 1957 fanden sich mehr als 35.000 Südtiroler zu einer Demonstration auf Schloss Sigmundskron ein, die zunächst als Protest gegen die italienische Autonomie-Politik in der Form einer Los-von-Trient-Bewegung konzipiert war, vom Großteil der Anwesenden aber als Los-von-Rom-Forderung betrachtet wurde. Ganz so weit hatte sich die Volkspartei unter Dr. Silvius Magnago doch nicht vorwagen wollen.

Die Sigmundskroner Kundgebung 1957 wurde zum Wendepunkt, an dem die Bewegung im Untergrund enger zusammenrückte. Italien und seine Regierung hatten nicht die Zeichen der Zeit verstanden und es erfolgte auch weiterhin keine Verbesserung der Autonomie. Unter der Decke gärte es. Und im Untergrund formierte sich allmählich der Widerstand, der schließlich in den Sechziger-Jahren unter der Leitung des charismatischen Sepp Kerschbaumer zum Höhepunkt in der „Feuernacht“ vom 11. auf den 12. Juni 1961 führte. Bei der Sprengung von über 40 Elektromasten machten Tiroler aus allen Landesteilen mit.

Fortsetzung über Günther Andergassens Leben und Mitwirken im Südtiroler Freiheitskampf folgt…

Der obige Auszug stammt aus dem Buch „Ohne Opfer keine Freiheit“ von Prof. Dr. Günther Andergassen.

Andergassen, Günther: Ohne Opfer keine Freiheit. Autobiographie eines Musikers und Freiheitskämpfers: Neumarkt a.d. Etsch: Effekt!. 2010. ISBN: 978-88-9040-546-4

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