von Alexander Wurzer 13.01.2024 06:00 Uhr

Autonomie: Die Mär der Wiederherstellung verlorener Kompetenzen

Die Autonomie Südtirols hat seit der Verfassungsreform im Jahr 2001 erheblich gelitten. Laut Matthias Haller, Träger des ersten Silvius-Magnago-Preis für wissenschaftliche Forschungen zur Südtirol-Autonomie im Jahr 2022, haben sich durch Querschnittkompetenzen bei 50 Prozent der Zuständigkeiten erhebliche Einschränkungen ergeben. Zudem hat die Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes den Rahmen und Spielraum der autonomen Gesetzgebung und Verwaltung zunehmend eingeschränkt. In diesem Kontext will die neue Landesregierung die verlorengegangenen Kompetenzen zurückholen. Dies steht unmissverständlich im Entwurf des Koalitionsabkommens 2023 – 2028.

Foto: LPA/Barbara Franzelin

Skepsis gegenüber den Versprechen der Regierung

Seit dem Amtsantritt von Arno Kompatscher als Landeshauptmann im Jahr 2013 finden sich in den Koalitionsprogrammen wiederkehrend Versprechen im Hinblick auf den Ausbau der Autonomie und der Zurückholung verlorener Kompetenzen wieder, die bis heute weitgehend unerfüllt geblieben sind. Besonders prägnant wurde dies 2013 formuliert: „Das Autonomiestatut muss an die geänderten gesellschaftlichen, politischen und rechtlichen Rahmenbedingungen angepasst werden. Dieser Weg wird auf die breitest mögliche Einbindung aller abzielen, bei der Definition der Ziele ebenso, wie bei jener des Weges dorthin.“ Es wurde ein umfassender Plan skizziert, der vorsah, dass innerhalb von sechs Monaten nach Einsetzung der Landesregierung ein Landesgesetz zur Einrichtung des Reformkonvents verabschiedet wird. Dieser Konvent, bestehend aus politischen Vertretern sowie Vertretern der Sozialpartner und der Zivilgesellschaft, sollte dem Landtag zeitnah einen Entwurf für die Reform des Autonomiestatuts vorlegen. Der Entwurf sollte sich auf drei grundlegende Aspekte konzentrieren: die Zuständigkeiten, das Regierungssystem und das Zusammenleben. Diese Ankündigung schürte große Erwartungen und Hoffnungen auf eine substanzielle Erneuerung und Stärkung der Autonomie. Der mit viel Elan angekündigte Autonomiekonvent wurde zwar durchgeführt und ein Entwurf vorgelegt, jedoch hat dieser Entwurf bisher keine praktische Anwendung gefunden und liegt ungenutzt in einer Schublade. Diese Diskrepanz zwischen den optimistischen Ankündigungen und der realen Stagnation hat bei vielen Beobachtern und Bürgern Südtirols zu einer zunehmenden Skepsis und Enttäuschung geführt.

Von optimistischen Ankündigungen zur Realität der Stagnation

Die Erwartungen wurden weiter geschürt, als im April 2015 das Presseamt des Landes eine optimistische Botschaft verkündete. In dieser Mitteilung hieß es, dass sich Kompatscher und der damalige Ministerpräsident Matteo Renzi bald treffen würden, „um ein Abkommen zwischen dem Staat und dem Land zu unterzeichnen, durch welches wir Zuständigkeiten zurückerhalten, die uns in den letzten zehn Jahren genommen wurden. Außerdem bildet es die Grundlage für einen weiteren Ausbau der Autonomie.“ Diese Aussage nährte die Hoffnung auf eine baldige Rückgewinnung verlorener Kompetenzen und einen bedeutenden Schritt in Richtung einer erweiterten Autonomie. Allerdings hat sich in der Folge wenig in dieser Richtung bewegt.

Erneute Versprechen im Jahr 2018

Im Koalitionsprogramm von 2018 wurde erneut der Fokus auf die Stärkung und den Ausbau der Autonomie Südtirols gelegt. Das Programm formulierte das Ziel klar und unmissverständlich: „Wir setzen uns das gemeinsame Ziel, die Autonomie weiterhin zu stärken und bestmöglich auszubauen und das entsprechende Bewusstsein in der Bevölkerung nachhaltig zu festigen. Dies geschieht zum einen dadurch, dass zentrale Kompetenzbereiche in die primäre Zuständigkeit des Landes übernommen werden, und zum anderen, indem die Gestaltungsmöglichkeiten des Landes auf verschiedenen Ebenen ausgeweitet werden. Im Sinne einer effizienten und subsidiären Verwaltung wird erreichte Autonomie auch an die Gemeinden weitergegeben, um lokalbezogene Entscheidungen möglichst bürgernah treffen und umsetzen zu können.“

Bilanz der letzten Legislaturperiode

Blickt man jedoch auf die Entwicklungen der letzten Legislaturperiode zurück, muss man feststellen, dass das ambitionierte Ziel der Stärkung und des Ausbaus der Autonomie nicht erreicht wurde. Diese Einschätzung wird durch die Studie von Matthias Haller eindeutig belegt. Hallers Forschung zeigt auf, dass trotz der wiederholten Versprechen und Absichtserklärungen die tatsächlichen Fortschritte in Bezug auf die Erweiterung und Vertiefung der Autonomie weit hinter den Erwartungen zurückgeblieben sind. Dies wirft Fragen hinsichtlich der Umsetzbarkeit und des Engagements der politischen Führung in Südtirol auf und lässt die Bürger an der Realisierbarkeit der versprochenen Ziele zweifeln.

Zivilgesellschaft muss eine effektive Umsetzung der Autonomiebestrebungen einfordern

Die wiederkehrenden Versprechen, die Autonomie Südtirols zu stärken, scheinen bis heute weitestgehend unerfüllt. Dieses kontinuierliche Muster von Versprechungen ohne greifbare Fortschritte stellt die Glaubwürdigkeit der aktuellen Koalitionsagenda in Frage. Es zeigt auf, dass die bisherigen Ansätze und Bemühungen, die Autonomie effektiv zu stärken, nicht die gewünschten Ergebnisse erbracht haben. Diese Erkenntnis ist besonders enttäuschend, wenn man bedenkt, dass seit 2013 über ein Jahrzehnt vergangen ist, ein Zeitraum, in dem bedeutsame Schritte hätten unternommen werden können.

In Anbetracht dieser Situation ist es unerlässlich, dass sowohl politische Entscheidungsträger als auch die Bevölkerung Südtirols eine kritische Reflexion und Neubewertung der bisherigen Strategien vornehmen. Die Bürger Südtirols stehen vor der Herausforderung, eine transparente und effektive Umsetzung der Autonomiebestrebungen einzufordern und sich aktiv in den politischen Prozess einzubringen. Nur durch eine kritische Auseinandersetzung und einen verstärkten Druck auf die politischen Akteure kann sichergestellt werden, dass die Versprechen der Autonomie nicht nur in Wahlprogrammen existieren, sondern auch in greifbare Realitäten umgesetzt werden.

Jetzt
,
oder
oder mit versenden.

Es gibt neue Nachrichten auf der Startseite