Faschistische Indoktrination in der Schule

Wie die Historikerin Dr. Margareth Lun berichtet, waren in den staatlichen Schulen die deutschen Lehrer vom Dienst suspendiert und durch italienische Lehrkräfte aus anderen Provinzen ersetzt worden. Was das für die einzelnen deutschen Lehrkräfte bedeuten konnte, schilderte die in Innsbruck erscheinende Zeitung „Tiroler Anzeiger“ am 27. März 1929 anhand des Beispiels der Behandlung einer geistlichen Schwester. Die barmherzige Schwester H.M. war 1923 ihrer Lehrstelle in Sterzing enthoben worden. Sie fand „gegen Arbeitsleistung Aufnahme und Verpflegung“ im Sterzinger Gemeindespital. 1927 wurde ihr die Gewährung der Pension mit der Begründung verweigert, dass sie diese nur dann hätte erhalten können, wenn sie weiter im Schuldienst geblieben wäre. Im Jahre 1929 wurde sie aus dem Spital gewiesen, weil dort nur italienische Schwestern tätig sein sollten.
Das Fortkommen der Kinder in der Schule hing bei vielen italienischen Lehrern auch von der Mitgliedschaft in einer faschistischen Jugendbewegung ab. Damit kamen die Eltern der Schüler unter Druck, dem Eintritt der Kinder zuzustimmen. Buben im Alter von 8 bis 14 Jahren sollten nach dem Willen der italienischen Machthaber in die Organisation „Balilla“ eintreten. Diese war nach einem italienischen Buben benannt, welcher angeblich als zwölfjähriger „Held“ in Genua im Jahre 1735 Steine auf österreichische Soldaten geworfen hatte.
In der in Innsbruck erscheinenden Zeitung „Der Südtiroler“ wurde in einem Bericht aus Kaltern geschildert, wie die deutschen Kinder in die faschistische Jugendorganisation „Balilla“ hineingezwungen wurde:
Die Zeitzeugin Eva Hatzis, eine ehemalige Volksschullehrerin in Olang, berichtet, dass ein Cousin von ihr drei Jahre lang Fünfer im Zeugnis hatte, weil dessen Vater die Mitgliedsgebühr für die „Balilla“ nicht bezahlt hatte. Als dann die Mutter des Buben die Gebühr bezahlte, hatte er von einem Tag zum anderen „in allen Fächern ‚lodevole‘, was zu Deutsch lobenswert heißt“. Am Samstagnachmittag „mussten sich die Kinder in der faschistischen Uniform treffen und dort faschistische Lieder lernen“. Eva Hatzis berichtet weiter, dass die Kinder in den Schulpausen kein Wort Deutsch miteinander reden durften. Dies wurde streng durch die italienischen Lehrer kontrolliert, die vielfach sehr brutal waren.
Wie in der Schule faschistische Indoktrination betrieben wurde, darüber gibt ein Schulzeugnis aus dem Schuljahr 1940/41 Auskunft. In diesem Schulzeugnis werden gleich zwei benotete faschistische Unterrichtsfächer angeführt: „Verschiedene Kenntnisse und faschistische Kultur“ (nozioni varie e cultura fascista) sowie „Geschichte und faschistische Kultur“ (storia e cultura fascista). Man kann sich ungefähr vorstellen, wie dem Regime ergebene und auf ihr berufliches Fortkommen bedachte italienische Lehrer versucht hatten, die Kinder ideologisch zu drillen.
Der ausgeübte Zwang bewirkte allerdings das Gegenteil dessen, was die italienische Führung herbeizuführen versucht hatte. Eva Hatzis dazu:
„Meiner Meinung nach waren die Südtiroler nie so deutsch wie damals. Damals hatte das deutsche Wort, das deutsche Lied, das deutsche Brauchtum so viel Wert wie sonst niemals zuvor. Die Lieder waren verboten, auf den Berg gehen war verboten, Herz-Jesu-Feiern waren verboten, natürlich hat man es trotzdem gemacht, weil man genau wusste, bis da einer kommt zu schauen, sind wir lange schon weg. Außer es gab im Dorf Verräter, und die gab es überall. Aber grad, weil es verboten war, haben es die Südtiroler gemacht.“
Fortsetzung folgt…
Der obige Auszug stammt aus dem Buch „An der Seite des Volkes. Südtirols Geistliche unter dem Faschismus 1918–1939“ von Helmut Golowitsch.
Golowitsch, Helmut: An der Seite des Volkes. Südtirols Geistliche unter dem Faschismus 1918–1939: Neumarkt a.d. Etsch: Effekt!. 2022. ISBN: 978-88-97053-95-8
Der Verfasser hat seinem Buch ein Verzeichnis beigefügt, in welchem Ereignisse, dokumentierte Übergriffe und Gewalttaten nach Daten von 1918 bis Mai 1943 dokumentiert und kartografisch abgebildet sind.






