von gk 03.10.2023 12:38 Uhr

Die „Lex Gentile“ – Todesstoß für die deutsche Schule

Den Faschisten war bei ihrer Machtübernahme sehr wohl bewusst, dass  es kaum gelingen würde, erwachsene Generationen in Südtirol zu Italienern zu machen. Was darauf folgte, war ein rücksichtsloser, ideologischer Angriff auf die deutsche Schule und den muttersprachlichen Unterricht für deutsch- und ladinischsprachige Kinder.

Ab nun gingen die Kinder nicht mehr in Volksschulen, sndern in die "scuole elementari", wie hier in Prissian, einer Fraktion der Gemeinde Tisens (Bild: Effekt Verlag).

Diesem endgültigen Todesstoß der deutschen Schule waren bereits die seit der Machtübernahme andauernde Unterdrückung des muttersprachlichen Unterrichts und die „Lex Corbino“, die Verweisung vieler deutschsprachiger Kinder in italienische Schulen, vorausgegangen. Diese waren offenbar nur ein Vorspiel dafür gewesen, was noch folgen würde. Den Hauptschlag gegen das deutsche Eigenleben der Südtiroler sollte der sich als faschistischer Staats-„Philosoph“ gebärdende Sizilianer Giovanni Gentile führen, welcher von Benito Mussolini zum Erziehungsminister ernannt worden war. Am 1. Oktober 1923 wurde ein von ihm initiiertes Schulgesetz verkündet, welches unter dem Namen „Lex Gentile“ traurige Berühmtheit erlangte.

  • Der faschistische Staats-"Philosoph" Giovanni Gentile (Bild: Effekt Verlag)
  • Titelbild des "Landmanns" vom 27. Oktober 1923 (Bild: Effekt Verlag).

Dieses Gesetz, welches am 24. Oktober 1023 in Kraft trat, schrieb allen Volks- und Gemeinschulen Südtirols die stufenweise Einführung der italienischen Unterrichtssprache vor. Zunächst sollte in „Anhangstunden“ noch Deutschunterricht erlaubt sein. Die staatlichen Behörden erhoben mit Rundschreiben, ob ihre Weisungen auch befolgt würden. Im Archiv der Pfarre Montan (Montagna) ist ein mit 1. Dezember 1923 datiertes Rundschreiben des „Sottoprefetto“ Dr. Prandi der Unterpräfektur Cavalese an die Schuldirektionen und Pfarrämter im Bezirk Neumarkt (Egna) erhalten geblieben.

In dem Schreiben hieß es: „Ich bitte die Schuldirektion, mir mit höflicher Eile zu berichten, ob die italienische Sprache die einzige Unterrichtssprache in dieser Elementarschule ist – die Religion inbegriffen. Mich interessiert zu wissen, ob der sehr ehrwürdige Pfarrer sich für den Religionsunterricht verwendet, oder ob dieser von den Klassenlehrern erteilt wird.“

Zu Beginn des Schuljahres 1925/26 wurde durch ein weiteres Dekret jeglicher Deutschunterricht, auch als Freigegenstand, verboten.

  • Rundschreiben der Unterpräfektur Cavalese vom 1. Dezember 1923 (Bild: Effekt Verlag).

Die Historikerin Dr. Margareth Lun berichtet: „Bereits 1928 war das Deutsche als Unterrichtssprache völlig ausgeschaltet. In den staatlichen Schulen wurden die deutschen Lehrer vom Dienst suspendiert und durch italienische Lehrkräfte aus anderen Provinzen, die natürlich keine Deutschkenntnisse besaßen, und auch nicht besitzen mussten, ersetzt. […] Die Folgen wurden bald sichtbar. Schulabgänger waren nicht mehr imstande, in ihrer Muttersprache zu schreiben, ihr Wortschatz war klein, ihre Sprachkompetenz gering und vor allem waren sie selten imstande, in der Schriftsprache zu sprechen, da sie im privaten Bereich ja ausschließlich Dialekt verwendeten. Zudem versuchten die meisten italienischen Lehrer, die Schulkinder ideologisch und politisch zu indoktrinieren. […] Die privaten Lehranstalten wurden durch entsprechenden Druck zur Auflösung gezwungen. Nur wenige höhere Privatschulen waren imstande, den Unterricht aufrechtzuerhalten.“

Ab nun wurden alle Kinder in die italienische Schule gezwungen. Sie wurden vielfach uniformiert, und es wurde versucht, sie geistig zu indoktrinieren. Die sprachliche Italianisierung der Schulen brachte auch ihre Umbenennung mit sich. So wurde in Bozen die 1908 als Volks- und Bürgerschule für Mädchen erbaute und nach dem Kaiser benannte „Franz-Josef-Schule“ in „Scuola Adelaide Cairoli“ umbenannt. Posthume Namensgeberin der nunmehr italienischsprachigen Schule war eine italienische Patriotin aus Mailand, Mutter von Söhnen, die im 19. Jahrhundert im Kampf gegen Österreich gefallen waren. Die deutsche Direktorin der Schule, Emma von Leurs, wurde gekündigt. Sie wirkte in der Folge im geheimen Katakombenunterricht und leitete von 1931 bis 1937 Jahreskurse für die Südtiroler Notschule, die in München abgehalten wurden.

  • So sah die deutsche Volksschule in Schabs noch im Jahre 1919 aus (Bild: Effekt Verlag).
  • Eine Klasse in der Grundschule Gries in den 1930er-Jahren (Bild: Effekt Verlag).

Fortsetzung folgt…

Der obige Auszug stammt aus dem Buch „An der Seite des Volkes. Südtirols Geistliche unter dem Faschismus 1918–1939“ von Helmut Golowitsch.

Golowitsch, Helmut: An der Seite des Volkes. Südtirols Geistliche unter dem Faschismus 1918–1939: Neumarkt a.d. Etsch: Effekt!. 2022. ISBN: 978-88-97053-95-8

Der Verfasser hat seinem Buch ein Verzeichnis beigefügt, in welchem Ereignisse, dokumentierte Übergriffe und Gewalttaten nach Daten von 1918 bis Mai 1943 dokumentiert und kartografisch abgebildet sind.

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