von gk 29.08.2023 12:00 Uhr

Der Erste Weltkrieg als Geburtshelfer des Faschismus

Historische Quellen berichten davon, dass sich der zerstörerische Charakter des italienischen faschistischen Diktator Benito Mussolini im Ersten Weltkrieg manifestiert habe. Auf jeden Fall stellte dieser für ihn einen Wendepunkt in seinem politischen Leben dar.

Mussolini als Soldat im Ersten Weltkrieg. Die Schrecken, Massenmorde, die Lehren und Idiotien der Schützengräben waren an Mussolini nicht spurlos vorübergegangen (Foto: Effekt Verlag).

Am 13. September 1915 zog Mussolini als Soldat des 11. Bersaglieri-Regiments an die Kriegsfront und kehrte nach seinem Dienst in den Karnischen Alpen als Korporal am 23. Februar 1917 verwundet nach Mailand zurück. Während seines Kriegseinsatzes schrieb er ein Kriegstagebuch. Zudem war er weiterhin für Il Popolo d’Italia tätig. Als Ende Oktober 1917 die Stunde von Caporetto schlug und Missmut und Verzagen der Italiener eine Niederlage voraussehen ließ, benützte er sein Blatt, um einen gehässigen Lügenfeldzug gegen Deutschland und Österreich zu führen. Laut dem Kammerabgeordneten Gaetano Grosso Campana zog die italienische Regierung in ihrer Verzweiflung noch vor der österreichischen Offensive eine massive Deportation von italienischen Kriegsgegnern in Erwägung.

Das italienische Debakel der 12. Isonzoschlacht bei Karfreit hatte Mussolini derart überreizt, dass ihm keine Zeile und keine Boshaftigkeit zu schäbig war, um den Kriegsüberdruss zu bekämpfen. Alle, die mit Mussolini in nähere Berührung gekommen waren, drückten ihre schwersten Besorgnisse über den Geisteszustand Mussolinis aus.

Krieg verändert die Menschen

Für Mussolini war der Krieg der Wendepunkt seines politischen Lebens. Der Geist der Gewalttätigkeit hatte ihn voll erfasst: „vitam et sanguinem“ für das neue „rassische“ Italien. Am Ende waren es 10 Millionen tote Soldaten, 9 bis 10 Millionen tote Zivilisten, vornehmlich durch Verhungern, und 20 Millionen Verwundete und Krüppel. Viele Menschen fanden später nie mehr in die normale Bahn zurück, aus der sie der Krieg herausgeworfen hatte. Viele hatten zudem aus den Schützengräben das Bedürfnis nach starken Nervenreizen mitgebracht und wurden alkohol- oder kokainsüchtig. Das Paradoxe war, dass Mussolini den Krieg auch noch idealisierte:

„Nur der Krieg bringt die menschlichen Energien zur höchsten Spannung und Entfaltung und drückt den Völkern, die die Kraft besitzen, ihn zu führen, einen Stempel des Adels auf […] Der ewige Friede wäre höchst unerwünscht.“

Mussolinis Verwandlung

Es war kein Zufall, dass alle Diktatoren und Kriegsverbrecher, welche am Ersten Weltkrieg als Soldaten teilgenommen hatten, ihre Entscheidungen als Ausdruck des „Fronterlebnisses“ erklärten. Daraus ergab sich der ständige Ruf nach „Treue und Volksverbundenheit“. Dieser militärische „Geist“ wurden von allerlei Trikolore-Patrioten und reaktionären Frontkämpfervereinigungen weidlich ausgenützt. Mussolini ging einmal so weit zu behaupten, „der Krieg ist für den Mann, was die Mutterschaft für die Frau ist“.

Der von den Nationalsozialisten verfolgte Wiener Jurist und christlich-soziale Politiker Peter Berger (1896–1978) hatte 1934 in seinem Buch über die Entstehungsursachen des Faschismus und Nationalsozialismus keine Zweifel daran gelassen, dass Benito Mussolini erst durch das Fronterlebnis ein „nationaler Italiener“ geworden war. Er war im wahrsten Sinne des Wortes der erste authentische „Nationalsozialist“, erklärte auch der detusche Reichspräsident und legendäre Sozialdemokrat Philipp Scheidemann (1856–1939). Es lag in der Luft. Mussolini hatte während des Großen Krieges die gewaltige Metamorphose in Richtung Chauvinismus vollzogen: Erst revolutionär, dann vulgär, schließlich reaktionär. Das alte Erbe, das Mazzini der italienischen Seele hinterlassen hatte, war ihm im Bunker an der Front vertraulich geworden. Bedeutende Aussprüche von Giuseppe Mazzini hatte er in sein Tagebuch kopiert, wie beispielsweise: „Das Geheimnis der Macht liegt im Willen.“

  • Millionen Menschen fielen im Ersten Weltkrieg als Opfer des größten Gemetzels der modernen Zeit. Viele wurden gleich an der Front begraben, wie hier in der Nähe des Col di Lana (Foto: Effekt Verlag).

„Nicht mehr Sozialist, sondern eigentlich Faschist“

Die mazzinianische Fortsetzung sah er in der Wiederherstellung des „Imperium Romanum“. Mit dem schwarzen Hemd der artidi-Sturmtruppen – verwegene Todesbataillone – sollte das alte Römerreich zum Vorbild für das neue Italien und für neue, geistig zu formende Italiener (Herrenkaste) werden. „Am Leid anderer Wesen“ sollte Italien genesen. Darum musste Mussolini die alte Maske abwerfen. Im Popolo d’Italia hatte er im August 1918 unmissverständlich erläutert, dass er „nicht mehr Sozialist, sondern eigentlich Faschist“ sei. Aus einem Marxisten war ein italienischer Nationalist, kurzum ein römischer Nationalsozialist, aus einem Weltrevolutionärspazifisten ein Kriegstreiber, aus einem bezahlten Anhänger der Entente – wegen der schmalen Kriegsbeute – ein Gegner der Franzosen geworden. Einen ähnlichen Wandlungsprozess hatten – unter anderen Vorzeichen – auch die Männer der nationalen Opposition in Deutschland vollzogen.

Mussolini hatte jegliches Maß für die Wahrheit und die Wirklichkeit verloren. Camillo Berneri, ein aus Lodi stammender Anarchosozialist, der von den Faschisten und deren Lockspitzel verfolgt und 1937 von Agenten der stalinistisch-kommunistischen Geheimpolizei ermordet wurde, hatte das einmal treffend formuliert: „In der rauch- und blutgeschwängerten Atmosphäre des Krieges fällt der Durchschnittsmensch in die Barbarei zurück und manchmal wird er darin sogar zum Wilden.“

Mussolini und die Brennergrenze

An der Front hatte Mussolini Zugang zu den ultranationalistischen Geistern des Risorgimento gefunden, wie er selbst in seinem Kriegstagebuch 1915/1916 festhielt. Das ging so weit, dass er am 4. November 1928 in Rom am Altare della patria vor dem Grabmal des „Unbekannten Soldaten“ voller Stolz erklärte, dass Italien den Ersten Weltkrieg gewollt hatte: „Der Krieg ist dem italienischen Volk nicht durch einen Angriff aufgezwungen worden, sondern das italienische Volk hat vorsätzlich den Krieg gewollt. Der Eintritt in den Krieg ist ein Akt seines eigenen Willens geworden.“

Auffallend war sein vollreaktionärer Kurs- und Meinungswechsel zur Brennergrenze. Er lässt sich genau datieren: Von der Front hatte er seiner Popolo d’Italia-Redaktion in Mailand einen Aufsatz diktiert, der am 20. Dezember 1916 auf der Titelseite erschien. Darin fasste Mussolini die mit der Entente ausgehandelten Friedensbedingungen wie folgt zusammen:

„Elsass-Lothringen zurück an Frankreich, Österreich-Ungarn aufgeteilt, Böhmen, das eigentliche Ungarn und Deutsch-Österreich zu unabhängigen Staaten erklärt. […] Siebenbürgen kommt zu Rumänien, Bosnien, die Herzegowina und Kroatien an Serbien, Südtirol bis zur Wasserscheide [sprich Brenner], Istrien, Triest, Fiume, die dalmatischen Inseln und Dalmatien bis zur Narenta fallen an Italien. […] Deutschland muss Frankreich die im Jahre 1871 geraubten fünf Milliarden zurückzahlen und erhält einen Teil seiner Kolonien zurück. […] Wir wollen weder erobern noch aufgeben, sondern ein Europa auf der Grundlage der Nationalitäten.“ […] „Die Südslawen müssen die heiligen italienischen Rechte auf Görz, Triest, Fiume und Zara anerkennen.“

Später kam auch Savoyen dazu. Auf diese und andere Forderungen antwortete die sozialistische Zeitung Avanti mit dem Hinweis, dass solche Gebietsansprüche Italien in einen schneidenden Widerspruch zu den bekannten Wilson’schen Grundsätzen und zum Recht auf Selbstbestimmung brachten. Noch klarer äußerte sich der frühere „rote“ Glaubensbruder von Mussolini, der Reformsozialist Giuseppe Emanuele Modigliani: „Das Anrecht auf Fiume, das Anrecht auf seine Selbstbestimmung, kann nur dann wirksam sein, wenn wir Italiener zuerst das gleiche Recht den Deutschsüdtirolern einräumen.“

Der Marxismus als plötzlicher Feind Mussolinis

Doch Mussolini ließ sich nicht von seinen imperialistischen und nationalistischen Gedankengängen abbringen, vor allem nachdem das „finis Austriae“ bevorstand. Am 3. November 1918 wurde in der Villa Giusti bei Padua der Waffenstillstand zwischen Österreich-Ungarn und Italien vereinbart. Das erste, was Mussolini drei Monate vor dem Ende des Ersten Weltkriegs getan hatte, war, den bisherigen Untertitel „sozialistische Zeitung“ durch „Tageszeitung der Produzenten und Kriegsteilnehmer“ zu ersetzen. Das lag nicht nur an seinen neuen englischen Geldgebern. Für ihn war jetzt der Marxismus der Feind. Und gegen diesen wandte  er sich, um den Industriellen und Kaufleuten genehm zu sein, die seine Zeitung über die Werbeagentur bezahlten. „Wir haben es satt, alte Gipsbüsten abzustauben; wir wollen eine Nation von Produzenten sein“, so Mussolini.

„Was ich umklammert habe, das lasse ich nicht!“

Damit und mit dem neuen Untertitel des Popolo d’Italia offenbarte er seine neuen Bezugsschichten: eben das moderne industrielle und intellektuelle Bürgertum und die Massen der Frontkämpfer. Dem Heimgekehrten passte es gar nicht, hinter dem Ladentisch zu stehen, im Büro zu arbeiten oder Kindern Lesen und Schreiben beizubringen. Im Hintergrund stauten sich bereits die Unzufriedenheit und die Wut darüber auf, dass Italien bei den Friedensverhandlungen nicht alle versprochenen Gebiete erhalten hatte. Sie mussten sich mit dem aus amerikanischer Unkenntnis alpenländischer Geographie zugewiesenem Landstück zufriedengeben, welches ihnen kein Glück bescherte. Dennoch stand im neuen Verlagshaus des Popolo d’Italia am Eingang ein mächtiges Relief des italienischen Halbinsel, auf der mit Eisenmuttern der Brenner, Triest, Fiume und Zara angeschraubt waren. Darüber ein Wort d’Annunzios: „Was ich umklammert habe, das lasse ich nicht!“

Fortsetzung folgt…

Der obige Auszug stammt aus dem Buch „Der Marsch auf Bozen“ von Günther Rauch.

Rauch, Günther: Der Marsch auf Bozen. Wie der Fall Südtirol Mussolini und Hitler Lust auf mehr machte: Neumarkt a.d. Etsch: Effekt!. 2022. ISBN: 978-8-89-705398-9

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