„Was haben Sie bisher unternommen…?“

„ANFRAGE der Abgeordneten Dr. Dillersberger, Haigermoser, Dr. Stix, Dr. Haider an den Bundesminister für Auswärtige Angelegenheiten betreffend Einstellung von ungerechtfertigten Strafverfahren der italienischen Justiz gegen Vertreter der deutschen Volksgruppe in Südtirol:
Die italienische Justiz führt derzeit u.a. gegen den Chefredakteur der „Dolomiten“ Dr. Rampold und den Landtagsabgeordneten der SVP, Dr. Pahl, Strafverfahren durch. Vor dem Schwurgericht Bozen finden bzw. fanden am 6.11. und 9.11.1987 Hauptverhandlungen in dieser Angelegenheit statt.
Den Angeklagten wird unter Berufung auf den Paragraphen 292 des italienischen Strafgesetzbuches – der noch aus der faschistischen Zeit stammt – vorgeworfen, sie hätten die italienische Fahne geschmäht. Tatsächlich haben sowohl Dr. Rampold als auch Dr. Pahl lediglich das Fahnendekret des italienischen Staates, das das Aufhängen der Trikolore an bestimmten Tagen und Orten vorschreibt, kritisiert.
Ohne jeden Zweifel handelt es sich bei den Strafverfahren gegen den Chefredakteur der „Dolomiten“ und einen exponierten Vertreter der deutschen Volksgruppe in Südtirol um schwere Repressalien Italiens die der Einschüchterung der deutschen und ladinischen Volksgruppe in Südtirol dienen sollen. Im Falle des Dr. Pahl kommt erschwerend dazu, daß dieser die Äußerung im Südtiroler Landtag gemacht hat und man ihm seitens der italienischen Behörden offensichtlich keine Immunität zugesteht, obwohl eine solche in der italienischen Rechtsordnung durchaus vorgesehen wäre.
Aus diesen Gründen stellen die unterfertigten Abgeordneten an den Herrn Bundesminister für Auswärtige Angelegenheiten die Anfrage:
- Ist Ihnen bekannt, daß gegen Dr. Rampold und Dr. Pahl Strafverfahren eingeleitet wurden?
- Was haben Sie bisher in Ausübung der österreichischen Schutzmachtfunktion für die deutschen und ladinischen Volksgruppen in Südtirol unternommen, damit die Strafverfahren gegen Dr. Rampold und Dr. Pahl eingestellt werden?
- Welche Reaktionen gab es seitens italienischer Behörden auf Ihre diesbezüglichen Bemühungen?“
Am 28. Dezember 1987 folgte die Antwort des Außenministers und Vizekanzler Dr. Alois Mock an die oben angeführten Abgeordneten:
„Ich beehre mich, diese Anfrage wie folgt zu beantworten:
1. Diese Strafverfahren sind mir bekannt.
2. In Ausübung der österreichischen Schutzmachtfunktion für Südtirol habe ich meine Sorge über die Verschlechterung des politischen Klimas in Südtirol zum Ausdruck gebracht und in diesem Zusammenhang mit Nachdruck jene italienischen Gesetze kritisiert, auf deren Grundlage die Strafverfahren gegen Dr. Rampold und Dr. Pahl eingeleitet wurden; ich verweise nur auf meine Stellungnahme bei der Sitzung des Finanz- und Budgetausschusses des Nationalrates am 12. November 1987. Weiters habe ich in diesem Zusammenhang bei meiner Begegnung mit dem italienischen Außenminister Andreotti am 12. Dezember 1987 in Klagenfurt auf die Gefahren von Radikalisierungstendenzen aufmerksam gemacht, die bei weiterer Verschlechterung des politischen Klimas in Südtirol eintreten würden. Schließlich hat Österreich zu diesem Aspekt auch durch ausführliche Presseerklärungen der außenpolitischen Sprecher der beiden Regierungsparteien in angemessener Weise Stellung genommen. Für weitere Schritte meinerseits besteht daher derzeit keine Veranlassung.
Dies umso weniger, als beide Strafverfahren noch nicht rechtskräftig sind. Selbst wenn es zu rechtskräftigen Verurteilungen kommen sollte, können diese im Wege einer Individualbeschwerde an die Europäische Menschenrechtskonvention – die Italien ausdrücklich für zulässig erklärt hat – einer Überprüfung unterzogen werden. Bei den Strafverfahren kann somit eine menschenrechtswidrige Bestrafung für ein Meinungsdelikt ausgeschlossen werden.
Völkerrechtswidrige Ansatzpunkte für ein österreichisches Eingreifen in die beiden Strafverfahren oder auch für das Verlangen nach einer Verfahrenseinstellung sind nicht gegeben, da die Südtirol betreffenden österreichisch-italienischen Vereinbarungen – Paket und Operationskalender – keine Handhabe für ein Eingreifen in ein schwebendes Verfahren nach dem im gesamten Staatsgebiet gültigen italienischen Strafgesetz bieten.
3. Die zahlreichen inneritalienischen Initiativen zur Abschaffung der gegen Dr. Rampold und Dr. Pahl herangezogenen Paragraphen sowie auch anderer, mit dem heutigen Demokratieverständnis nicht zu vereinbarender Paragraphen, unterstreichen die Richtigkeit meiner Vorgangsweise. Diese Initiativen haben meine vollste Unterstützung.
Der Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten, Dr. Alois Mock“
Der obige Auszug stammt aus dem 3. Band des Werkes „Herzenssache Südtirol …“ über das Thema Südtirol in den Nationalratssitzungen der Zweiten Republik Österreich von 1945 bis 2020, herausgegeben als Publikation für das „Haus der Tiroler Geschichte“ von Hubert Speckner, erschienen 2022 im Verlag Gra&Wis in Wien und Effekt! Buch in Neumarkt, Südtirol.
Speckner, Hubert (Hg.): Herzenssache Südtirol… Südtirol in den Nationalratssitzungen der Zweiten Republik Österreich. 1945 bis 2020, Band 1: 1945 bis 1966, Wien: Gra&Wis, Neumarkt, Südtirol: Effekt! Buch. 2022.
ISBN: 978-88-97053-94-1






