„Deutsch-Südtirols Kampf um die Muttersprache“

„Oh diese deutschen Geistlichen in Südtirol! Wie stehen sie zu ihrem Volke! Wie gilt ihre ganze Sorge dessen geistigem und auch leiblichem Wohl! Wo kein deutscher Gemeindevorsteher, kein deutscher Lehrer, kein deutscher Beamter, bleibt allein der deutsche Geistliche, der Weltpriester wie der Ordensmann, als Führer und Berates des deutschen Volkes in Südtirol. […] Von seinem eigenen Hause abgesehen, das nach einem neuen Gesetze jederzeit enteignet werden kann, ist das Pfarrhaus zumeist der einzige Ort in der ganzen Gemeinde, an dem sich der deutsche Südtiroler daheim fühlen kann und auch wirklich daheim fühlt. Ins Pfarrhaus schickt er auch seine Kinder ohne Ausnahme, damit sie ihrem katholischen Glauben, aber auch ihrem deutschen Volke erhalten bleiben. Wie die Dinge heute liegen, beruht außer dem treudeutschen Tiroler Bauerntum auf dem Pfarrhause die zuversichtliche Hoffnung, daß das Deutschtum in Südtirol erhalten bleibe.“
(Aus „Südtiroler Heimat – Mitteilungen für Freunde Südtirols“, Neustadt, Mai 1937.)
„Der faschistische „Duce“ Benito Mussolini hat in einer programmatischen Schrift seine Doktrin von der Einheitsnation im Einheitsstaat verkündet: „Die Nation erzeugt nicht den Staat […]. Vielmehr wird die Nation vom Staate geschaffen, der dem Volke, das sich seiner eigenen sittlichen Einheit bewusst ist, einen Willen und daher seine eigentliche Existenz verleiht.“ In diesem Konzept war das Weiterbestehen ethnischer Minderheiten nicht vorgesehen. Sie hatten unter Aufgabe ihrer eigenen Identität sprachlich und kulturell in der verordneten Einheitsnation aufzugehen. Dies forderte der faschistische Staat auch von den Südtirolern.
Widerspenstige wurden behördlich verfolgt und Zwängen unterworfen. In dieser Zeit höchster Not und Bedrängnis stand in Südtirol die deutsche Geistlichkeit unwandelbar an der Seite des Volkes. Als nach dem Ersten Weltkrieg in Italien die vor allem von den Faschisten vorangetriebene Bestrebung zur kulturellen Auslöschung der deutschen und ladinischen Volksgruppe in Südtirol einsetzte, galt der Hauptangriff der deutschen Muttersprache der Kinder. Den älteren Generationen konnte man wohl eine innerlich akzeptierte italienische Identität verpassen. Ihnen gegenüber konnte man nur Zwangsmaßnahmen anwenden. Um die künftigen Generationen im Sinne der „Einheitsnation“ geistig zu formen, wurde versucht, den Kindern in Kindergarten und Schule den Gebrauch der Muttersprache zu nehmen.
Um die Bedeutung der Muttersprache zu betonen, gab die Innsbrucker Niederlassung des österreichischen „Andreas-Hofer-Bundes“ zur Finanzierung des gemeinen „Katakombenunterrichtes“ in Südtirol eine Postkarte heraus, auf welcher die erste Zeile des Gedichtes „Muttersprache“ des deutschen Dichters Max von Schenkendorf zu lesen war: „Muttersprache! Mutterlaut!“ Im Untertitel hieß es auf der Postkarte: „Deutsch-Südtirols Kampf um die Muttersprache.“ Auf einer im Diözesanarchiv Trient aufbewahrten Karte steht von unbekannter Hand – wahrscheinlich von der Hand eines deutschen Priesters – in deutscher Kurrentschrift hinzugefügt: „um alles was deutsch ist“. […]
Im Jahre 1927 erschien in dem katholischen Verlag der Marianischen Vereinsbuchhandlung in Innsbruck ein Buch mit dem Titel „Die Seelennot eines bedrängten Volkes – Von der nationalen zur religiösen Unterdrückung in Südtirol“. Der Verfasser hieß „Athanasius“. Hinter diesem Decknamen verbarg sich – wie wir heute wissen – der damals nach wie von in Südtirol lebende Kanonikus des Kollegiatskapitels der Probstei von Bozen, Michael Gamper. Er hatte in dieser Schrift den aufopfernden Kampf der Südtiroler Geistlichkeit gegen die faschistischen Bemühungen dargestellt, an der deutschen und der ladinischen Volksgruppe einen Ethnozid, einen kulturellen Volksmord, zu vollziehen. Michael Gamper hatte für die in Österreich erscheinende Schrift den Decknamen „Athanasius“ benützen müssen, um nicht selbst in Südtirol der Verfolgung bis hin zur Zwangsverschickung anheim zu fallen. Dies hätte ihm verunmöglicht, weiterhin den „Katakombenunterricht“ zu organisieren, in welchem an geheimen Orten den Kindern die deutsche Sprache in Wort und Schrift vermittelt wird. […]
Die Südtiroler Geistlichen waren im Volk verwurzelte Leute, die meist aus kinderreichen ländlichen Familien stammten. Viele von ihnen hatten während des Ersten Weltkriegs als Feldkuraten in Standschützenkompanien und anderen Tiroler Einheiten gute Freunde zur letzten Ruhe begleiten müssen und die Besetzung und Landesteilung hatte auch sie seelisch hart getroffen. Dem geplanten Untergang ihrer Volksgruppe und Kultur stellten sie sich mutig entgegen. […]
Worum es ihnen ging, haben Kanonikus Michael Gamper, Probst Alois Schlechtleitner, Dekan Gottlieb Hueber, Dekan Josef Moser und Pfarrer Josef Perkmann als Vertreter des Klerus des deutschen Anteiles der Diözese Trient am 11. Mai 1925 dem Trientiner Fürstbischof Cölestin Endrici in einer Denkschrift mitgeteilt:
Diese selbstlose und aufopfernd tätige Nächstenliebe der Südtiroler Priester soll nicht in der Vergessenheit versinken. Mit dieser Dokumentation möchte ich dazu einen Beitrag leisten. Diese Dokumentation behandelt die Zeit bis zu der aufgezwungenen Option von 1939, nicht mehr jedoch die Option selbst, welche auch die Südtiroler Geistlichkeit in zwei Teile zerriss: In jenen Teil, welcher in Erfüllung der seelsorgerischen Pflichten schweren Herzens mit den verzweifelten Abwanderern mitzugehen bereit war, und in jenen Teil, welcher in Erfüllung der seelsorgerischen Pflichten sich der ebenso verzweifelten „Dableiber“ in der eigenen Ortschaft annahm. Über dieses tief berührende Geschehen liegen bereits ausführliche Publikationen vor.
Hinsichtlich der Verfolgung deutscher Priester durch den faschistischen Staat erhebt sich zwangsläufig die Frage, weshalb den Verfolgten keine Unterstützung seitens Österreichs und des Deutschen Reiches zuteil wurde. Mit der Aufhellung der diesbezüglichen wirtschaftlichen und politischen Hintergründe befasst sich das letzte Kapitel dieses Buches. […]“
Der obige Auszug stammt aus dem Vorwort des Verfassers des Buches „An der Seite des Volkes. Südtirols Geistliche unter dem Faschismus 1918–1939“ von Helmut Golowitsch.
Golowitsch, Helmut: An der Seite des Volkes. Südtirols Geistliche unter dem Faschismus 1918–1939: Neumarkt a.d. Etsch: Effekt!. 2022.
ISBN: 978-88-97053-95-8






