von mag 21.06.2021 08:57 Uhr

Südtirols parlamentarisches Debüt – 100 Jahre Rechtsverwahrung

Der große Auftakt der parlamentarischen Arbeit für Südtirol in Rom fand am 21. Juni 1921 – also auf den Tag genau heute vor 100 Jahren – statt. Erstmals in seiner Geschichte entsandte Südtirol Abgeordnete ins römische Parlament. Es waren dies Friedrich Graf Toggenburg, Eduard Reut Nikolussi und Karl Tinzl für die Tiroler Volkspartei sowie Wilhelm von Walther für die Freiheitlichen. Beide Parteien hatten sich vorab zu in einem Zweckbündnis zusammengeschlossen und waren als „Deutscher Verband“ zur Parlamentswahl angetreten.

Die ersten Südtiroler im italienischen Parlament in Rom. V.l.: Wilhelm von Walther, Karl Tinzl, Eduard Reut-Nicolussi und Friedrich Graf Toggenburg. - Bild: Günther Mairhofer

Der Tiroler, die seit dem Ersten Weltkrieg bedeutendste Zeitung im Süden Tirols, berichtete in seiner Ausgabe Nr. 183 vom Donnerstag, den 23. Juni 1921 ausführlich über die politischen Auseinandersetzungen während der ersten italienischen Parlamentssitzung mit Tiroler Beteiligung.

Demnach wurde den Südtiroler Parlamentariern schon in der ersten Sitzung klargemacht, dass sie im italienischen hohen Haus alles andere als willkommen waren. Benito Mussolini ergriff als erster das Wort und erklärte, dass es einzig an der Schwäche des General-Zivil-Kommissärs der Venezia Tridentina Luigi Credaros und den Leiter des Zentralamtes für die neuen Provinzen Francesco Salatas zuzuschreiben sei, dass Südtirol deutsche Vertreter in die Kammer geschickt habe. „Als Konsequenz für dieses untragbare Versagen der genannten Herren forderte er deren sofortige Entlassung, die Auflösung des Deutschen Verbandes und die Schaffung der Einheitsprovinz mit dem Sitz in Trient“, so der Tiroler.

„Der Tiroler“ vom 23. Juni 1921 berichtet ausführlich über die Rechtsverwahrung Südtirols (Quelle: Landesbibliothek Dr. Friedrich Teßmann).

Südtiroler nicht willkommen

Bereits vor dem Debüt der Südtiroler Abgeordneten in Rom versandte Ettore Tolomei an die Abgeordneten und Senatoren, welche irgendeine Beziehung zu Südtirol hatten, einen Brief, in dem es u. a. heißt: „Die Zerreißung der Gebietseinheit der Venezia Tridentina in zwei Wahlkreise hat die Wahl des Reut-Nikolussi, Tinzl, Toggenburg und Walther ermöglicht. Ihr Mandat hat nicht nur das Gepräge eines staats- und italienerfeindlichen Protestes. Sie werden unterstützt von jenen Parteien, die dem Staate feindlich sind und unter Ausnützung von gewissen Gefühlsschwächen und der spärlichen Kenntnis vieler Parlamentsmitglieder, Beschwerden, Beweise, Daten und Gründe vorbringen, um die Kammer zu Entschlüssen zu verleiten, die der Sicherheit und den künftigen Geschicken Italiens außerordentlich gefährlich sind.“

Vor 100 Jahren zogen die ersten Südtiroler Abgeordneten in den Palazzo Montecitorio, den Sitz des italienischen Parlaments, ein. – Bild: Foto: Wikipedia/Manfred Heyde/cc

Patriotische Rede von Dr. Wilhelm von Walther

Neben anderen Rednern, darunter dem slowenischen Abgeordneten Joza Vilfan, ergriff nach Mussolini im Namen der Südtiroler Dr. Wilhelm von Walther das Wort. Mit Entschiedenheit wehrte sich der Redner gegen die Vorenthaltung des Selbstbestimmungsrechtes, welches im Süden Tirols als ein Akt der Unterdrückung empfunden wird. Mit Nachdruck machte er das Recht der Südtiroler Abgeordneten auf den Gebrauch der deutschen Muttersprache im Parlament geltend, wäre dies doch als „ihr natürliches Recht betrachtet“. Er kündigte an, einen entsprechenden Antrag zu unterbreiten, „welcher der heutigen Lage Rechnung trägt, und wir vertrauen darauf, dass die Kammer getreu ihren liberalen Überlieferungen uns dieses Recht nicht verweigern wird“.

„Der Tiroler“ vom 23. Juni 1921 titelte: Die Aufnahme unserer Abgeordneten in Rom (Quelle: Landesbibliothek Dr. Friedrich Teßmann).

Rechtsverwahrung gegen die Annexion Südtirols durch Italien

Weiters meinte der Redner, an das versammelte parlamentarische Plenum gerichtet: „Wir halten es für unsere Pflicht, hier kein Missverständnis aufkommen zu lassen, sondern vielmehr jetzt und für alle Zukunft mit voller Aufrichtigkeit unser Denken zu offenbaren. Daher sind wir bei Beginn unserer verfassungsmäßigen Tätigkeit verpflichtet, im Namen unseres Volkes unsere grundsätzliche Stellungnahme in folgender Erklärung zu kennzeichnen: Bei Einleitung der Friedensverhandlungen, welche den Weltkrieg zum Abschluss bringen sollten, wurde das nationale Selbstbestimmungsrecht aller Völker als Grundrecht der neuen Weltordnung aufgestellt. Dem Tiroler Volke, welches sich bereits im 13. Jahrhundert allmählich zu einer staatsrechtlichen Einheit zusammenschloss, die später im Bestande der gefürsteten Grafschaft Tirol ihren Ausdruck fand, wurde sein nationales Selbstbestimmungsrecht verweigert. Die Vertreter Südtirols haben ohne Rücksicht auf Parteiunterschiede sofort bei Einleitung der Friedensverhandlungen die laute Forderung nach ungeteilter Erhaltung Tirols erhoben und auch an die in St. Germain versammelten Mächte die heiße Bitte gerichtet, ihr Vaterland Tirol nicht zu zerreißen. Das Königreich Italien hat keinerlei historische oder nationale Rechtstitel auf Südtirol geltend gemacht, sondern ausschließlich nur unter Berufung auf geographisch-natürliche Grenzzüge und daraus sich ergebende strategische Notwendigkeiten die Annexion Südtirols verlangt und erhalten.

Da geographische Linien aber für den Verlauf von Staatsgrenzen durchaus nicht eine allgemeine Gültigkeit haben, der Brenner überhaupt noch niemals im Laufe der Geschichte eine Staats- oder Landesgrenze bildete, und jedenfalls geographische Formationen niemals einen Rechtstitel für eine Volkszerreißung bilden können, strategische Erfordernisse aber in anderer Form zu befriedigen möglich gewesen wäre, so kann Südtirol in der Vorenthaltung seines Selbstbestimmungsrechtes für immer nur einen Akt der Unterdrückung erblicken, gegen welchen es im Augenblicke der Entsendung seiner Vertreter ins römische Parlament seine förmliche Rechtsverwahrung einzubringen verpflichtet ist.“

Wahlaufruf des Deutschen Verbandes zu den italienischen Parlamentswahlen im Jahre 1921. Der DV erlangte im Wahlkreis Bozen mehr als 90 Prozent der abgegebenen Stimmen und damit alle vier Parlamentsmandate, die dort vergeben wurden (namentlich: Friedrich von Toggenburg, Wilhelm von Walther, Eduard Reut-Nicolussi und Karl Tinzl). Erster Obmann des DV war Eduard Reut-Nicolussi (Quelle: Landesbibliothek Dr. Friedrich Teßmann).

Südtiroler Abgeordnete zeigten Profil

Der Tatsache, dass diese Rede von Walthers ohne Zwischenfall über die Bühne des Hohen Hauses in Rom gehen konnte, ist laut Der Tiroler vom 23. Juni 1921: „…eine nicht geringe Bedeutung beizumessen. Sie zeigt nämlich, dass die deutschen Abgeordneten diesem Hause, das ihnen nur spärliche Sympathien entgegenbringt, Achtung abgerungen haben. Man erblickt in ihnen gewandte, erfahrene und taktvolle Politiker, deren Bekenntnis zu positiver Arbeit Aufmerksamkeit verdient. Die Erklärungen Dr. v. Walthers waren an sich eine wirkungsvolle Entkräftigung der Mussolinischen Tiraden. Die Aufnahmeprüfung ist abgelegt; die erste Bekanntschaft gemacht; das Terrain sondiert.“

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