von ca 19.04.2021 06:03 Uhr

„Meinem Vater muss ein Doktor erlaubt werden“

Der Gesundheitszustand von Alexey Nawalnys habe sich zuletzt deutlich verschlechtert, bestätigen die Rechtsanwälte. Ärzte warnen indes vor einem Herzstillstand bei dem 44-Jährigen. Die Gefängnisbehörden wollen Nawalny nun zwangsernähren: „Ihm wird nicht erlaubt werden, im Gefängnis zu sterben“.

APA (AFP)

Die Tochter des Kreml-Kritikers forderte unterdessen wegen des kritischen Zustands ihres Vaters medizinische Hilfe. „Meinem Vater muss ein Doktor erlaubt werden“, schrieb Dascha Nawalny, die an der US-Eliteuniversität Stanford studiert, auf Twitter. In Russland hatten der Opposition nahestehende Ärzte zuletzt die Befürchtung geäußert, dem im Hungerstreik befindlichen Politiker drohe ein Leberversagen. Zugang zu Nawalny sei ihnen aber nicht gewährt worden, so die Ärzte.

Seit Ende März im Hungerstreik

Der 44-jährige Gegner des russischen Präsidenten Wladimir Putin war Ende März in Hungerstreik getreten. Damit wolle er gegen die Weigerung der Gefängnisbehörden protestieren, ihn wegen akuter Rücken- und Beinschmerzen angemessen zu behandeln. Nach Angaben der Gefängnisbehörden wurden Nawalny angemessene Behandlungen angeboten, die dieser aber nicht in Anspruch genommen habe. Er habe stattdessen darauf bestanden, von einem externen Arzt seiner Wahl behandelt zu werden. Dies sei abgelehnt worden.

„Ihm wird nicht erlaubt werden, im Gefängnis zu sterben"

Nawalny zufolge drohen die Gefängnisbehörden, ihn in eine Zwangsjacke zu stecken und zwangsweise zu ernähren, falls er weiter keine Nahrung annehme. Russlands Botschafter in Großbritannien sagte dem Sender BBC, Nawalny gehe es nur darum, Aufmerksamkeit zu bekommen. Moskau werde dafür sorgen, dass er lebt. „Ihm wird nicht erlaubt werden, im Gefängnis zu sterben“, sagte Botschafter Andrej Kelin dem britischen Sender.

USA planen weitere Sanktionen sollte Nawalny sterben

Nawalny ist einer der prominentesten Putin-Kritiker. Er hatte 2020 einen Giftanschlag in Russland überlebt und war in Deutschland ärztlich behandelt worden. Bei der Rückkehr in seine Heimat im Jänner wurde er festgenommen und zu mehr als zweieinhalb Jahren Haft verurteilt. Dies wurde international scharf kritisiert, die EU und die USA haben zusätzliche Sanktionen gegen Russland verhängt. Nawalny macht Putin persönlich für den Giftanschlag verantwortlich. Putin und die Regierung weisen eine Beteiligung zurück.

„Es wird Konsequenzen geben, falls Herr Nawalny stirbt“, sagte Sullivan. Über mögliche spezifische Maßnahmen gegen Russland in einem solchen Fall wolle er derzeit nicht öffentlich sprechen.

Weltweit sorgen sich Politiker um den Gesundheitszustand von Alexey Nawalny

Der deutsche Außenminister Heiko Maas appellierte an Moskau: „Wir fordern dringend, dass Alexej Nawalny eine adäquate medizinische Behandlung und Zugang zu Ärzten seines Vertrauens bekommt.“ Sein Recht auf medizinische Betreuung müsse ihm „unverzüglich gewährt werden“, sagte Maas der Bild-Zeitung.

„Ich mache mir große Sorgen um die Gesundheit von Alexej Nawalny“, erklärte auch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen auf Twitter. „Er muss sofort Zugang zu einer angemessenen medizinischen Behandlung erhalten.“ Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell mahnte, die russischen Behörden seien „verantwortlich für Herrn Nawalnys Sicherheit und Gesundheit“.

Viele prominente Stimmen wenden sich mit einem Appell an Putin

Mehr als 70 Prominente wandten sich mit dieser Forderung in einem Offenen Brief an Wladimir Putin. „Als russischer Staatsbürger hat er das Recht, von einem Arzt seiner Wahl untersucht und behandelt zu werden“, heißt es in einem Appell, der am Samstag von mehreren europäischen Tageszeitungen abgedruckt wurde. Zu den Unterzeichnern gehören Harry-Potter-Autorin J. K. Rowling, Literaturnobelpreisträgerinnen wie Herta Müller und Louise Glück, ABBA-Gründer Björn Ulvaeus sowie Schauspieler Benedict Cumberbatch.

„Wir sind extrem besorgt über seinen Zustand“

Nawalnys Ärztin Anastassija Wassiljewa und drei Kollegen sprachen von kritischen Kaliumwerten, was zu Nierenversagen und schweren Herzrhythmusstörungen führen könne. „Wir sind extrem besorgt über seinen Zustand“, heißt es in dem Brief an den Chef des Strafvollzugs, Alexander Kalaschnikow. „Wir bitten dringend um Verhandlungen.“

Bei einer Größe von 1,90 Meter wog er nach Angaben seiner Ehefrau vor einigen Tagen noch 76 Kilogramm. Pro Tag soll er zuletzt ein Kilo verloren haben. Der Kardiologe Alexej Erlich sagte dem Radiosender Echo Moskwy: „Ich weiß nicht, ob Nawalnys Schicksal vom Strafvollzug, von der Präsidialverwaltung oder von Putin persönlich entschieden wird. Aber wir brauchen jetzt, heute eine Grundsatzentscheidung, die es unabhängigen Ärzten erlaubt, Nawalny zu treffen.“ Der Mediziner gehört zum Team der persönlichen Ärzte des Oppositionellen.

Eine Frage der Zeit

Nawalnys Sprecherin schrieb, an den Wochenenden könnten Anwälte keinen Kontakt aufnehmen. „Niemand weiß, was am Montag passiert.“ Der Grünen-Europapaabgeordnete Sergey Lagodinsky sagte dem Redaktionsnetzwerk Deutschland, Deutschland und die EU sollten beim Kreml eine Behandlung des Oppositionellen in die EU durchsetzen – ähnlich wie nach dem Anschlag auf ihn im vergangenen Sommer. Nawalnys Sprecherin Kira Jarmysch schrieb mit eindringlichen Worten: „Alexej stirbt.“

Der Tod sei nur eine Frage von Tagen.

 

 

/APA

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