Ehrwürdige Veranstaltung: „Lautlose Opfer“ in Eppan

Das am Freitag in Eppan bei der Buchvorstellung „Lautlose Opfer“in Eppan über die Bühne gegangene, war einfach grandios, so der frühere Bezirkspräsident des Kaufleuteverbandes im Vinschgau, Otto Gander in einer Stellungnahme.
Gander war einer der vielen prominenten Gäste, die am Freitag, an der Vorstellung, des im Athesia Verlag erschienenem, neuen Werkes von Günther Rauch, teilgenommen haben.
Schützen auf dem Rathausplatz in Eppan
Im Mittepunkt des Abends standen im Kulturhaus der Überetscher Gemeinde die Reden des Schützenhauptmannes Maximilian Schmid, des Bürgermeisters von Eppan, Wilfried Trettl, des Vizebürgermeisters von Bozen, Luis Walcher, des Landeshauptmanns a. D., Luis Durnwalder, des Ex-Bundeskanzlers Gusenbauer, des Buchautors Günther Rauch, der Historikerin Margareth Lun und des Wissenschaftlers, und Stefan Leinter vom Athesia Verlag. Durch den Abend führte Anton Fischnaller vom Verlagshaus Athesia.
Eine Stunde vor der Buchvorstellung bereitete eine von Lorenz Puff angeführte Ehrenschützenkompanie am Rathausplatz dem Ex-österreichischen Bundeskanzler einen Landesüblichen Empfang.
Begleitet wurde der hohe Gast und langjährige Freund des Buchautors Günther Rauch, vom Landeshauptmann a. D. Luis Durnwalder, dem Bürgermeister Wilfried Trettl, Landes-Schützenkommandanten Jürgen Wirth Anderlan und dessen Vorgänger Elmar Thaler.
Bereits am Vormittag hatte der Südtiroler Schützenbund als sichtbares Zeichen der Anerkennung der Verdienste Österreich in den Weinbergen von St. Pauls eine übergroße Österreichfahne gehisst, die bis am Montagabend hängen bleibt.
„Zu Österreich stehen, in guten wie in schlechten Zeiten!“, erklärte Landeskommandant Jürgen Wirth Anderlan, der mit mehreren aus allen Teilen des Landes kommenden Persönlichkeiten zur Buchvorstellung von Günther Rauch gekommen war.
Historikerin Dr. Margareth Lun
Vortrag von Margareth Lun bei der Buchvorstellung von „Lautlose Opfer“ am 23. Oktober 2020 im Kultursaal von Eppan
Sehr geehrtes Publikum!
Ich erinnere mich noch ganz genau. Als mir Günther Rauch vor ca. einem halben Jahr die erste, damals noch ungekürzte Version seines Manuskripts in die Hand gedrückt hat, konnte ich es schon kaum erwarten, mit dem Lesen anzufangen. Denn jeder, der die Bücher von ihm kennt, weiß, dass man mit Sicherheit Lesestoff in der Hand hält, der es in sich hat.
Es sind gleich mehrere Eigenschaften, die Günther Rauch als Autor auszeichnen. Für mich als Historikerin steht natürlich die Gabe im Vordergrund, immer wieder etwas Neues, und zwar etwas wirklich Spektakuläres „auszugraben“, was in der geschichtlichen Fachliteratur noch nie beschrieben wurde und rein schon damit eine Tirolensie von besonderem Wert zu schaffen.
Seine Meisterschaft besteht darin, den Leser zu fesseln, ihn zum Staunen zu bringen, ihm eine ganze Kaskade von Hintergrundinformationen zu liefern aber gleichzeitig auch, das Buch so zu schreiben, dass man trotzdem nie den Faden und den Blick auf das Wesentliche verliert.
Die ideale Kombination mit dieser Gabe ist natürlich Günther Rauchs Eigenschaft, unglaublich präzise zu arbeiten, genau zu zitieren, nichts auszulassen… Es sind sein Fleiß beim Ausheben und Durchforsten von Archivbeständen, von schriftlichen Unterlagen und Fotos aus Privatbesitz, sein Organisationstalent, seine „Neugier“ im positivsten Sinne, die Selbstverständlichkeit, mit der er Reisen unternimmt, um in Archiven in halb Europa zu recherchieren. Es sind sein Biss und seine … wer Günther Rauch persönlich kennt, der kann das wohl nur bestätigen seine Kommunikationsleidenschaft. Reden kann er nämlich ziemlich gut, der Günther, und mit dieser Leidenschaft, mit der er mit anderen Menschen kommuniziert, so schreibt er auch.
Und sehen Sie, das ist es, was seine Bücher so spannend macht. Jedes einzelne von ihm bringt nicht nur etwas völlig Neues, nie Gehörtes, etwas, was auch den noch so belesenen Fachleuten bisher unbekannt war… Und… Nicht zu vergessen:
Seine Bücher sind auch unglaublich sympathisch geschrieben, sie sind spannend zu lesen, mit einer reichen Sprache, einem gewaltigen Wortschatz, mit einer bemerkenswerten Detailfülle und immer auch mit einem zeitgleich mitgelieferten Hintergrund-Wissen, das seinesgleichen sucht.
Ich muss gestehen, liebes Publikum, zu diesem neuen Buch habe ich einen ganz besonderen Bezug. Einerseits als Historikerin – und andererseits als Eppanerin. Schließlich hat die Familie Valentinotti ja nicht nur Bozner, sondern auch Eppaner Wurzeln. Und ich erinnere mich richtig gerne daran, wie ich als Kind sehr oft und sehr gerne im Geburtshaus von Dominika Marini, der Mutter der Geschwister Valentinotti war – im Michealer Ortsteil St. Anna. Und mit Freude und Dankbarkeit denke ich an die unglaubliche Gastfreundschaft von Emma und Karl Marini, die wir in der großen Küche oder in der ebenso großen Stube genießen durften.
Als Historikerin hingegen möchte ich einige Schwerpunkte aus dem Buch „Lautlose Opfer“ hervorheben, die diese Publikation zu etwas ganz Besonderem machen.
Was bei diesem Buch im Vergleich zur bereits bestehenden Südtiroler Fachliteratur etwas ganz Besonderes ist, das ist natürlich der spektakuläre, zugleich aber auch erschütternde Inhalt.
Das ist der Zufall, dass gerade diese eine Familie Valentinotti all die Entwicklungen, die Zäsuren, die Diktaturen dieser einen Jahrhunderthälfte jeweils mit einer ganz besonderen Wucht getroffen haben. Und dass gerade bei dieser einen Familie das Schicksal dermaßen oft, dermaßen hart und dermaßen gnadenlos zugeschlagen hat.
Ist man als Leser bereits beeindruckt, wenn man mit der Biografie der Eltern die Auswirkungen des Ersten Weltkriegs miterlebt, den Untergang der Habsburgermonarchie, die Annexion Südtirols, die Vorboten des Faschismus, den Umsturz und den Wechsel der Herren in unserem Land, so kommt es bei den Lebensgeschichten der Kinder erst recht knüppeldick.
Ich möchte am heutigen Abend nur ein paar Schwerpunkte dieses Buches herauspicken…
Da ist einmal die Lebensgeschichte von Andreas Valentinotti, einem gebürtigen Welschtiroler, dem Vater der Geschwister, die die Hauptfiguren dieses Buches sind, und der 1878 tatsächlich trotz des Tiroler Landlibells in Kremenac in Bosnien-Herzegowina gegen die Aufständischen eingesetzt wurde und später von Anfang an und mit größter Sorge das Aufkeimen des Faschismus erlebte.
Im Zusammenhang mit den Biografien ihrer Söhne Karl und Fritz Valentinotti ist hier die höchst interessante Geschichte des renommierten Bozner Turnvereins eingebaut, der ebenso wie so gut wie alle anderen Südtiroler Kulturvereine auch von den Faschisten zuerst drangsaliert, bespitzelt, bestohlen und schließlich zerschlagen wurde. Auf Karl Valentinotti beispielsweise wurde der italienische Geheimdienst angesetzt, nur weil er am Turnfest in Innsbruck teilgenommen und die Fahne getragen hatte.
Die beiden Höhepunkte dieses Buches sind aber freilich die unglaublichen, und zugleich erschütternden Erlebnisse der Geschwister Maria und Stefan Valentinotti.
Beginnen wir bei Maria, die 1941 nach Sappada, also Plodn, heiratete. Nur kurz zur Information: Plodn, also Sappada, ist eine deutsche Sprachinsel in Belluno, die vor ungefähr 1000 Jahren von Osttirol aus besiedelt wurde. Besonders glücklich scheint die Ehe mit dem Witwer Peppi Kratter nicht gewesen zu sein. Der Malermeister arbeitete nämlich aufgrund der besseren beruflichen Möglichkeiten ab 1943 in Osttirol und später in München und kam nur ab und zu nach Plodn, um seine Frau und seine beiden Kinder aus erster Ehe zu besuchen. Zusätzlich litt Maria Valentinotti immer wieder unter Depressionen. Etwas aufwärts scheint es mit ihrem Gemütszustand gegangen zu sein, als sie im März 1944 zuerst Haushälterin und danach Küchenchefin im deutschen Gendarmerieposten in Sappada, Plodn, wurde. Nur kurz zur Erinnerung: Zusammen mit Südtirol und dem Trentino hat Belluno ja nach dem Einmarsch der Deutschen Wehrmacht zur Operationszone Alpenvorland gehört ï€ das heißt, diese drei Provinzen gehörten staatsrechtlich zwar immer zu Italien, de facto wurden sie aber vom Deutschen Reich verwaltet.
Liebe Zuhörer, es bleibt einem wirklich der Mund offen, wenn man da liest, was sich in Plodn/Sappada – aber auch in anderen Partisanengebieten − während der deutschen Besetzung vom September 1943 bis Mai 1945 abgespielt hat.
Bei einem Überfall von bewaffneten Partisanen auf den deutschen Polizeiposten am 26. Juli 1944 kamen vier Personen ums Leben und neun weitere wurden gefangen genommen. Wie auch immer sich all diese Ereignisse abgespielt haben, eines ist sicher: Um weiteres Blutvergießen zu vermeiden, gaben die achtzehn übrig gebliebenen Gendarmen auf und wurden nach Zepodn/Cima Sappada getrieben.
Und Maria Valentinotti war genau da in der Küche und bekam alles mit! Welche unglaubliche Angst sie dabei ausgestanden haben wird, das kann man sich wohl gut vorstellen! Aber ihre schlimmsten Befürchtungen sollten all das bei weitem überstiegen:
Zwei Partisanen packten die verzweifelt schreiende Frau und schleiften sie teils an den Haaren und an den Armen, und teils mit Fußtritten durch die ganze Ortschaft.
Günther Rauch hat aus einer Reihe von Augenzeugenberichten zitiert, aus denen hervorgeht, dass ihr immer wieder mit dem Gewehrkolben auf den Kopf geschlagen wurde und dass ihre qualvollen Schreie im ganzen Dorf zu hören waren. Unter den unvorstellbaren Schlägen und dem Gebrüll der Partisanen wurden sie und mit ihr der deutsche Oberleutnant zum Gasthaus „Alle Alpi“ nach Zepodn (Cima Sappada) getrieben, wo sie auf die schwer misshandelte Maria Treichl Rosenwald, eine Münchnerin, die ebenso wie Maria Valentinotti nach Sappada geheiratet hatte, und die anderen deutschen Gefangenen trafen.
In der Nacht zerrten schließlich einige betrunkene Partisanen die 50-jährige Maria Valentinotti und den Vize-Gendarmeriemeister zu einem naheliegenden Kartoffelacker. Dort wurden beide von den Partisanen mit zwei Genickschüssen ermordet.
Bemerkenswert ist und auch das schreibt Günther Rauch in seinem Buch wie lange der Tod von Maria Valentinotti verschwiegen wurde!
Erst vier Monate nach dem Delikt erschien die Todesnachricht im Bozner Tagblatt, der damals einzigen zugelassenen deutsch geschriebenen Zeitung die Todesanzeige. „Frau Maria Kratter geb. Valentinotti ist im Alter von 50 Jahren auf tragische Weise aus dem Leben geschieden“, hieß es darin lapidar. Und die verschleierte Wortwahl weist eindeutig darauf hin, dass dort die Zensur eingegriffen hat und den Hinterbliebenen wohl keine andere Wahl gelassen wurde, als jeglichen Verweis auf die brutalen Todesumstände zu verschweigen.
Erwähnenswert ist aber auch, dass unter den Geschwistern auch Stefan Valentinotti angeführt ist, der schon Monate vor der Veröffentlichung dieser Todesanzeige von den Nazihenkern hingerichtet worden war.
Aber kommen wir nun zu Stefan Valentinotti, der ebenso wie seine fünf Geschwister in Quirein bzw. in Bozen aufgewachsen ist. Schon seine Jugend hatte es in sich: Er geriet nämlich bereits als Jugendlicher in russische Kriegsgefangenschaft, aus der er erst sage und schreibe 6 Jahre später zurückkehrte. Er fand dann wieder in Bozen beim Kreisgericht Beschäftigung und später bei einer italienischen Bank.
Stefan Valentinotti hatte sicher den engsten Bezug zu Eppan, und zwar, weil er nicht nur mit seiner Frau das war Stefanie Senoner aus Sterzing als 27-Jähriger nach Eppan gezogen ist und dort eine Arbeit beim Steueramt bekommen hat, sondern auch, weil er hier sogar ein Weingut auf Marol gekauft hat. Der „Riegel Marol“ das ist also eine Flurbezeichnung befindet sich rechts der Straße von St. Michael nach Girlan. Mit dem Gut, wo er Vernatsch pflanzte, scheint er eine große Freude gehabt zu haben. Allerdings trafen ihn bald schon die Auswirkungen der Wirtschaftskrise der 30er Jahre hart: In Eppan ging die Bankfiliale des Steueramtes flöten und sämtliche Angestellten der Steuereinhebestelle verloren ihren Arbeitsplatz.
Mitte 1935 beschloss das junge Paar, mit ihrem Kind von Eppan nach Sterzing, dem Heimatort der Frau Valentinotti zu übersiedeln, wo Stefan in einer Holzgroßhandlung als Buchhalter unterkam.
Ja, lange, liebe Zuhörer, dauerte diese Zeit in Sterzing nicht, denn 1939 war ja schon die Option, und die Valentinottis entschieden sich schließlich ï€ nach langer Diskussion und unsicher bis zum Schluss für das Auswandern. Die einzige Tochter, Inge, wollte nämlich ebenso wie ihre Mutter Steffy Lehrerin werden, was, wie Sie sich vorstellen können, als Deutsche unter dem Faschismus ja nicht möglich war.
Und hier zeigt uns Günther Rauch wieder anhand dieser Familie auf, mit welch riesigen Schwierigkeiten die Südtiroler nach dem Auswandern konfrontiert waren. Denn einfach hatten es die Valentinottis in Nordtirol weiß Gott nicht. Jahrelang lebten sie in Notunterkünften, zum Teil sogar getrennt, bis sie Ende 1942 endlich die Schlüssel einer Volkswohnung der „Neuen Heimat“ in Wörgl bekamen.
Und auch mit der Suche nach einer guten Arbeit war es lange ein Gfrett. Nach mehreren Wechseln fand Stefan Valentinotti endlich bei den Raspe-Werken in Kramsach eine Anstellung als Finanzbuchhalter. Das Unternehmen war eine der drei Zweigniederlassungen des Berliner Hauptwerkes und stellte natürlich unter strengster Kontrolle der Nationalsozialisten Flugzeugbestandteile, Flugzeugtanks und feuer- und schusssichere Benzinbehälter für Panzer her.
Eine nennen wir es einmal ï€ Anekdote aus dieser Zeit möchte ich ihnen nicht vorenthalten… In die erste Zeit in Nordtirol fällt nämlich ein kurzer Aufenthalt von Hitler in Kufstein, und zwar genau, als er am 4. Oktober 1940 mit dem Sonderzug vom Brenner zurück nach Innsbruck fuhr. Wie Sie sich vorstellen können, wurde der ganze Besuch so richtig zelebriert. Aber was ich jetzt sage, das werden Sie kaum glauben:
Ausgerechnet Inge, die Tochter von Stefan und Steffi Valentinotti, wurde im letzten Augenblick ausgewählt, vor dem Führer einen Knicks zu machen, ihm die Hand zu geben und einen Blumenstrauß in die Hand zu drücken. Dafür bestimmt worden war eigentlich die Tochter des Schuldirektors, aber weil den braunen Ortspotentaten vorgekommen war, sie sähe irgendwie jüdisch aus, wurde unglaublicherweise schnell noch Inge Valentinotti der Blumenstrauß für Hitler in die Hand gedrückt.
Ja… Endlich eine eigene Wohnung … ein sichere Arbeit… Klingt eigentlich alles gut… Aber der Schein trügt. Denn genau hier in den Raspe-Werken sollte das Unglück seinen unaufhaltsamen Lauf nehmen.
Am Dienstag, den 16. Mai 1944, kurz vor Mitternacht, tauchten in der Privatwohnung drei Gestapobeamte auf und erklärten Stefan Valentinotti für verhaftet. Im ersten Moment stand das Ehepaar einfach nur schockiert und sprachlos da. Was war passiert? Wie war es dazu gekommen?
Und das, was Günther Rauch dazu den Zeitzeugenberichten, den Polizei- und Gerichtsakten entnommen hat, das mutet wirklich wie ein phantasievoller Kriminalroman an. Ist es aber nicht.
Aber blenden wir noch einmal kurz zurück. Bei diesen Raspe-Werken war Stefan Valentinotti tatsächlich von anderen Optanten, einem Algunder namens Elvir Pollinger denunziert, worden! Offensichtlich ist dieser Algunder draufgekommen, dass Valentinotti heimlich Schriften gegen die Nazis verfasste, „defätistische Schriften“, sagte man damals, und hatte ihn verraten. Vermutlich, ohne sich darüber im Klaren zu sein, dass diese Denunziation letztlich das Todesurteil für Stefan Valentinotti bedeutete.
Wenn wir uns die letzten Wochen im Leben von Stefan Valentinotti anschauen, dann wird einem ganz klar vor Augen geführt, was es damals bedeutete, kritisch zu sein, was es hieß, wenn man durchblickte, dass das Deutsche Reich spätestens seit der Niederlage in Stalingrad den Zenit überschritten hatte und dem Untergang geweiht war, und was es bedeutete, niemandem vertrauen zu können…
Stefan Valentinotti wurde also im Mai 1944 inhaftiert, er kam vor den berüchtigten Volksgerichtshof in Potsdam und dort wurde ihm ï€ im wahrsten Sinne des Wortes ï€ kurzer Prozess gemacht.
Am 27. September 1944 erhielt Valentinotti im Gefängnis in Potsdam eine Kopie des vollständigen Urteils des Volksgerichtshofes ausgehändigt. Darin heißt es u.a.:
Der Angeklagte hat im Jahre 1944 zahlreiche Schmähschriften übelsten Inhalts gegen den Führer und den Nationalsozialismus verfasst und teilweise verbreitet, die auch in hohem Grade geeignet waren, zersetzend zu wirken. Er wird deshalb wegen Wehrkraftzersetzung und landesverräterischer Begünstigung des Feindes zum Tode und zu lebenslangem Ehrverlust verurteilt. Der Angeklagte trägt auch die Kosten des Verfahrens.
… und weiter unten: Einzelne Hetzschriften versandte er auch durch die Post an Dienststellen der Partei [NSDAP], an Behörden, an eine Lebensmittelfirma und an eine Zeitung.
Und jetzt wird es besonders interessant, denn das betrifft vor allem Südtirol:
Eine weitere Schrift des Angeklagten enthält eine von ihm angefertigte Erklärung über die Errichtung des „Freistaates Südtirol“.
Tatsächlich hatte Valentinotti, der sowohl Faschismus als auch Nationalsozialismus zutiefst verabscheute, ein 7 Seiten umfassendes Schriftstück verfasst, in dem er seine Freistaatidee für Südtirol niederschrieb und sogar ein rudimentäres Regierungsprogramm ausgearbeitet hatte.
Darin hieß es beispielsweise:
„Auf Grund der fortwährenden Zwistigkeiten über den Besitz des Gebietes von Südtirol, über dessen Zugehörigkeit zu Italien oder zu Österreich, sowie infolge der gemeinen und brutalen Ausnützung und Verunstaltung des genannten Gebietes durch die faschistisch-italienische Regierung und durch das national-sozialistische Deutschland, wird hiermit die vollkommene Selbständigkeit und Unabhängigkeit des Landes Südtirol als Freistaat Südtirol erklärt und ausgesprochen“.
Das Todesurteil Valentinottis kam dann auch noch auf den Tisch des berüchtigten Präsidenten des Volksgerichtshofs, Roland Freisler. Und der gab die endgültige Zustimmung zur Hinrichtung.
Wir müssen uns vorstellen, liebe Zuhörer, das war bereits zu einem Zeitpunkt, als an allen Fronten die militärische Großoffensive der sowjetischen und angloamerikanischen Truppen gegen Hitlerdeutschland siegreich voranschritt.
Während man sich früher mehr Zeit gelassen hatte, Widerstandskämpfer hinzurichten, konnte es jetzt, nach dem Attentat auf Hitler am 20. Juli, den Hitler-Schergen am Volksgerichtshof nicht schnell genug gehen, ihre gefährlichen Gegner noch zu beseitigen.
Die genauen Details der Hinrichtung von Stefan Valentinotti möchte ich ihnen hier, liebe Zuhörer, lieber ersparen. Günther Rauch hat aber, und das kann ich Ihnen versichern, akribisch nachgeforscht und alles festgehalten.
Nur so viel: Stefan Valentinotti wurde nach der Verurteilung mit anderen zum Tode verurteilten Häftlingen im LKW vom Landesgerichtsgefängnis von Potsdam zum rund 40 km entfernten Zuchthaus Brandenburg-Görden gebracht. Das war eine bis zur Befreiung durch die Rote Armee am 27. April 1945 nicht nur ein Konzentrationslager, sondern eine regelrechte Tötungsanstalt für Tausende von Widerstandskämpfern und anderen Verfolgten der NS-Justiz.
Wie es dort zuging, wissen wir vor allem aus Tagebuchaufzeichnungen eines Pfarrers, nämlich von Olav Brennhovd so genau.
Genau wissen wir dank der Recherchen von Günther Rauch auch, dass bei seiner Hinrichtung u.a. der Regimentsarzt Dr. Johannes Müller in weißem Berufskittel anwesend war, dessen Funktion darin bestand, die Hinrichtung zu kontrollieren. Zusätzlich war dieser Anstaltsarzt auch noch berüchtigt, weil seine Gehilfen in einer Art Thermoskanne das Blut der enthaupteten NS-Opfer auffing und diese als Blutkonserven weitergab, womit er auch noch gutes Geld verdiente.
Wahnsinniger ging es wohl nicht mehr: die Hinrichtung als Dienstleistungsgewerbe, Guillotinierung als Wirtschaftszweig.
Besonders berührend ist der Abschiedsbrief, den Stefan Valentinotti noch an seine Frau Steffi Senoner und an seine Tochter Inge schreiben durfte und in dem er immer noch seiner Hoffnung auf Begnadigung Ausdruck verlieh. Darin schreibt er u.a.:
[..] Wie d[e]nke ich oft der schönen Heimat, nach Eppan und Bozen. […] Es ist nicht leicht, alles zu ertragen. Doch mit Gottesvertrauen wird es wohl gehen. Vergesst mich nicht in eurem Gebet, wie auch ich euch nicht vergesse.
Inge! Sei sehr brav und vergiss nicht deinen Tata. […]
Auch du liebe Steffy! Verzeih mir so manches harte Wort, das ich gab. […] Sei du und Inge recht herzlich geküsst und gegrüßt, hoffen wir auf Gnade, die ich wirklich verdiene, und im Vertrauen auf Gott wird’ ich stark bleiben, um Euch wieder zu sehen.
Euer Tata
Die Familie hat nach der Hinrichtung von Stefan Valentinotti tatsächlich noch die persönlichen Gegenstände wie seine Brille und seine Kleidung zurückbekommen, wobei jemand heimlich die Anklageschrift in die Jacke eingenäht hat.
Seit 2015 erinnert in Wörgl eine Gedenktafel an die Hinrichtung von Stefan Valentinotti und anderen Widerstandskämpfern. Sie ist im Buch von Günther Rauch ebenfalls abgebildet, und es wäre auch für die Gemeinde Eppan empfehlenswert, am Marinihaus eine Gedenktafel für Maria und Stefan Valentinotti anzubringen.
Günther Rauch schreibt am Ende seines Buches: Man greift nicht zu hoch, wenn man sie in die Reihe der deutsch-Tiroler Ehrenretter einreiht, die dem Bösen widerstanden und sich für das Gute eingesetzt haben. Es ist unsere Aufgabe, ihr Andenken zu bewahren.
Und diesen Worten schließe ich mich mit Überzeugung an.
Nun, liebe Zuhörer, bleibt mir zum Abschluss nur noch, Günther Rauch für diese hervorragende Publikation zu danken. Ich gratuliere dir sowohl als Historikerin, aber auch in Vertretung des Vereins Südtiroler Geschichte zu dieser großartigen Leistung. Du hast die Südtiroler Geschichtsliteratur wirklich um ein bedeutendes Werk bereichert. Und dafür gebührt dir ein großer Applaus!
Eröffnungsrede des jungen Schützenkommandanten Maximilian Schmid
Rede Maximilian Schmid, Hauptmann Schützen Eppan
Ich darf sie hier in Eppan alle recht herzlich begrüßen, im Besonderen unserer Buchautor Günther Rauch und den Österreichischen Bundeskanzlers a. D., Dr. Alfred Gusenbauer und unserem vereehrten Landeshauptmann a. D., Dr. Luis Durnwalder. Ein herzliches Willkommen allen Damen und Herren, ein Grüß Gotten allen Schützenkammeraden
Die Beutung der heutigen Buchpräsentation lässt sich schon an der Anwesenheit von so vielen und prominenten Persönlichkeiten hier im Saal erkennen. Angesichts der aktuellen akuten Entwicklungen der Corona-Pandemie ist das keine Selbstverständlichkeit. Umso mehr bitten wir alle die Abstände strikt einzuhalten und Stühle nicht zu verschieben. Wir haben auch auf den traditionellen Umtrunk am Ende der Veranstaltung verzichet, die die Kellerei St. Michael Eppan spendiert hätte. Trotzdem ein großes Dankeschön. Es wird sicher die Zeit wieder kommen, wo wir alle gemeinsam auf unser und euer Wohl anstoßen können.
Als Schützen haben wir gemeinsam mit der Musikkapelle vor zwei Jahren bei einer großen Veranstaltung im Spätsommer in St. Pauls 100 Jahre Annexion Revue passieren lassen.
Günther Rauch hat uns schon vor einem Jahr den Inhalt seines neuen Buches gestreift. Es war im Dezember bei einem Vortrag hier in Eppan bei dem er uns vom Eppaner Bäcker Alfons Stöger erzählte. Dieser hatte ein Attentat auf Benioto Mussolini geplant.
Mit seinen Publikationen hat Günther viel neues Licht in das Dunkel einer verdrängten Geschichte gebracht. Dafür sind wir ihm und auch der Tätigkeit der Historikerin Dr. Margarteh Lun und allen heimatbewussten Wissenschaftlern dankbar.
Vieles bringt nur Günther Rauch zusamen, weil er seit seiner Studentenzeit immer gegen den Strom geschwommen ist, weil er Andersdenkende achtet und vor allem Menschen verbinden kann. Er lenkt unseren Blick in die Vergangenheit, damit wir Südtiroler mehr Selbstbewusstsein erhalten. Er mahnt uns die voraussehenden Worte Silvius Magnagos ernst zu nehmen und die Gefahren einer zunehmenden moralischen Verfettung zu erkennen und dagegen anzukämpfen. In diesem Sinne heiße ich Sie hier in Eppan der Heimat des Südtiroler Freiheitskämpfers Sepp Kerschbamer herzlich willkommen.
Günther Rauch, im Hintergrund Athesia Verlagsmitarbeiter Toni Fischnaller. Er erinnerte an die Tausenden Südtiroler Arbeitnehmer die bereits bei der Ersten Option Südtirol verlassen mussten.
Rede von Günther Rauch am 23. Oktober in Eppan
Zukunft braucht Erinnerung
Werter Herr Bundeskanzler a. D. der Republik Östetreich, Dr. Gusenbauer,
lieber Fredy,
geehrter Herr Landeshauptmann a. D. Dr. Durnwalder,
lieber Luis,
werter Herr Bürgermeister von Eppan, Wilfried Trettl,
sehr geehrter Vizebürgermeister von Bozen Luis Walcher.
Meine sehr verehrten Damen, meine Herren, meine lieben Freunde erlauben sie mir, dass ich aus Zeitgründen die so vielen hier anwesenden Ehrengäste nicht namentlich begrüße. Nur eine Ausnahme möchte ich machen und die Angehörigen der Familien Valentinotti, Marini, Eisenberger, Leitner und Schullian herzlich begrüßen. Herzlichen Dank für eure Untersttzung. Mein großer Gruß geht an die Tochter von Stefan Valentinotti. Ich habe mit ihr gestern telefoniert.
Weitere Danksagungen finden Sie alle auf den letzten Seiten meines Buches. Nur bei den Mitarbeitern des Verlagshauses Athesia, insbesondere bei Toni Fischnaller und Dr. Stephan Leitner, bedanke ich mich von ganzem Herzen für die gute Zusammenarbeit. Der Verlagsdirektor Direktor Michl Ebner, mein alter Schulkollege, kann heute wegen einer unaufschiebaren Verpflichtung nicht anwesend sein. Er drückt Dr. Gusenbauer seine Wertschätzung und alle Anwesenden seinen Gruß aus.
And, last but not least ein großes Dankeschön geht an meine Gattin Brigitte.
Meine Damen und Herren, liebe Freunde,
Dr. Alfred Gusenbauer und Dr. Luis Durnwalder legten soeben ein aufrüttelndes Bekenntnis ab zum Vermächtnis und zu den besten Werten, denen wir uns alle verpflichtet fühlen. Sie haben uns heute den Weg in die Zukunft aufgezeichnet, wie die deutsch- und ladinischsprachige Volksgruppe mit neuer Kraft für ihre Eigenständigkeit kämpfenkann.
Ich würde heute gern, anstatt an schreckliche Dinge zu erinnern, von heiteren Geschichten erzählen und – wie der Entertainer Horst Lichter nach einem Aufenthalt in Eppan – Rosen streuen. Lichter sagte:
„Südtirol ist ein Traum, da geht das Herz auf. Man hat das Gefühlt der liebe Gott hat die Welt gemacht, zum Schluss brauchte er Platz für sich und hat Südtirol gemacht.“
Der Herrgott hat wirklich ein schönes Land geschaffen. Im Gegensatz dazu wollte manch von außen gekommene Menschenhand aus reiner Besitz- und Gewinnsucht diktieren, um vieles zu zerstören. Zu diesem Zwecke griff man zu Gewalt und Unterdrückung.
Es ging und geht um die Würde der Südtiroler, erinnerte uns vor einigen Tagen in einem Artikel zum 100. Jahrestag der Annexion die Historikerin Margareth Lun. Ja, es geht in Südtirol um Menschenwürde und Wahrheit. Dieser Wahrheit müssen wir so gut wir es können ins Auge sehen, ohne Beschönigung und ohne Einseitigkeit.
Der vor 100 Jahren beginnende faschistische Totalitarismus lag nicht allein in der Wacht am Brenner, in der Land- und Bodengewinnung oder in der Unterdrückung der Südtiroler, sondern in der Vernichtung ihrer ethnischen Individualität und ihrer Tiroler Eigenart. Hierin unterscheidet sich die Geschichte Südtirols von den Dramen anderer Volksgruppen in Europa.
Der Schriftsteller Heinrich Mann, Sprecher der österreichischen und deutschen Exilanten in Paris, schrieb im Sommer 1939 Folgendes:
„Nirgends ist in der modernen Geschichte eine deutsche Minderheit auch nur annähernd so drangsaliert und entehrt, so bis aufs Blut gepeinigt worden wie in Südtirol.“
Es mag übertrieben klingen. Der Bruder von Thomas Mann konnte noch nicht ahnen, dass kurze Zeit danach eine unvergleichbare größere Tragödie begann. Im Namen Deutschlands wurde ein rassenideologischer Vernichtungskrieg in Gang gesetzt, der mit der Verfolgung, Internierung und dem Tod von Millionen Menschen endete.
Wie es den „lautlosen“ Menschen, den „stillen Helden“ in Südtirol erging, die sich in den entscheidenden Momenten zwischen zwei Weltkriegen und mit all ihren Widersprüchen sich einer entmenschlichten und totalitären Gesellschaft zu widersetzten versuchten, das ist der Inhalt des Buches.
In „Lautlose Opfer“ versuche ich, die Geschichte von 1918 bis 1945 stärker zu kontextualisieren und die Ereignisse des „ventennio fascista“ mit der Machtübernahme und den Verbrechen des Dritten Reichs zu verzahnen.
Dabei muss man davon ausgehen, dass mit dem Ersten Weltkrieg eine Nationalisierung der Menschen und Staaten begann. Die Folgen zeigten sich am Deutlichsten in Italien. Immer mehr Forscher und Historiker erkennen in den letzten Jahren, dass ohne das italienische Faschismusmodell das nationalsozialistische Regime in Deutschland nicht denkbar gewesen wäre.
Benito Mussolini steht für den rassisch-ideologischen Antislawismus, kurzum für den Ursprungsfaschismus, Adolf Hitler für dessen Nachahmung und für die nachfolgende Radikalisierung.
Nur so können wir auch die Tragödien des 20. Jahrhunderts auch in Südtirol besser verstehen. Zur Untermauerung dieser These lese ich Ihnen eine der Schlüsselaussagen eines großen Italieners, von Primo Levi vor, dem weltbekannten Zeugen und Überlebenden von Auschwitz. Für ihn war der Hitlerismus die Krönung des Mussolini-Faschismus:
„Der Nationalsozialismus war die Metastasierung eines in Italien gewachsenen Tumors. Er ist ein Krebs, der in Deutschland und in Europa im Zweiten Weltkrieg zu Millionen Toten führte.
Es ist geschehen, und folglich kann es wieder geschehen. Darin liegt der Kern dessen, was die Überlebenden von Auschwitz zu sagen haben“, so Primo Levi.
Trotzdem wird verharmlost und verherrlicht, wird ignoriert und negiert.
Samstag 24. Oktober Jahrestag der Hinrichtung von Stefan Valentinotti
Morgen, am 24. Oktober, jährt sich zum 76. Mal der Tag, an dem Stefan Valentinotti weit entfernt von seiner Heimat in der Haftanstalt Brandenburg-Görden unter dem Fallbeil der Henkers-Knechte starb.
Das gleiche schreckliche Los war am gleichen Tag weiteren 27 deutschen Widerstandskämpfern beschieden. Darunter waren Männer vom 20. Juli 1944 rund um Goerdeler und Staufenberg und Angehörige der Widerstandsgruppen um Beppo Römer und Robert Uhrig.
Stefan Valentinotti war eines der vielen verdrängten Opfer. Über deren Schicksal ist in der Vergangenheitsbetrachtung wenig und wenn, dann mehr in Nordtirol als in Südtirol bekannt.
Der Buchtitel „Lautlose Opfer“ nimmt darauf Bezug. Man könnte sie auch „vergessene Opfer“ bezeichnen. Rund um sie herrschte lautlose Stille. Sie konnten sich kein Gehör verschaffen.
Genauso wie zwischen 1919 und 1925 die Abschiebung von mindestens 20.000 Südtiroler Arbeitnehmern, vornehmlich öffentlich Bedienstete, ebenfalls weitgehend lautlos über die Bühne ging. Wenn man ihre Familien dazu nimmt, dann sind nach Schätzungen mehr als 60.000 Südtiroler den ethnischen und politischen Säuberungen – der Ersten Option – zum Opfer gefallen. Ihr Auszug aus der Südtiroler Heimat blieb nicht unbeweint. Viele lebten Jahrelang auf den Abstellgleisen alter österreichischer Rangierbahnhöfe.
Wer heute den ethischen Proporz verwässert und dauernd in Frage stellt, der sollte wissen, dass Südtirol seit der Annexion 1920 bis zur Durchsetzung der Autonomiebestimmungen (Paket) – durch die Vertreibung der deutschen und ladinischen Arbeiter und Beamten aus dem öffentlichen Dienst – eine amputierte Gesellschaft war. Heute noch sind viele Unrechte, die man den Südtirolern angetan hat, nicht beseitigt worden.
Mehr als 1000 Südtiroler waren unter dem Faschismus als gefährliche Staatsfeinde registriert und ständig verfolgt. Viele waren nach Süditalien deportiert worden. Von Faschistenhand ermordet wurden: Franz Innerhofer, Johann Baptist Daprà , der Schneebergknappe Karl Plattner aus Rabenstein, der Steinbrucharbeiter Ludwig Stricker aus Kortsch,
der Hirte „Jochweber Hans“, Johann Spechtenhauser aus Mittereindl in Unser Frau im Schnalstal.Viele sind auf ihrer Flucht in den hohen Bergen gestorben, wie der Vizebürgermeister von Meran, Josef Luchner, um nur einige zu nennen.
Mit dem Buch „Lautlose Opfer“ versuche ich, anhand der ungleichen Lebensgeschichten der sechs Geschwister Valentinotti aus Bozen wichtiges Zeitgeschehen aus der Geschichte Südtirols von 1918 bis 1945 nachzuzeichnen.
Das Buch ist in sechs Kapitel unterteilt. Im ersten Kapitel befasse ich mich kurz mit dem aus dem Sulzberg (Val di Sole) stammenden Vater der Geschwister Valentinotti. In Bozen war er im österreichischen Kaiserreich Postbediensteter in Gries gewesen. Die Mutter Dominika war eine geborene Marini aus Eppan, die Familie Marini stammte aus dem Nonsberg.
Die Kinder der Familie Valentinotti kamen alle – außer dem letzten Kind Anna – im Viertel Quirein in Gries auf die Welt. Alle vier Söhne zogen 1914 mit den Kaiserjägern an unterschiedlichen Frontgebieten in den Krieg. Stefan wurde in Gallizien von den Russen gefangen genommen und kehrte erst 1921 nach Südtirol zurück. Er war von der Annexion tief enttäuscht.
Doch alle vier Brüder gingen friedlich ihrer Arbeit nach. In der Freizeit betätigten sie sich im freiheitlich-katholisch gesinnten Bozner Turnverein. Auf die Geschehnisse in diesem Turnverein gehe ich im Buch näher ein.
Einer der Bozner Turner war der älteste Sohn Karl Valentinotti. Er war Handelsvertreter. Seit 1923 wurde er von den italienischen Staatsbehörden in einer Proskriptionsliste von rund 500 „subversiven pangermanistischen Elementen“ geführt und von den italienischen Geheimdiensten ständig beschattet.
Die Natur dieser faschistischen Verbrechen behandle ich eingehender im Kapitel über den Lebensweg von Stefan Valentinotti.
Im dritten Kapitel beschäftige ich mich mit den Brüdern Fritz und Heinrich Valentinotti.
10. Abb.: Fritz und Heinrich Valentinotti
Anna Valentinotti lebte eine Zeit lang in Laas, wo sie die Unterdrückungsmethoden der Faschisten miterlebte. Sie starb im Alter von 37 Jahren.
Die zwei letzten Kapitel enthalten die längsten Darstellungen. Ich stelle sie in den Mittelpunkt der Geschichte, weil beide Geschwister von unterschiedlicher Hand gequält und ermordet wurden.
Maria wurde von stalinistisch-kommunistischen Partisanen geschändet und in Sappada erschossen. Es zeichnet sich im Alpenvorland ein Bild ab, das gekennzeichnet ist von Gewalt und Gegengewalt, von Terror und Repressalien, kurzum vom Wahnsinn, der direkt oder indirekt viele Menschen befallen hatte. Es wirft auch kein gutes Licht auf die karnischen Partisanen.
Im Mittelpunkt der gesamten Familiengeschichte steht Stefan Valentinotti mit seiner langen Leidensgeschichte. Nach der Kriegsgefangenschaft lebte er etliche Jahre als Steuerbeamter in Eppan.
Durch seine illegalen Schriften erhalten wir einen ungeschminkten und wahrhaftigen Einblick in die Faschisten- und Optionszeit, in die braunen und schwarzen Verbrechen.
Stefan Valentinotti rechnet mit beiden Diktaturen ab. Wie für den Auschwitz Überlebenden Primo Levi waren auch für Valentinotti die Ideologien der beiden totalitären Staaten [Hitler- und Mussolini] ziemlich „parallel“.
Seine heftige schriftliche Kritik an Mussolini und Hitler, sein Festhalten am Tiroler Deutschtum und sein Einsatz für einen Freistaat Südtirol kosteten ihm das Leben.
Ein Südtiroler Arbeitskollege aus Algund, aktives NSDAP-Mitglied und V-Mann, hatte ihn in den Raspe-Werken in Kramsach an die Gestapo verraten. Der Denunziant wurde dafür nach 1945 zu schweren Haftstrafen verurteilt.
Stefan Valentinotti wurde am 16.Mai 1944 wegen „konspirativer Tätigkeit“ in seiner Wohnung in Wörgl verhaftet und in das Gestapo Gefängnis in Innsbruck überstellt. Dieses Gefängnis war die Hölle. Von hier aus wurden die Häftlinge an die verschiedenen Konzentrationlslager verteilt.
„Asoziale“ und „Vorbestrafte“ der Gestapo ausgeliefert
Und hier öffne ich ein Fenster, das uns Einblick gibt in das Zusammenspiel von Faschisten und Nationalsozialisten vor allem in der Optionszeit. Das ging so weit, dass die italienischen Faschisten nicht nur rund 450 psychisch kranke Südtiroler, sondern auch alle wegen Diebstahls oder anderer Delikte hinter Schloss und Riegel gesetzte Südtiroler, die als Vorbestrafte oder Wiederholungstäter charakterisiert worden waren, der NS-Todesmühle auslieferten.
Eines ist ganz klar: Ohne das Wissen und den Willen Mussolinis und seiner Gefolgsleute in Bozen bewegte sich von Salurn bis zum Brenner kein Blatt am Baume.
Stefan Valentinotti mit der Guillotine hingerichet
Im Juli 1944 wurde Valentinotti zunächst in das Zuchthaus Meseritz (heute Polen) und dann vor den Volksgerichtshof in Potsdam, wo er wegen Hochverrat, Wehrkraftzersetzung und Feundbesgünstigung zum Tode verurteilt wurde. Am 24. Oktober 1944 wurde Valentinotti im Zuchthaus Brandenburg-Görden brutal hingerichtet.
Ein Abschied von seiner Familie wurde Stefan Valentinotti verwehrt. Die Tochter Ingebort gab am 7. Februar 1976 vor Zeugen folgende Erklärung ab, die in ein in Wien aufbewahrtes Gedächtnisprotokoll aufgenommen wurde:
„Mein Vater war ein schweigsamer Mensch, ein echter
Naturfreund und ein leidenschaftlicher Verfechter für die Belange Südtirols und für die Bewahrung des Deutschtums in seiner Heimat“.
Ich kann meinerseits am Schluss nur sagen:
Man greift nicht zu hoch, wenn man Maria und Stefan Valentinotti in die Reihe der Deutsch-Tiroler Ehrenretter einreiht, die dem Bösen widerstanden und sich für das Gute eingesetzt haben. Mit dem Buch „Lautlose Opfer“ will ich beitragen ihr Andenken zu bewahren.
Bürgermeister Wilfried Trettl, Alfred Gusenbauer, Tourismusvereins-Präsidentin Evelyn Falser, Buchautor Günther Rauch v.l.n.r.
Vertreter der Schützen Hubert Larcher und Josef Kaser, Martha Stocker, Präsidentin der Silvius-Magnago-Stiftung.
Gusenbauer, Durnwalder mit zwei Mittelschülerinnen, die an der Veranstaltung teilnahmen.
Bilder: Günther Rauch






