von fe 10.12.2019 15:10 Uhr

„Die Südtirol-Politik muss aus der Lethargie heraus“

An die 2.000 Schützen, Marketenderinnen und Tiroler haben sich am Sonntag in St. Pauls versammelt um den verstorbenen und lebenden Freiheitskämpfern der 1950er und 1960er Jahre zu gedenken (UT24 berichtete). Die Gedenkrede hielt Meinrad Berger. Er war einer der jüngsten politischen Gefangenen Südtirols.

Foto: SSB

Schütze und Heimatbund-Vize-Obmann Meinrad Berger aus Andrian hielt am Sonntag die Gedenkansprache. Berger hatte in den 60er Jahren Flugzettel verteilt, in denen er auf die menschenrechtswidrige Behandlung der Inhaftierten hinwies. Dafür wurde er zu einer dreimonatigen Haftstrafe verurteilt. Meinrad Berger war einer der jüngsten politischen Häftlinge Südtirols.

UT24 gibt die Rede von Meinhard Berger vollinhaltlich wieder:

Hohe Geistlichkeit, Pater Reinald Romaner und Pater Christoph Waldner,
geschätzter Herr Bürgermeister Wilfried Trettel,
liebe Marketenderinnen und Schützenkameraden,
werte Tiroler Landsleute!

Wir gedenken heute des großen Tirolers und Gründers des Befreiungsausschusses Südtirols, Sepp Kerschbaumer, und aller Südtiroler Freiheitskämpfer. Sie alle folgtem ihrem Gewissen und übernahmen Verwantwortung, als andere wegsahen.

Wir verneigen uns vor diesen Männern und deren Frauen, die den Mut und die seelische Kraft hatten, dem italienischen Machtsystem die Stirn zu bieten und gegen die Missachtung der Lebensrechte der Südtiroler und für Eigenverwaltung und Selbstbestimmung zu kämpfen.

Vor 85 Jahren: Sepp Kerschbaumer nach Süditalien deportiert

Lasst mich daran erinnern, dass Sepp Kerschbaumer das italienische Joch in seiner vollen Brutalität bereits als 21jähriger Jungkaufmann zu spüren bekommen hat. Vor 85 Jahren, am Sonntag, 9. September 1934, nicht weit von hier, hinter der Pfarrkirche von St. Pauls, hatte Kerschbaumer beim großen Wiesenfest der Musikkapelle mit rund sechzig Burschen und Mädchen das Lied „O Land Tirol“ angestimmt.

In der Folge wurde er von den Faschisten und Carabinieri verhaftet und ins Gefängnis nach Bozen gebracht. Fünf Wochen später, Mitte Oktober 1934, wurde er zu zwei Jahren Verbannung nach Lagonegro im Neapolitanischen verurteilt. Erst im Herbst 1935 ließ man den in der Bergwildnis des süditalienischen Apennins dahinvegetierenden Tiroler frei. Dies, nachdem Mussolini anlässlich des italienischen Völkermordes in Abessinien eine Generalamnestie erlassen hatte.

Brennergrenze und Italianisierung Ursache für Südtirol-Konflikt

Nach dem Zusammenbruch des Nazifaschismus 1945 glaubten alle, dass die Südtiroler in Ruhe gelassen werden und ihr Leben selbst bestimmen könnten. Weit gefehlt! Aufgrund des Festhaltens an der Brennergrenze und der unterbliebenen Aufarbeitung der faschistischen und imperialistischen Vergangenheit und Verbrechen – wie der Buchautor Günther Rauch in zwei Publikationen über das Mussolini-KZ „Campo di concentramento Prato d’Isarco“ eingehend belegte – ließ man die Südtiroler spüren, wer der Herr im Hause ist. Nun hieß es, sich wieder für die Heimat einzusetzen, um in irgendeiner Form das Recht auf ethnische Selbstbestimmung zu erlangen.

Vor 55 Jahren: Sepp Kerschbaumer als Märtyrer für die Menschrechte der Südtiroler in der Haftanstaltung von Verona gestorben
Kerschbaumer war Eppaner Gemeinderat, SVP-Ortsobmann und der Kopf der Südtiroler Befreiungsbewegung. Obwohl er nach seiner Verhaftung nach der Feuernacht 1961 grauenvollen Misshandlungen ausgesetzt war – Anton Gostner und Franz Höfler starben an den Folgen der Folterungen –, hatte er niemanden verraten. Im Gegenteil, beim Mailänder Prozess übernahm er die volle Verantwortung für die Feuernacht. Gestern vor exakt 55 Jahren starb Kerschbaumer im Alter von 51 Jahren in der Haftanstalt in Verona.

Zwei Monate vorher – am 7. September 1964 – hatte auf den Brunner Mahdern ein hochbezahlter Agent den Leutnant der Grieser Schützenkompanie Luis Amplatz ermordet und den Passeirer Schützenmajor Georg Klotz schwer verwundet.

Vor 55 Jahren: Nach Schützenmord in Saltaus, Blutbad in Tesselberg geplant.

Fünf Tage nach diesem mit der Dienstwaffe eines Carabinieri-Hauptmanns begangenen Mordanschlag war in Tesselberg ein weiteres Blutbad geplant. Man wollte fünfzehn Tesselberger Männer erschießen. Zudem sollten alle Häuser des Gaiser Bergdorfes bis auf die Mauern niedergebrannt werden.

Die gelungene Flucht von Georg Klotz nach Nordtirol und die Furcht vor dessen Enthüllungen brachten höchstwahrscheinlich den Plan für das schreckliche Massaker durcheinander.

Innerhalb des militärischen Oberkommandos kam es zum Streit. Der im Pustertal stationierte Carabinieri-Oberstleutnant Giancarlo Giudici zog es vor, den vom Oberst der Carabinieri-Legion Bozen, Franco Marasco, ausgegebenen Erschießungsbefehl nicht umzusetzen. Am nächsten Tag ließ der berüchtigte Generalkommandeur der Carabinieri und spätere Staatsputschist Giovanni De Lorenzo den genannten Oberstleutnant Giudici wegen Befehlsverweigerung vom Ahrntal nach Udine versetzen.

Damit sich alle über die brutalen Geschehnisse jener Jahre ein Bild machen können, ist es ratsam, die BAS-Ausstellung unter den Bozner Lauben zu besuchen. Dort erhält man auch die neuesten von österreichischen Zeithistorikern geschriebenen Bücher.

Im Alter von 17 Jahren wegen „Los von Rom“ eingesperrt

In dieser harten Zeit war ich 17 Jahre alt und habe das Unterdrückungssystem gut kennengelernt. Ich habe Flugblätter mit dem Aufruf „Südtirol – Los von Rom“ verteilt. Man hat mich verhaftet und nach Venedig geschleppt. Dort wurde ich drei Monate lang in ein Erziehungsheim eingesperrt.

„Ohne die Taten des BAS hätte es keine Neunzehner-Kommission gegeben“. Das konnte man erst kürzlich wieder in einem ORF-Bericht aus dem Munde von Silvius Magnago hören.

Volle Solidarität mit der Südtiroler Historikerin Dr. Margareth Lun.

Erlauben Sie mir, dass ich mich bei allen Schützenkameraden und Heimatbewussten bedanke, dass sie das Andenken der Frauen und Männer der Südtiroler Freiheitsbewegung in Ehren halten. Ich danke allen, die der Jugend weit mehr als historisches Wissen vermitteln und immer wieder vor den neuen Gefahren einer schleichenden Italianisierung und vor jedem totalitären Regime und vor jedem Extremismus warnen und aufklären.

In diesem Zusammenhang fühle ich mich mit der Fahnenpatin der Eppaner Schützenkompanie Sepp Kerschbaumer, Frau Dr. Margareth Lun, voll solidarisch.

Bei der Sendung „Pro & Contra“ fiel der RAI-Moderator und ein ehemaliger Bozner Stadtarchivar und Senatskandidat der italienischen Linksaußen „Liberi & Uguali“ der Südtiroler Historikerin dauernd ins Wort. Allen, die diese Sendung gesehen haben, ist diese fürchterliche Intoleranz aufgefallen, die alle Grundlagen eines seriösen Journalismus und Meinungsstreites vermissen lässt.
Nichts ist gefährlicher, als den Menschen den Mund zu verbieten. Die Achtung der Meinungsfreiheit und des Informationspluralismus sind und bleiben gerade in Südtirol ein Indikator für die Qualität und den Konsolidierungsstand der hiesigen Demokratie.

Gedanken bei den Freiheitskämpfern in Österreich und Deutschland

In Gedanken bin ich bei den Freiheitskämpfern, die in Österreich und Deutschland leben. Es sind dies: Erhard Hartung, Egon Kufner, Heinrich Oberlechner, Sepp Forer und Siegfried Steger.
Es widerspricht jeglichem europäischen Rechtsempfinden, wenn diese Männer bis heute weder eine gerichtliche Vorladung, noch eine schriftliche Anklage erhalten haben.

Umso mehr wäre es ein Gebot der Stunde und vor allem ein Akt der Menschlichkeit gewesen, wenn der italienische Staatspräsident auf Schloss Tirol eine Generalamnestie für alle Südtiroler Aktivisten ausgesprochen hätte. Unsere Landsleute mussten aus ihrer Heimat fliehen, weil mehrmals verurteilte Staatsputschisten sie unter falsche Anklage gesetzt hatten.

Ein kleines Zeichen des Dankes an die im Exil lebenden Freiheitskämpfer

Gestattet mir, dass ich an diesem Punkt angelangt meine Rede kurz unterbreche. Ich bitte die Telefone mit Sepp Forer und Siegfried Steger zu verbinden.

Vergelt’s Gott.

Diese Männer, die in Verbannung nördlich des Brenners leben, haben die besten Jahre ihres Lebens dafür hergegeben, damit es uns Südtirolern zumindest sozial und wirtschaftlich besser geht.

Das entbindet uns aber nicht der Verpflichtung, die großen Gefahren einer zunehmenden politischen Gleichgültigkeit gegenüber den Machenschaften italienischer Kreise und einer moralischen Verfettung wahrzunehmen. Diese könnte unseren Selbstbehauptungswillen schwächen und unseren Kampf für ein europäisches und selbstbestimmtes Tirol einschläfern.

Antieuropäische „Qui siamo in Italia“-Mentalität läßt nicht locker.

Den deutlichsten Beweis lieferte der Versuch nationalitalienischer beziehungsweise italophiler Politiker, mit einem Autonomie-Konvent die Grundsäulen unserer Autonomie aus den Angeln zu heben. Unter dem Deckmantel einer Multi-Kulti-Politik wollte man den Proporz abschaffen, gemischtsprachige Schulen und sonstige perfide Maßnahmen einführen.

Der Dank geht an alle, die sich diesen Winkelzügen entgegengesetzt und den Blick nach vorne gerichtet haben. Stellvertretend für alle möchte ich vier Persönlichkeiten nennen: den ehemaligen Schützenkommandant Elmar Thaler, den Ex-Landtagsabgeordneten Christian Tschurtschenthaler, den Rechtsanwalt Florian von Ach und nicht zuletzt die Historikerin Margareth Lun.

Ihr und aller Verdienst kommt klar und deutlich zum Ausdruck, wenn im Enddokument des Konvents von Ausbau der Selbstverwaltung, der Auflösung des Regierungskommissariat, der Abschaffung der Region, die Aufwertung der Gemeinden, eine eigene Pensionsversicherungsanstalt, Sportautonomie, eine umfassende Steuer- und Finanzautonomie, der Festigung des Rechts auf Gebrauch und Pflege der deutschen Sprache und des historischen Erbes und viele andere gut durchdachte Änderungen gesprochen wird.

Politische Unbeweglichkeit überwinden – Konvent-Beschlüsse umsetzen

Wir dürfen nicht zulassen, dass die Probleme nicht angegangen und die Lösungen die in den Konvent-Beschlüssen niedergeschrieben sind, nicht umgesetzt werden. Lasst es mich es noch deutlicher sagen:

Die Südtirol-Politik muss aus der Lethargie, aus der Unbeweglichkeit heraus, in der sie steckt. Es ist unser aller Verpflichtung unseren Kindern und Kindeskindern eine christliche und selbstverwaltete Heimat zu geben. Wer sich im Irrglauben aufgibt, um Sicherheit zu gewinnen, wird am Ende beides verlieren. Es braucht Mut, Überzeugung und Zusammenhalt, um neue Perspektiven und Lösungen aufzuzeigen.
Dazu kann und soll jeder von uns beitragen.

Es lebe unser Tiroler Heimatland. Schützen Heil!

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