„Italiani brava gente“

Zum 100. Mal jährt sich das Ende des Ersten Weltkrieges, zum 80. Mal der Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich, zum 75. Mal der Sturz des Faschistenoberhaupts Benito Mussolini und die Kapitulation Italiens und schließlich der Beginn des Kampfes zur Befreiung Europas von der nazifaschistischen Diktatur. Eng mit diesen Ereignissen verbunden sind schreckliche Gräueltaten und die Errichtung staatlicher Konzentrationslager.
Am Samstag, den 8. September werden der Südtiroler Heimatbund, der Heimatpflegeverband, die Schützenkompanien und die Gemeinde von Karneid in Erinnerung an das von der Mussolini-Regierung in Blumau errichtete und von den Milizen von 1941 bis 1943 geführten Konzentrationslager „Campo di concentramento Prato d’Isarco“ einen Gedenkstein enthüllen.
Zeitgleich wird der Buchautor Günther Rauch ein 175 Seiten langes Buch über die Geschichte dieses bisher verborgen gebliebenen Lagers präsentieren. Mit dabei ist auch die in Udine lebende Wissenschafterin und Verlegerin Alessandra Kersevan. Sie hat eine Reihe von Büchern über die italienischen Konzentrationslager und Kriegsverbrechen verfasst. Ein Auszug eines Gesprächs zwischen Kersevan und Rauch:
Rauch: Alessandra Kersevan, Sie sind eine der Historikerinnen, die sich mit den schwärzesten Seiten der italienischen Geschichte sehr ausführlich befasst haben. In ihren Büchern bringen sie immer wieder die dunkelsten und bisher verschleierten Fakten des faschistischen Regimes ans Tageslicht. Sie weisen immer wieder auf die Tatsache hin, dass Benito Mussolini schon vor den Nationalsozialisten ein Netzwerk von Konzentrationslagern in Italien geschaffen hat. Wie kam es zur Schaffung dieser faschistischen Lager? Kontext?
Kersevan: Konzentrationslager wurden bereits vor dem Ersten Weltkrieg in Libyen für diejenigen Menschen errichtet, die gegen die italienische Besetzung ihres Landes rebellierten. Während des Faschismus gab es dann Konzentrationslager für die politischen Gegner, die Antifaschisten. Als Italien in den Krieg eintrat, wurde 1940 beschlossen, diejenigen zu internieren, die im Hinblick auf den bevorstehenden Kriegseintritt des Landes „als unter den Kriegsumständen gefährlich“ („pericolosi nelle contingenze belliche“) eingestuft wurden. Dies betraf nicht nur politische Gegner, sondern auch Slawen, Südtiroler, Juden, Sinti und Roma, die innerhalb der italienischen Grenzen lebten.
Außerdem wurden mehrere Lager für Kriegsgefangene errichtet, in denen während der Kriegshandlungen gefangen genommene Soldaten der anti-nazifaschistischen Koalition, der Alliierten, interniert wurden. Bis dahin blieb man bei den – wenn auch traurigen – Praktiken von Kriegsperioden. Aber mit der italienischen Aggression gegen Jugoslawien am 6. April 1941 nahm das direkt von der italienischen Armee geführte KZ-System eine ganz andere und neue Bedeutung an. Italien annektierte ganze Gebiete des ehemaligen Königreiches Jugoslawien (Provinz Laibach, Fiume, Dalmatien, Montenegro) und setzte eine ungeheuerliche Strategie zur „ethnischen Säuberung“ dieser Regionen um. Das Ziel war die Zwangsumsiedlung, Vertreibung und Deportation ganzer Völker und Volksgruppen und ihre gezielte Ersetzung durch Italiener. Zu diesem Zwecke wurden in Italien in den frühzeitig errichteten Konzentrationslagern, wie Gonars, Visco, Anghiari, Alatri, Cairo Montenotte, Colfiorito, und in den Lagern im besetzten Dalmatien, so in Arbe, Zlarin, Mamula, Melada, Bar und anderen KZs, neben den Männern auch Massen von Frauen, Kindern und älteren Menschen eingesperrt.
In diesen Lagern war auch die Anzahl der Todesfälle sehr hoch. Allein vom Winter 1942 bis zum 8. September 1943 kamen von rund 120.000 Häftlingen kamen mindestens zwischen sieben- bis elftausend Menschen ums Leben. Um sich gegen die ethnischen Säuberungen und Vertreibungen zu wehren, bildeten sich in diesen Regionen starke Widerstandsbewegungen. Italien konnte seine Ziele nicht erreichen, weil die italienische Wirtschaftslage sehr schwach war und seine Armee am 8. September 1943 kapitulierte. Ab diesem Zeitpunkt wurden auch die italienischen Lager geschlossen.
Rauch: Italien präsentiert sich heute noch in der Geschichtsschreibung allzu leicht mit dem verkitschten „Brava-Gente-Mythos“ („italiani brava gente“). Man hat das brutale Mussolini-Regime aus dem Gedächtnis gelöscht. Was wundert, wenn dann in Südtirol immer wieder der fürchterliche antieuropäische Geist vom „Qui siamo in Italia“ zum Ausdruck kommt. Warum vertuscht man die faschistischen Verbrechen und die Massentötungen der italienischen Diktatur in Afrika, in Russland und auf dem Balkan?
Kersevan: Dies ist eine der entscheidenden Fragen. Dafür gibt es verschiedene Gründe, von allgemein historisch-kulturellen bis zu den sozialen und politischen. Von der faschistischen Propaganda wurden die Italiener einerseits als Träger einer überlegenen Kultur und andererseits als Opfer von Ungerechtigkeiten der Siegermächte im Ersten Weltkrieg beschrieben.
Wegen der Verweigerung neuen italienischen Bodens in Fiume und in Dalmatien sprach man von einer „vittoria mutilata“, dem Sieg Italiens, der von den Verbündeten verstümmelt worden sei. Die Vereinigung dieser beiden gegensätzlichen Selbstdarstellungen ist tief ins kollektive Bewusstsein des italienischen Volkes eingegangen. Der nationalistischen Propaganda gelang es, in den Köpfen der Italiener die Ansicht zu verankern, dass die Italiener auch im Krieg schon immer „gut“ oder zumindest besser als die anderen waren. Besser als die Deutschen natürlich, aber auch als die Engländer oder als die Sowjets…
Dieses Bild wurde unter dem Faschismus dazu benützt, um die blutigen militärischen Aggressionen in Griechenland, Jugoslawien und Russland zu rechtfertigen. Dies mit dem Segen und der Unterstützung der katholischen Kirche – als Missionen der Zivilisation dargestellt. Erstaunlicherweise wurde auch vom italienischen Widerstand die Vergangenheit übergangen. Die Tatsache, dass Italien von den Nationalsozialisten besetzt wurde und sich die „Resistenza“ gebildet hatte, wurde zum Anlass genommen die vorhergehende enge Allianz des italienischen Faschismus mit dem Nazismus zu vergessen.
Die Angriffskriege, die italienischen Verantwortlichkeiten und die vor dem Waffenstillstand begangenen Kriegsverbrechen wurden übergangen.
Das Konzentrationslager in der Ex-Brauereu Blumau-Vilpian (Archiv Karl Saxer).
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