von red 13.06.2017 13:00 Uhr

K.u.k. Lagerhalle in Bozen soll abgerissen werden

Die fast 160 Jahre alten Zusatzhalle am Bozner Bahnhof droht ein Opfer der berüchtigten Abrissbirne zu werden. Die langgestreckte Halle an der Nordseite des Bozner Bahnhofes führte bisher ein unscheinbares Aschenbrödel-Dasein. Eine bunte Schar an Aktivisten, unter anderem das Kuratorium für technische Kulturgüter, der Heimatpflegeverein und der Südtiroler Schützenbund möchten das Gebäude nun retten. Unter anderem mit einer Online-Petition. Prof. Berthold Burkhardt von der Technische Universität Braunschweig, seines Zeichens Mitglied im Internationalen Rat für Denkmalpflege erklärt, warum der Erhalt dieses Gebäudes für Bozen und das ganze Land wichtig wäre.

Die Negrelli-Halle von außen - Foto: Jaist

Von Berthold Burkhard.

Als Ergänzung zum Bahnhofsgebäude in Bozen wurde 1859 eine 170 m lange Lagerhalle erbaut, die parallel zu den Gleisen angeordnet ist. Erbauer war der bekannte Generaldirektor der k.k Eisenbahnen, Bauingenieur Alois von Negrelli und Ritter von Moldelbe, der vor allem im aufstrebenden Eisenbahnwesen, dem damit verbundenen Brückenbau und nicht zuletzt durch seine realisierten Planungen für den Suezkanal Internationale Bekanntheit und Anerkennung erfuhr. Um den historischen Wert eines Gebäudes oder einer Anlage einzuschätzen, können die differenzierten Kriterien herangezogen werden, die in den meisten nationalen Denkmalschutzrichtlinien verankert sind.

Städtebauliche Situation und historisch funktionale Bedeutung

Das Lagerhaus ist dem Bahnhofsgebäude entlang der Bahngleise zugeordnet. Eine kleinere Halle links, eine große mit 170m langgestreckte Halle rechts vom Bahnhof zeigt die funktionale Anordnung. Erst der Bahnverkehr ermöglichte in der neuen industrialisierten Welt einen zunehmenden Warenaustausch und das Transportwesen. Begleitende Bauwerke und Anlagen sind die Lagerhäuser, hier in Bozen ergibt sich die erstaunliche Länge aus dem offensichtlich großen Umschlag, der von vielen Güterwagen gleichzeitig über die Rampe in verschiedene Lagerbereiche erfolgte. Kurze Haltezeiten der Züge und kurze Transportwege vom Zug zur Halle lassen den ökonomischen Ansatz erkennen. Durch diese Anlage wird die historische Entwicklung der Stadt Bozen mit ihrem wirtschaftlichen Aufschwung in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts dokumentiert.

Architektur und Konstruktion

Die Bozener Lagerhalle ist in ihrer Bauweise und Struktur ein einfaches Gebäude, das ihren Zweck unterstreicht. Die massiven Wände sind aus Naturstein gemauert, das Dach besteht aus einer sehr klaren, man könnte sagen minimierten Konstruktion. Die Zangenkonstruktion aus Vollholz und den zwei getrennt liegenden Sparren ermöglichen eine Stützenfreiheit für den gesamten Raum. Die zweigeteilten Auflager ermöglichen ein auskragendes Vordach zur Überdachung der Rampe. Wäre das Baujahr nicht schon 1859, könnte man das Dachtragwerk als ein frühes Bespiel der sich in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts entwickelnden Ingenieurholzbau bezeichnen. Die Eindeckung erfolgte mit einem traditionellen Ziegeldach.

Der Erbauer

Der Bauingenieur Alois von Negrelli Ritter von Moldelbe (1799 – 1858) ist zwar durch seine Planungen für den Suezkanal weltweit bekannt, muss aber als Eisenbahningenieur und Brückenbauer in Europa ebenso gewürdigt werden. In seinem Lebenswerk sind die Planungen und Realisierungen von bedeutenden Eisenbahnstrecken bekannt, z.B. von Wien nach Prag, von Zürich nach Baden, von Kufstein nach Innsbruck, das Eisenbahnnetz Lombardo – Venetien und die Verbindung Verona-Bozen. In der Schweiz setzte er die Voraussetzungen für die Einführung der Gebirgsbahnen, in Österreich ermöglichte er als leitender Bahnbeamter mit seiner Expertise den Bau der Semmeringbahn, die seit 1998 auf der Welterbe Liste der UNESCO steht. Nicht minderbedeutend sind die Brückenbauwerke Negrellis. Die Münsterbrücke in Zürich oder ein nach ihm benannter Viadukt in Prag.

Trotz der vielfältigen Aufgaben im Eisenbahn- und Brückenbau fand Negrelli Zeit sich der Realisierung von Hochbauten zu widmen, wie das Kornhaus in Zürich oder eben das Lagerhaus in Bozen, beide in Verbindung mit dem zunehmenden Transportaufkommen. Alois Negrelli verstarb kurz vor der Fertigstellung der Bozener Lagerhalle. Zahlreiche Ehrungen wurden im im Laufe seines erfolgreichen Lebenswerkes zuteil.

Resümee

Die Lagerhalle von Alois von Negrelli ist im Zusammenspiel mit der sich stürmisch entwickelnden Industrialisierung in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu sehen, die wiederum als Voraussetzung für den Warenaustausch ein gut funktionierendes, weitverzweigtes und ökonomisches Transportwesen benötigte. Dazu waren nicht nur die Streckennetze, an denen Negrelli maßgeblich beteiligt war, notwendig, sondern auch Umschlagplätze mit den entsprechenden Lagerstätten und Infrastruktur. Bedauerlicherweise haben die Bahnen in der Vergangenheit viele dieser zeitgeschichtlichen Orte nicht nur aufgegeben, sondern auch gänzlich eliminiert. Straßenbau und LKW Transport dominieren heute den Warenverkehr.

Die Lagerhalle von Negrelli ist als geschichtliches Zeitzeichen und Dokument zu verstehen, das an die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts erinnert. Über die ursprüngliche technisch geschichtliche Funktion in dem Lagerhaus mit seiner beachtenswerten Dimension hinaus, gibt der Erbauer, der Eisen-, Brückeningenieur und Architekt Alois von Negrelli, dem Gebäude noch seinen besonderen Erinnerungswert.

Die Stadt Bozen, Region und Land haben damit ein in mehrfacher Hinsicht ein schützenswertes Gebäude das Beachtung und Erhaltung verdient, aber auch verpflichtend ist. Die technische Erhaltungsfähigleit selbst ist nachgewiesen, plausible Vorschläge für eine Nachnutzung liegen vor.


Prof. Berthold Burkhardt ist Internationaler Rat für Denkmalpflege ICOMOS (Deutschland), Mitglied der Gesellschaft für Bautechnikgeschichte (Deutschland, Schweiz, Österreich) und Mitglied der Society for Construction History, England.


Jetzt
,
oder
oder mit versenden.

Es gibt neue Nachrichten auf der Startseite