VfGH befragt ab Montag 90 Zeugen zur FPÖ-Wahlanfechtung

Auf 152 Seiten wird in der von Ex-Justizminister Dieter Böhmdorfer verfassten und FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache – als Zustellungsbevollmächtigtem Hofers – unterschriebenen Anfechtung zunächst dargelegt, dass und warum die Briefwahl überhaupt verfassungswidrig ist. Damit dürfte die FPÖ beim VfGH keine Chancen haben, wurde doch schon in mehreren Erkenntnissen festgestellt, dass die Briefwahl eine zulässige Möglichkeit ist, die Wahlbeteiligung zu fördern.
Nicht abschätzen lässt sich aber, ob von der FPÖ behauptete Gesetzeswidrigkeiten bei der Auszählung der Briefwahlstimmen am Montag, dem 23. Mai eine Wiederholung nötig machen. In 94 von 117 Bezirkswahlbehörden habe es solche gegeben, behauptet die FPÖ: In 84 seien die Wahlkarten vorzeitig sortiert, in 17 verfrüht geöffnet, in elf auch die Stimmkuverts entnommen worden. Zum vorgeschriebenen Start um 9.00 Uhr bereits ausgezählt gewesen seien die Stimmen in vier Wahlkreisen – und in sieben hätten nicht zuständige Personen ausgezählt. Auf diese Angaben kam die FPÖ durch eine Umfrage unter Wahlbeisitzern (mittels Fragebogen), viele von ihnen hätten, steht in der Anfechtung, auch eidesstattliche Erklärungen abgegeben.
Der VfGH muss zunächst feststellen, ob von den behaupteten Fehlern so viele Stimmen betroffen sind, dass sich das Wahlergebnis ändern – also Hofer vor Van der Bellen liegen – könnte. Nur wenn dies der Fall ist, muss sich das Höchstgericht detailliert mit den Inhalten der Anfechtung befassen. Van der Bellen lag im Endergebnis um 30.863 Stimmen vor Hofer. Laut FPÖ-Anwalt Dieter Böhmdorfer wurden z.B. mehr als 573.000 Wahlkarten vorzeitig sortiert und mehr als 58.000 Briefwahlstimmen von Unzuständigen ausgezählt. Dieser Vorgang, die Auszählung durch nicht befugte Personen, wäre der wohl schwer wiegendste Mangel.
Um sich ein Bild von den Vorgängen bei der Briefwahlauswertung zu machen, befragt der VfGH von Montag bis Donnerstag 90 Mitglieder von Bezirkswahlbehörden. Einige von ihnen dürften sich der Stimme entschlagen, um sich nicht selbst zu belasten. Denn das Innenministerium hat alle von der FPÖ genannten Bezirkswahlbehörden bei der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft angezeigt. Weil nämlich alle – von den Parteien, auch der FPÖ – gestellten Beisitzer all dieser Wahlbehörden per Unterschrift bestätigt haben sollen, dass die Briefwahlauszählung gesetzeskonform von statten ging. Sie könnten wegen des – mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren bedrohten – Delikts der falschen Beurkundung strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden.
Unter Berufung auf diese Niederschriften der Wahlbehörden erklärt die Bundeswahlbehörde auch in ihrer Gegenschrift zur Anfechtung, dass die Stichwahl in allen 113 Stimmbezirken korrekt ausgezählt worden sei. Es gebe keine Hinweise auf Manipulationen und ein Vorsortieren wäre nicht rechtswidrig, sieht die Wahlbehörde in ihrer 14-seitigen Stellungnahme keinen Grund für eine Wiederholung.
Im VfGH werden ab Montag 8.30 Uhr Präsident Gerhart Holzinger, Vizepräsidentin Brigitte Bierlein und die zwölf anderen Verfassungsrichter die 90 Zeugen einvernehmen; im Anschluss daran dürfen auch die Vertreter der beiden Kandidaten Fragen stellen. Hofer wird von drei Rechtsanwälten – Böhmdorfer, Rüdiger Schender und Michael Rohregger – vertreten, Van der Bellen von den Anwälten Maria Windhager und Georg Bürstmayr. Die beiden Kandidaten selbst werden nicht ins VfGH-Gebäude an der Freyung kommen, auch Strache (der als Zustellungsbevollmächtigter eingeladen ist) nicht.
Kommen werden hingegen so viele Medienvertreter wie nie zu vor. Auch einige internationale Agenturen (Bloomberg, Reuters) und ein niederländischer Radiosender haben sich bereits angemeldet. Live-Übertragungen von der Verhandlung sind jedoch verboten, gestattet ist nur der „Kamera-Schwenk“ zu Beginn – und Live-Tickern. Da selbst der große Verhandlungssaal nicht für alle Interessierten reichen wird, wurde im VfGH noch ein zweiter Saal eingerichtet, in dem die Zeugeneinvernahme auf einem Monitor verfolgt werden kann.
Mit einer Entscheidung des VfGH bereits am Donnerstag ist nicht zu rechnen. Dann ziehen sich die Verfassungsrichter erst einmal zur Beratung zurück. Geplant ist ein Erkenntnis am 6. Juli, also zeitgerecht vor dem geplanten Termin der Angelobung des neuen Präsidenten am 8. Juli.
An diesem Tag endet die Amtszeit Heinz Fischers – auch wenn der VfGH eine Wahlwiederholung anordnet. Dann müssten die drei Nationalratspräsidenten die Vertretung des Staatsoberhauptes übernehmen. Die Wiederholungswahl könnte frühestens Ende September, Anfang Oktober stattfinden.






