Wahnsinn: Müssen deutsche Lehrer ihre Sachfächer in Zukunft auf italienisch unterrichten?

Content and Language Integrated Learning (CLIL) lautet das neue Zauberwort, welches das Südtiroler Schulsystem revolutionieren soll. Dahinter steckt ein Konzept des bilingualen Lernens, bei dem der Fachunterricht in einer Fremdsprache erfolgt. Für Landesrat Philipp Achammer sind es innovative Projekte zum Sprachenlernen. So sieht er zum Beispiel Kindergärten als „bereits heute vielstimmige und vielsprachige“ Lernorte. Und als Beweis dafür, dass ein spielerisches Heranführen an andere Sprachen durchaus möglich sei.Â
Dem diametral entgegengesetzt steht die Meinung des Südtiroler Schützenbundes, der in der dieser Woche in einer Pressemitteilung seinem Unmut Luft gemacht hat (UT24 berichtete).
UT24 hat mit den Protagonisten im Schützenbund ausführlich über das Thema gesprochen:
UT24: Frau Dr. Lun, Sie unterrichten selbst an einer Südtiroler Mittelschule. Sind die Deutschkenntnisse wirklich so schlecht, dass wir beim Fremdsprachenunterricht Rücksicht auf die Muttersprache der Schüler nehmen müssen?
Dr. Margareth Lun: Das stimmt so nicht. Es geht einerseits um Sprachmajorisierung und andererseits um zusätzlichen Fremdsprachenunterricht, der nun auf Kosten der Muttersprache geht. Fakt ist derzeit: Fast jeder deutschsprachige Südtiroler beherrscht nur seinen Dialekt perfekt. Die Schriftsprache hingegen muss bei uns in Südtirol selbst wie eine Fremdsprache erlernt werden.
Und nicht nur in der Pflichtschule – auch bei Oberschülern ist zum Teil eine geringe Kompetenz vorhanden, flüssig in Hochdeutsch zu sprechen. Das fällt auch immer wieder in Interviews auf. Wir können es uns absolut nicht leisten, hier den Fachunterricht auch noch in anderen Sprachen zu machen. Damit geht zusätzlich Fachwortschatz in der eigenen Muttersprache verloren. Eine weitere Kürzung der Deutschstunden ist absolut untragbar.“
UT24: Was meinen Sie mit einer weiteren Kürzung?
Dr. Margareth Lun: „Bereits vor Jahren wurde ab der 4. Grundschule der Deutschunterricht um 1 Stunde zugunsten von Englisch gekürzt. Das merkt man besonders in der Mittelschule gewaltig, wo eh zusätzlich noch so viele Deutschstunden für Verkehrserziehung, Berufswahlvorbereitung, organisatorische Besprechungen in der Klasse (die Deutschlehrer sind meistens auch die Klassenlehrer!) und alles Mögliche sonst draufgehen, was uns vom Staat oder vom Land vorgeschrieben wird.“
UT24: Herr Thaler, Ihnen wurde in der letzten Woche mehrmals vorgeworfen, Sie wären generell gegen Fremdsprachenunterricht und insbesondere gegen Italienischunterricht?
Elmar Thaler: „Wenn diese Leute genau hinhören würden, dann würden sie auch verstehen, um was es uns geht. Schauen Sie: 1.100 Stunden Italienischunterricht bis zur 3. Klasse Mittelschule, bzw. 1.700 Stunden bis zur Matura müssen absolut reichen! Wenn die Schüler da zu wenig lernen, dann machen die Lehrer etwas mit der Unterrichtsmethode falsch! Und jetzt sollen Lehrer deutscher Muttersprache herkommen, und auch noch auf Italienisch unterrichten, weil die Italienischlehrer den Schülern in 1700 Unterrichtsstunden bis zur Matura zu wenig beigebracht haben?“
UT24: Sie sagen also, es ist eine Frage der Qualität und nicht der Quantität?
Elmar Thaler: „Offensichtlich: Wenn Schüler in einem anderen Fach (z.B. in Mathematik) nicht auf der Höhe sind, heißt es, der Lehrer ist schlecht. Keinem Menschen würde es einfallen, die Unterrichtszeit von anderen Fächern dafür zu fordern.“
Dr. Margareth Lun: „Und das Konzept des bilingualen Lernens wird hier keine Abhilfe schaffen – im Gegenteil: Bei CLIL soll die deutsche (!) Fachkraft ihr Fach in einer anderen Sprache unterrichten. Noch etwas Absurderes gibt es wohl nicht.“
UT24: Schulamtsleiter Höllrigl meint „Die Anforderungen an Sprachkenntnissen sind in Südtirol im Laufe der letzten 15 Jahre enorm gestiegen.“So erwarte man sich heute nicht mehr nur die Kenntnis der zweiten Sprache, sondern auch einer dritten oder sogar vierten Sprache. Stimmt das für Sie also nicht?
Elmar Thaler: Was nützt es, wenn ich mich in 4 Sprachen ausdrücken kann, dafür aber das grundlegende Fachwissen und die Sachkompetenzen auf der Strecke geblieben sind? Ich glaube, es sollte keine Überbewertung der Fremdsprache auf Kosten des Fachwissens erfolgen!
Dr. Margareth Lun: „Wenn der Fachunterricht in Italienisch oder in einer anderen Fremdsprache angeboten wird, bleibt unwillkürlich viel Allgemeinwissen auf der Strecke. Die Schüler können nachher vielleicht minimal besser italienisch, sie wissen dafür aber noch weniger in Geschichte, Geografie, Biologie usw. Dieses Manko macht sich spätestens auf der Universität bemerkbar.“
UT24: Sie haben heuer im Laufe einer Podiumsdiskussion im Rai Sender Bozen eingeworfen, dass CLIL auch rechtliche Fragen aufwirft…
Dr. Margareth Lun: „Der Unterricht in der eigenen Muttersprache ist gesetzlich garantiert, durch Art. 19 des Autonomiestatuts. Was passiert, wenn ein Schüler bei einem Test oder im Zeugnis eine negative Note erhält und er sagt, in Deutsch hätte er alles verstanden und eine positive Note bekommen? Wenn der Schüler oder die Eltern Rekurs gegen diese Note einreichen, gilt sicher Art. 19! Das ist die rechtliche Seite – uns ist aber die individuelle Komponente der Schüler wichtiger.“
UT24: Die da wäre?
Elmar Thaler: „Schwächere Schüler, die sich in der Schule eh schon nicht leicht tun, sind absolut benachteiligt, wenn sie den Lernstoff auch noch auf Italienisch oder Englisch machen müssen. Einleuchtend, oder? Neben der fachlichen Hürde kommt also auch noch die sprachliche dazu. Ich finde das inakzeptabel. Wir müssen in diesem Fall auch auf Schwächere Rücksicht nehmen, auch weil die Fremdsprachenkenntnisse – zumindest unter den Deutschen – nicht so schlecht sind. Selbst in den entlegensten Almhütten und Dorfläden kann man auf Italienisch bestellen – in Bozens besten Lagen (Waltherplatz und unter den Lauben) hingegen geht das auf Deutsch oft nicht. Es scheint mir dem Fremdsprachenunterricht auch eine Kopfsache zu sein.“
UT24: Sie haben eingangs von Sprachmajorisierung gesprochen. Was meinen Sie damit?
Dr. Margareth Lun: „Im Aostatal ist der CLIL-Unterricht de facto bereits 1948 eingeführt und dann der Italienisch-Unterricht immer weiter ausgedehnt worden. Heute (nur 2 Generationen später!) ist das Französische fast zur Gänze verschwunden. Nur mehr 2 Prozent der Schüler geben das Französische als ihre Muttersprache an! Das war Sprachmajorisierung – die vorherrschende Italienische Sprache hat die Minderheitensprache Französisch verdrängt. Dieses Modell ist leicht auf unsere Situation umzulegen. In wenigen Jahrzehnten fühlen sich die Schüler nicht mehr in der Schriftsprache sicher – deshalb verwenden sie ja heute auch schon auf dem Smartphone lieber den Dialekt –, sodass sie irgendwann lieber das Italienische verwenden. Diese Entwicklung habe ich bereits vor Jahren bei meinem Unterricht im Europaviertel in Bozen eindrücklich beobachten können. Viele Schüler fühlten sich nur im deutschen Dialekt und im Italienischen sicher, sodass sehr viele einfach in Situationen, in denen sie vor Leuten sprechen mussten, lieber das Italienische verwendet haben.“
UT24: An italienischen Schulen in Südtirol gibt es bereits viele Sprachprojekte …
Dr. Margareth Lun: „… die alle kein Erfolg sind. Schauen Sie: Die deutschen Schulen in Südtirol haben bei der PISA-Studie signifikant über dem OECD- Durchschnitt abgeschnitten, z.B. in Mathematik mit 506 Punkten, in Naturwissenschaften mit 503 Punkten, in Lesen mit 503 Punkten. Die italienischen Schulen in Südtirol hingegen lagen signifikant unter dem OECD- Durchschnitt, z.B. in Mathematik mit 483 Punkten, in Naturwissenschaften mit 474 Punkten, in Lesen mit 474 Punkten. Wieso sollten wir dann von unserem guten Schulsystem weggehen und uns an Methoden der italienischen Schulen anpassen, wo solche Sprachexperimente seit vielen Jahren gemacht werden, offensichtlich ohne Erfolg? Das zeigt sich ja auch bei den Zweisprachigkeitsprüfungen, wo immerhin 5% mehr Deutsche durchkommen als Italiener.“
UT24: Aber allein auf die PISA-Studie zu bauen …
Dr. Margareth Lun: „Bei der KOLIPSI-Studie, die an der EURAC durchgeführt wurde (4. Oberschule und ital. Schulamt) haben ebenfalls die deutschen Oberschulen 1 Stufe besser abgeschnitten als die italienischen (bei 5 Stufen). Laut italienischem Schulamt gibt es keine Studie über einen eventuellen Erfolg des Immersionsunterrichtes. Also auch hier wiederum die Frage: Wieso sollten wir in ein schlechteres Schulsystem wechseln?“
UT24: Was wären also sinnvolle Alternativen zur Verbesserung der Italienischkenntnisse:
Elmar Thaler: „Absolute Priorität: Lernmethoden in den eigentlichen Italienischstunden von Grund auf umstellen! Es muss vor allem das mündliche Sprechen trainiert werden! Priorität muss das Sprechen haben. Außerdem kann Italienisch als freiwilliges Wahlfach zusätzlich angeboten werden – und je nach Begabung und Notwendigkeit in Anspruch genommen werden können.“
Dr. Margareth Lun: „Die Eigeninitiative der Eltern ist aber ebenfalls gefragt. Auf keinen Fall dürfen deutsche Bildungseinrichtungen als Gratis-Fremdsprachenkurse missbraucht werden. Und am bedenklichsten: Einwanderer müssen Italienisch lernen, um eingebürgert werden zu können. Deutsch ist offensichtlich überflüssig. Somit wird die am stärksten wachsende Volksgruppe im Land italienisch indoktriniert. Das ASTAT-Sprachbarometer von 2004 hat klar bewiesen, dass praktisch jeder im Lande Italienisch kann, es gibt aber massenweise Italiener, die kein Deutsch können.
Ich wage zu bezweifeln, dass sich trotz aller Sprachexperimente auf italienischer Seite daran etwas geändert hat.“






