„Existenzielle Wucht“ beim Bachmann-Preis

Den Anfang des dritten Lesetags im ORF Theater in Klagenfurt machte der Berner Dichter und Performancekünstler Jürg Halter. Sein Text schildert ein „Erwachen im 21. Jahrhundert“ und beschreibt die Handlungen und Gedanken eines Menschen zwischen 5 Uhr 20 und 7 Uhr 55. Damit konnte er nur den Schweizer Teil der Jury überzeugen. Stefan Gmünder nannte den Text „sehr tiefgründig und clever“. „Es geht um Ohnmacht, Ängste und Emotion“, sagte Juri Steiner, der Halter eingeladen hatte, „ein Experiment mit Sprechweisen“ fand Hildegard E. Keller.
Meike Feßmann sah einen „vergleichsweise belanglosen Text“, Klaus Kastberger ortete „Weltverbesserungsansatzideen“ („Mir ist vorgekommen, als hätte man Jean Ziegler vor einem Auftritt zwei Schlaftabletten gegeben.“) und stellte Steiner die Frage: „Was ist bloß mit dem Schweizer Mann los?“ Kastbergers fortgesetztes Privat-Duell mit Juri Steiner rief Feßmann auf den Plan: „Jetzt wird es langsam albern, wenn Sie ihm die Interpretation verbieten!“ Abschließend meldete sich Jürg Halter selbst zu Wort und kündigte Richtung Kastberger an: „Ich werde das mit Jean Ziegler besprechen.“
Lokalmatadorin Anna Baar las einen Auszug ihres demnächst erscheinenden Romans „Die Farbe des Granatapfels“, in dem die einstige Beziehung der Erzählerin zu ihrer familiären und zugleich fremden Umgebung als heranwachsende junge Frau inklusive Einsprengsel kroatischer Ausdrücke beschrieben wird. Sie erinnert sich an ihr Leben auf einer Insel und ihre beständige Auseinandersetzung mit Nada (Kroatisch für „Hoffnung“), die wohl ihre Großmutter ist.
Gmünder, der Baar eingeladen hatte, sah in dem „Text, der aufs Ganze geht“ eine „ungeheure existenzielle Wucht“. Feßmann nannte ihn „sehr suggestiv und überzeugend“, er gleite allerdings bisweilen ins Pathos ab. Hildegard E. Keller sah eine „Überinstrumentierung“: „Es gibt verdammt viele schräge Bilder.“ Kastberger fand den Text gelungen: „Die Insel, die Enkelin und die Großmutter stehen mir vor Augen“, meinte er. „Das dampft, das ist total sinnlich.“ Hubert Winkels fand den Text „eine Nuance zu schön, zu geschmackvoll in den Farben und Gerüchen“.
Die in Wien lebende Linzerin Teresa Präauer („Für den Herrscher aus Übersee“) empfahl sich mit ihrem Text „Oh, Schimmi!“ für den Publikumspreis. Die fantastisch-fantasievoll geschilderten insistierenden Annäherungsversuche eines Mannes (Jimmy bzw. Schimmi) an eine Frau (Ninni), für die er sich buchstäblich zum Affen macht und in ein Affenkostüm schlüpft, ernteten jedenfalls viele Lacher bei Präauers schwungvollem Vortrag und anschließend viel Applaus.
„Ein Zauberkunststück auf offener Bühne“, nannte dies Meike Feßmann, die das „ganz toll“ fand, „eine bezaubernde Idee, wunderbar durchgespielt“ fand Sandra Kegel, obwohl es auch „eine brutale Stalker- und Vergewaltiger-Geschichte“ sei. „Ein leichtfüßiger Text“, urteilte Stefan Gmünder und fand Muhammad Ali-Zitate darin. „Hingerissen“ zeigte sich Klaus Kastberger, sowie von der „unglaublichen Lockerheit“ des Textes angetan.
Den Abschluss machte Dana Grigorcea, 1979 in Bukarest geboren und in Zürich lebend. Im Herbst erscheint ihr zweiter Roman „Das primäre Gefühl der Schuldlosigkeit“. Der von ihr vorgelesene und vom Publikum akklamierte Auszug führte in das Bukarest der Ceausescu-Zeit und konfrontierte mit einer Familiengeschichte, einem Securitate-Oberst, einem Farbfernseher, dessen Bildschirm einfach mit einer dreifarbigen Folie beklebt ist, mit der TV-Serie „Fram, der Polarbär“ und mit Michael Jacksons legendärem Bukarest-Besuch („Hello, Budapest, I love you“).
Der Jury-Vorsitzende Hubert Winkels sah darin „eine herrliche Satire in drei Etappen über die Geschichte Rumäniens“, „besser kann man es fast nicht erzählen“. Durchgängiges Lob kam auch von den anderen Juroren. Hildegard E. Keller etwa fand die Geschichte „ganz wunderbar“ erzählt.
Am Sonntagvormittag werden vier Preise vergeben, einer weniger als im Vorjahr. Der nach der in Klagenfurt geborenen Autorin Ingeborg Bachmann (1926-1973) benannte Hauptpreis ist mit 25.000 Euro dotiert. Hinzu kommen der mit 10.000 Euro dotierte Kelag-Preis, der mit 7.500 Euro dotierte 3sat-Preis sowie der über das Internet ermittelte BKS-Bank-Publikumspreis (7.000 Euro). Für Letzteren kann noch bis heute um 15 Uhr per Mail samt Begründung abgestimmt werden.
Noch bis 22 Uhr kann für den von „literaturcafe.de“ ausgeschriebenen Preis für den besten Juror bzw. die beste Jurorin abgestimmt werden. Der undotierte Preis wird nach der Verleihung des Bachmann-Preises am Sonntagmittag vor dem ORF Theater in Klagenfurt überreicht und als Video-Podcast dokumentiert. Im Vorjahr gewann Daniela Strigl, die heuer nach dem Rückzug eines Angebots auf die Jury-Präsidentschaft auf ihre Teilnahme verzichtet hat.






