von apa 10.11.2014 14:20 Uhr

Ex-Polizisten wollen Fall Bakary J. neu aufrollen

Drei der vier im Fall Bakary J. wegen Quälens eines Gefangenen verurteilten Wiener Polizisten wollen mit neuen medizinischen Gutachten eine Wiederaufnahme ihres Strafverfahrens erwirken. So kommt der pensionierte Facharzt für Chirurgie, Georg Kobinia, zu dem Schluss, dass die Verletzungen auf einem veröffentlichten Foto nicht mit der offiziellen Dokumentation des Falles übereinstimmen.
APA (Archiv/Newald)

Die drei Polizisten waren wegen Quälens eines Gefangenen verurteilt worden, nachdem sie am 7. April 2006 den gebürtigen Gambier Bakary J. in einer Lagerhalle schwerst misshandelt hatten, weil er sich zuvor so heftig gegen seine Abschiebung nach Gambia gewehrt hatte, dass ihn der Pilot eines Passagierflugzeuges nicht mitnahm. Die Blutergüsse könnten nicht an diesem Tag (dem 7. April 2006, Anm.) entstanden sein, meinte Kobinia am Montag bei einer Pressekonferenz in Wien.

Bei dem Pressegespräch waren auch zwei der drei mittlerweile aus dem Polizeidienst entfernten Polizisten anwesend. Als Begründung für die seinerzeit abgelegten Geständnisse, die sie mittlerweile widerrufen haben, nannten sie „mediale Hetze“ und Vorverurteilung, Angst vor dem Amtsverlust und psychischen Druck. Außerdem sei ihnen in Aussicht gestellt worden, dass sie mit einem Geständnis Chancen auf eine milde Bestrafung hätten, die ihnen die Ausübung einer weiteren Tätigkeit im Polizeidienst ermöglichen würde.

Die damaligen Wega-Polizisten halten an ihrer ursprünglichen Verantwortung fest, dass sich Bakary J. offenbar bei einem Sturz im Zuge eines Fluchtversuchs verletzt habe. Im AKH wurde, wie Georg Kobinia darlegte, neben Prellungen von Schulter und Hüfte sowie einer Zerrung der Halswirbelsäule eine Prellmarke oberhalb eines Auges im Ausmaß von zwei Zentimetern samt Abschürfung diagnostiziert.

Hätte im AKH nur der geringste Verdacht bestanden, dass Bakary J. Frakturen im Kopfbereich erlitten hätte, wäre er zu weiteren Untersuchungen auf Fachabteilungen gebracht worden, meinte der pensionierte Chirurg. Am 11. Mai wurde bei dem gebürtigen Gambier eine Fraktur diagnostiziert, die vom Stirnbein über das Joch- und Nasenbein verlief und nach Darstellung Kobinias binnen 24 Stunden, wahrscheinlich aber schon früher, zu einem Bluterguss hätte führen müssen. Ein solcher sei in den folgenden Tagen aber nicht dokumentiert. Bei einem Bruch hätte sich eine Prellmarke unterhalb des Auges befinden müssen, erläuterte der Mediziner.

Zu sehen ist der enorme Bluterguss auf einem damals von Medien veröffentlichten Foto, das der tags darauf erfolgten Anzeige der behaupteten Misshandlung durch die Polizisten durch die Ehefrau von Bakary J. allerdings nicht beigelegt sei. Der Chirurg, der für sein Gutachten nach eigenen Angaben den damaligen Klinikbefund durchgelesen und mit Augenärzten besprochen hat, ortet „Ungereimtheiten“.

Die früheren Polizisten wiesen darauf hin, dass es sich im Fall von Bakary J. um eine sogenannte Problemabschiebung gehandelt habe, was von Anfang an klar war. An Ausrüstung habe man nur sogenannte Handschlaufen mitgenommen, nicht jedoch Waffen, Schlagstöcke oder Handfesseln. Nach dem Abbruch der Abschiebung – J. war bereits im Flugzeug – habe man sich von Schwechat auf den Rückweg zum Polizeianhaltenzentrum (PAZ) gemacht. Man habe Bakary J. sogar in Aussicht gestellt, bei seiner Wohnung vorbeizufahren, um persönliche Dinge zu holen, da das Gepäck des Schubhäftlings in der Maschine war. J. selbst sei der irrigen Annahme gewesen, überhaupt zu seiner Familie zurückkehren zu dürfen.

Auf der Autobahn wurde einer der Beamten, der im VW-Transporter neben Bakary J. saß, nach eigenen Angaben von dem Mann heftig attackiert, so dass er ihn schließlich „im Fußraum fixiert“ hat und fast auf ihm draufgekniet ist. In dieser gefährlichen Situation – Tempo 80 auf der A4, ein Anhalten wäre mit einem zu großen Risiko verbunden gewesen – entschied der Fahrer spontan, über die A23 und den Handelskai zu einer Übungshalle der Wega zu fahren, um J. dort die Hände zu fesseln. Zu Übergriffen sei es dort nicht gekommen, beteuerten die zwei früheren Beamten und widerriefen damit ihr früheres Geständnis. Auf dem weiteren Rückweg und bereits in unmittelbarer Nähe zum PAZ am Hernalser Gürtel habe Bakary zu entkommen versucht und sei vom Fahrer erwischt worden, wobei beide „relativ heftig“ zu Sturz kamen.

„Auf eigene Faust zu sanktionieren macht keinen Sinn“, betonte einer der um die Wiederaufnahme des Strafverfahrens kämpfenden Verurteilten. „Außerdem waren wir Urlaubsantreter:“ Er selbst habe erst nach einigen Tagen im Ausland von den Misshandlungsvorwürfen erfahren.

Maria Zehetbauer, die Rechtsvertreterin der drei Verurteilten, wies auf „exorbitante Schadenersatzforderungen“ hin, die auf die Beamten zukämen. 110.000 Euro habe das Innenministerium als A-Konto-Zahlung geleistet. „Es ist aber nicht klar, welche Schäden damit entschädigt werden sollen“, sagte Zehetbauer. Seit mehr als einem Jahr sei dazu ein Regressverfahren am Arbeits- und Sozialgericht anhängig. Weitere 385.000 Euro habe Bakary J. von der Republik eingeklagt.

Der Anwalt von Bakary J. bezweifelt die von den drei früheren Polizisten genannten Gründe für den Widerruf ihrer Geständnisse. Nikolaus Rast vermutet vielmehr Angst vor Regresszahlungen als Motiv und stellte gegenüber der APA die Frage in den Raum, warum wohl der vierte der 2006 verurteilten Polizisten bei seinem Geständnis bleibe.

„110.000 Euro hat die Republik gezahlt. Diese Zahlung wäre ja nicht erfolgt, wenn es Zweifel an dem Urteil gegeben hätte“, sagte Rast und gab sich überzeugt: „Der Wiederaufnahmeantrag wird im Versuchsstadium stecken bleiben.“ Darüber hinaus kündigte der Anwalt an zu prüfen, ob bei der Pressekonferenz am Montag das Datenschutzgesetz verletzt wurde, weil möglicherweise als sensibel einzustufende Patientendaten seines Mandanten präsentiert wurden. „Wenn dem so ist, gibt es gleich die nächste Klage“, sagte Rast. Er hat bereits eine Verleumdungsklage gegen die drei ehemaligen Polizisten eingebracht, da sie Bakary J. unterstellten, die Unwahrheit über die Entstehung seiner schweren Verletzungen gesagt zu haben.

Den Äußerungen von Privatgutachter Georg Kobinian hielt Rast unter Berufung auf Recherchen des ORF-Magazins „Thema“ entgegen, dass Folgen von Verletzungen sehr wohl erst später sichtbar werden können. In der Sendung vom 27. Oktober hatte ein Spezialist erklärt, dass Brüche, die nicht mit Knochenverschiebungen einhergehen, unmittelbar nach der Verletzung auf einem Röntgenbild nicht unbedingt zu erkennen sind. Außerdem, betonte der Anwalt von Bakary J., fänden die Geständnisse im Strafverfahren volle Deckung im Akt. Die damals tätigen medizinischen Gutachter seien ausgewiesene Experten, fügte Rast hinzu.

Er geht davon aus, dass Angst vor künftigen Zahlungen der Grund für den Widerruf der Geständnisse acht Jahre nach der Verurteilung ist. Neben den 110.000 Euro geht es noch um mehr als 300.000 Euro, die Rast im Namen seines Mandanten nach wie vor fordert. Im Regressweg müssten die früheren Beamten „zahlen bis an ihr Lebensende“, meinte der Anwalt. Er übte im gleichen Atemzug Kritik an der Finanzprokuratur, die in diesem Fall die Republik vertritt. „Es ist eine Zumutung, dass man sich mit meinem Mandanten nicht einigt. Der Betrag ist nicht in Stein gemeißelt.“ Rast fordert 375.000 Euro und eine monatliche Pension für das Opfer.

Auch Heinz Patzelt, Generalsekretär von Amnesty International (AI) Österreich, übte Kritik an der angestrebten Wiederaufnahme des Strafverfahrens. „Es ist eine Ungeheuerlichkeit, was hier probiert wird“, konstatierte Patzelt im Gespräch mit der APA, zumal ein Dritter hineingezogen werde. „Folteropfer brauchen Sicherheit und nicht die Verleugnung der Tat“, sagte der AI-Generalsekretär und zeigte sich verwundert darüber, dass der medizinische Gutachter offenbar nicht wisse, dass Frakturen nicht zwangsläufig sofort erkannt werden. „Das ist eigentlich gesichertes medizinisches Wissen. Ich selber bin drei Wochen mit einem gebrochenen Halswirbel herumgelaufen und habe es nicht gewusst“, fügte Patzelt hinzu.

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