von apa 01.10.2017 03:24 Uhr

Gewalt-überschattetes Katalonien-Referendum zu Ende

Das umstrittene Unabhängigkeits-Referendum in Katalonien ist nach einem von Polizeigewalt überschatteten Tag zu Ende gegangen. Nach elf Stunden schlossen die Wahllokale nach Mitteilung der Regionalregierung in Barcelona wie vorgesehen um 20.00 Uhr (MESZ). Die Zahl der durch Polizeigewalt verletzten Menschen stieg unterdessen auf 844 Personen an.

APA (AFP)

Die Regionalregierung von Carles Puigdemont zog die Abstimmung am Sonntag trotz eines Verbots durch das Verfassungsgericht und gegen den Widerstand der Zentralregierung in Madrid durch. Die staatlichen Polizeieinheiten Guardia Civil und Policia Nacional gingen zum Teil mit brutaler Härte gegen friedliche Wähler und Demonstranten vor. Nach jüngsten Zahlen des regionalen Gesundheitsministeriums wurden 844 Personen verletzt, zwei davon sind in kritischem Zustand. Es gab auch 33 verletzte Polizisten.

In einer ersten Bilanz sagte Turull am Sonntagabend, trotz der Maßnahmen der spanischen Staatspolizei zur Verhinderung der Abstimmung seien von den vorgesehenen 2.315 Wahllokalen nur 319 geschlossen geblieben. Die betroffenen Wähler sollten aber auf ein anderes Lokal ausweichen.

Puigdemont beanspruchte nach dem umstrittenen Referendum das Recht auf Unabhängigkeit seiner Region. “Wir haben das Recht gewonnen, einen unabhängigen Staat zu haben”, sagte Puigdemont am späten Sonntagabend in Barcelona.

Der spanische Ministerpräsident Mariano Rajoy verurteilte das Unabhängigkeitsreferendum in Katalonien hingegen scharf. Er selbst werde sich keiner Gelegenheit zum Dialog verschließen, aber man müsse sich im Rahmen des Gesetzes bewegen, erklärte der konservative Politiker am Sonntagabend vor Journalisten in Madrid.

Er werde ein Treffen aller politischen Parteien ansetzen, um gemeinsam über die Zukunft nachzudenken. So schnell wie möglich müssten harmonische Verhältnisse wieder hergestellt werden.

Es habe am Sonntag jedoch “kein Referendum, sondern eine Inszenierung” gegeben. Die Katalanen seinen getäuscht worden, an einer illegalen Abstimmung teilzunehmen. Die katalanischen Spitzenpolitiker hätten gewusst, dass das Referendum illegal gewesen sei und trotzdem weitergemacht. Die meisten Katalanen hätten sich nicht beteiligen wollen.

Rajoy gab nach dem gewaltsamen Vorgehen der Polizei der Regionalregierung die Schuld an den Unruhen. “Die Verantwortlichen sind die, die das Gesetz gebrochen haben”, sagte er. “Wir haben nur unsere Pflicht erfüllt und das Gesetz befolgt.” Es war das erste Mal am Tag des umstrittenen Unabhängigkeitsreferendums in Katalonien, dass Rajoy sich in der Öffentlichkeit zeigte.

Rajoy hob die “Stärke” des spanischen Staates hervor. Der spanische Staat habe bewiesen, dass er “mit allen ihm zur Verfügung stehenden Rechtsmitteln auf jedwede Provokation” reagieren könne. Die katalanische Regionalregierung habe “Grundrechte verletzt” und gegen die Legalität und das demokratische Zusammenleben verstoßen.

Die Sorge um die Gewalt in einem der wichtigsten Länder der EU wurde auch international kommentiert. Seitens der deutschen Bundesregierung hieß es, Kanzlerin Angela Merkel wiederum habe sich am Samstag in einem Telefonat mit Spaniens Premier Mariano Rajoy über dessen Einschätzung der Lage in Katalonien informiert. Der belgische Regierungschef Charles Michel twitterte: “Gewalt kann niemals die Antwort sein.”

Sloweniens Präsident Borut Pahor sagte dem TV-Sender RTV Slovenija: “Ich glaube, dass heute sehr, sehr viele slowenische Herzen für das katalanische Volk schlagen.” Als Staatspräsident müsse er zurückhaltend sein, um nicht den Eindruck zu erwecken, dass er sich in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten einmische, sagte Pahor. “Aber ich glaube, dass es auch richtig ist, dass wir Slowenien über das Recht auf Selbstbestimmung zu unserer Unabhängigkeit gekommen sind, und dass auch andere solche Träume haben.”

Der britische Außenminister Boris Johnson zeigte sich am Sonntag besorgt über die Gewalt. Johnson stellte aber gleichzeitig klar, dass die Volksabstimmung nicht konform mit der spanischen Verfassung sei.

In Österreich meldeten sich am Sonntag Grüne und FPÖ zu Wort. Die Grüne Spitzenkandidatin bei der Nationalratswahl, Ulrike Lunacek, ließ wissen: “So wie alle Demokraten in Europa bin ich von der gewalttätigen Zuspitzung der Situation in Katalonien auf das Tiefste schockiert.” Sie verurteile den Einsatz von Gummigeschoßen und Schlagstöcken seitens der spanischen Einsatzkräfte auf das Schärfste und rufe zu Deeskalation auf.

Harald Vilimsky, freiheitlicher Delegationsleiter im Europaparlament und FPÖ-Generalsekretär, erklärte, angesichts der Gewalteskalation seien “jetzt die EU-Spitzen gefordert”, die spanische Zentralregierung in Madrid zur Ordnung und Mäßigung zu rufen. Es sei ungeheuerlich, wie hier ohne Augenmaß gegen die eigene Bevölkerung vorgegangen werde. Wären die heute übertragenen Bilder aus Russland genommen – die Staats- und Regierungschefs der EU würden weitere Sanktionen verhängen, argumentierte Vilimsky.

Auch das Schweigen der österreichischen Regierungsspitze sei angesichts der Gewalteskalation nicht nur unverständlich, es gebiete der Anstand, dass jetzt Kanzler und Außenminister klar Stellung beziehen, zumal die dafür verantwortliche Partido Popular die Schwesterpartei der ÖVP sei und Premierminister Mariano Rajoy für diese Schande und Gewaltspirale die Verantwortung trage, so der FPÖ-Politiker.

Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) hatte bereits am Samstag in der Ö1-Interviewreihe “Im Journal zu Gast” erklärt, er beobachte die Entwicklungen mit “Bauchweh und Sorge”. Die Situation in Katalonien sei “verfahren”. Er halte “wenig von der Teilung von Staaten in der Europäischen Union”, stellte Kurz klar. In manchen Regionen gebe es diesbezüglich aber “starke Emotionen”. Aber: “Wir mischen uns da nicht übermäßig ein.”

Der FC Barcelona wärmte sich am Sonntag beim Liga-Spiel gegen UD Las Palmas (Endstand 3:0) in Trikots mit den Farben der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung auf. Der argentinische Superstar Lionel Messi und die anderen Spieler kamen am Nachmittag in gelben T-Shirts mit roten Streifen aus der Kabine – angelehnt an die “Senyera”, die traditionelle Flagge der Separatisten. Vor Spielbeginn wechselte die Mannschaft dann aber in ihre normalen blau-roten Trikots. Messi spielte dennoch mit einer Armbinde in den “Senyera”-Farben.

Aus Protest gegen die Gewalt beschloss der Fußball-Topclub aber, das Spiel unter Ausschluss der Öffentlichkeit auszutragen. Der Antrag des Vereins, das Spiel abzusagen, wurde spanischen Medienberichten zufolge vom Verband abgelehnt. “Der FC Barcelona verurteilt die Ereignisse, die es heute in weiten Teilen von Katalonien gegeben hat, um die Bürger daran zu hindern, ihr demokratisches Recht der freien Meinungsäußerung auszuüben”, hieß es in einer Erklärung des Clubs.

Ein Kompromiss ist aber weiter nicht in Sicht. Der katalanische Regierungschef Carles Puigdemont erklärte, die Sicherheitskräfte hätten auch Gummigeschoße und Schlagstöcke gegen friedliche Bürger eingesetzt. Er sprach von einem “ungerechtfertigten, irrationalen und unverantwortlichen” Gewalteinsatz. In Richtung der Regierung des konservativen spanischen Ministerpräsidenten Mariano Rajoy sagte er: “Es ist alles gesagt, die Schande wird sie auf ewig begleiten.”

Die Frage auf den Stimmzetteln lautete: “Wollen Sie, dass Katalonien zu einem unabhängigen Staat in Form einer Republik wird?” Da die Gegner einer Abspaltung überwiegend nicht zur Wahl gingen, wurde eine klare Mehrheit für die Unabhängigkeit erwartet. Fraglich war aber, ob die Polizei eine Auszählung überhaupt zulassen würde und wann mit Ergebnissen zu rechnen wäre. Je höher die Beteiligung, desto mehr Gewicht dürfte das Referendum haben.

Auf Fotos und Videos war zu sehen, dass die Polizei in der Tat zum Teil auch Gummigeschoße einsetzte. Beamte schlugen und traten auf Bürger ein, die sich friedlich vor den Wahllokalen versammelt hatten. Mehrere Menschen bluteten im Gesicht, darunter auch ältere Bürger. Über Barcelona kreisten Hubschrauber. Die meisten Menschen reagierten friedlich auf die Aktionen der Polizei, hielten ihre Hände in die Höhe und stimmten Lieder an. Einige gingen mit Blumen in den Händen auf die Sicherheitskräfte zu. “Wir sind friedliche Leute!”, riefen die Bürger in Sprechchören.

Nachdem die Guardia Civil ein Wahllokal in dem Ort Sant Julia de Ramis (Provinz Girona) gestürmt hatte, in dem der katalanische Regierungschef Puigdemont ursprünglich wählen wollte, wich der 54-Jährige zur Stimmabgabe in das nahe gelegene Dorf Cornella de Terri aus. Bei der Befragung konnten die Wähler Berichten zufolge in jedem Wahllokal abstimmen, unabhängig davon, wo sie gemeldet waren. Wie mehrfache Stimmabgaben verhindert werden sollen, war unklar.

Trotz des Polizeieinsatzes wurde vielerorts in Katalonien abgestimmt. Die Regionalregierung teilte mit, 96 Prozent der 3.215 Wahllokale hätten am Sonntag normal funktioniert. Auch Fußballstar Gerard Piqué vom FC Barcelona gab seine Stimme ab. “Ich habe abgestimmt. Gemeinsam sind wir beim Schutz der Demokratie nicht zu stoppen”, schrieb der 30 Jahre alte Katalane, der mit Pop-Queen Shakira zwei Kinder hat, vor dem Barca-Spiel auf Twitter.

Für die Gewalt wurde in erster Linie die Guardia Civil verantwortlich gemacht. Sie ist seit der Unterdrückung der Region unter dem Franco-Regime in Katalonien äußerst unbeliebt. Die katalanische Regionalpolizei Mossos d’Esquadra, die in der Region verwurzelt und angesehen ist, war vor dem Referendum Madrid unterstellt worden. Dem Befehl, Schulen und andere Wahllokale abzuriegeln, kam sie in der Früh dennoch nicht nach und blieb passiv.

Seit Wochen hatte Rajoy immer wieder versucht, die Befragung zu verhindern. Bei Dutzenden von Razzien wurden mindestens zwölf Millionen Wahlzettel sowie Millionen von Wahlplakaten und Broschüren beschlagnahmt. Viele Webseiten wurden gesperrt. Mehr als 4.000 Angehörige der Guardia Civil und der Nationalpolizei wurden nach Katalonien entsandt. Unter Berücksichtigung der Störungsaktionen aus Madrid würde die Abgabe von einer Million Stimmen “einen überragenden Erfolg” darstellen, sagte Jordi Sanchez, der Präsident der separatistischen Bürgerinitiative ANC, am Samstag.

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