Redaktion UT24

27.04.2017

Warum tut ihr das euren Kindern an?

In Südtirols Schulen wird so einiges umgekrempelt. „Wieso tut ihr das euren Kindern an?“, fragt sich die Autorin dieses Textes. Sie ist selbst im Bildungsbereich tätig:

APA (DPA)

Ich bin in einer Zeit aufgewachsen, in der es in der Schule noch wichtig war, die eigene Muttersprache zu erlernen. Im Deutschunterricht hat man Gedichte auswendig gelernt und man hatte ein Rechtschreibheft. Die Lehrpersonen waren darauf bedacht, dass die Schüler am Ende ihrer Schulkarriere die Standardsprache einwandfrei beherrschen.

Auch ich gehöre zu diesen Schülern, die diese Methoden genossen haben, sich heute fehlerfrei schriftlich und mündlich in der eigenen Muttersprache ausdrücken können und auch die Beistrichsetzung beherrschen. Die ersten Unterrichtsstunden in englischer Sprache hatte ich erst in der zweiten Klasse Mittelschule. Und siehe da! Ich habe das Englischstudium problemlos geschafft. Meine Freundinnen hatten in der Oberschule den ersten Kontakt mit der französischen, russischen oder spanischen Sprache und haben diese Sprachen studiert. Heute unterrichten sie Oberschüler. Wir haben diese Fremdsprachen gelernt, ohne dass dafür Deutschstunden gestrichen oder in gemischtsprachigen Unterricht umfunktioniert wurden.
Das alles passierte nicht vor fünfzig, nein, vor weniger als fünfzehn Jahren.

In der heutigen Zeit kommt es leider immer häufiger vor, dass Unterrichtsstunden in deutscher Sprache zugunsten gemischtsprachiger Experimente gestrichen werden; der Musikunterricht wird in italienischer, der Naturkundeunterricht in englischer Sprache abgehalten. „Man muss mit der Zeit gehen“, hört man von Eltern, die selbst noch die alte Schule mitgemacht haben. „Mehrsprachigkeit ist modern“, hört man von Direktoren, die ihre gut funktionierende Schule in ein Experimentierlabor verwandeln wollen, in der Meinung, sie würden damit Schüler nicht an Privatschulen verlieren.

Liebe „Veränderer“, warum wollt ihr den Unterricht so umgestalten, dass unsere Kinder heute am Ende ihrer Schulzeit nicht einmal mehr einen ganzen Satz fehlerfrei schreiben können? Warum wollt ihr unser tolles Schulsystem in eines verwandeln, das in vielen Jahren einmal als Beispiel für schlechten Unterricht in die Lehrbücher eingehen wird?
Warum tut ihr das euren Kindern, die die Zukunft unseres Landes sind, an?

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  1. jdrumbl
    22.08.2017

    Liebe besorgte Kollegin und Mutter,

    Sie sind über einen Verlust besorgt, und sprechen über eine Zeit: „in der es in der Schule noch wichtig war…“. Das impliziert ein „heute ist es nicht mehr so“. Sie denken also, oder Sie wissen aus Erfahrung, dass es heute kein Ziel mehr ist, dass „die Schüler am Ende ihrer Schulkarriere die Standardsprache einwandfrei beherrschen“.
    Welche Generation meinen Sie mit diesem Urteil? Ich kenne die Studentinnen, die in Brixen zu Kin­dergärtnerinnen und Lehrerinnen ausgebildet werden, seit dem Jahr 1999, dem ersten Studienjahr der Freien Universität Bozen. Sie hatten alle mehr oder weniger große Probleme mit der Standard­sprache. Und das ist auch heute noch so. Nachzulesen im Archiv der schriftlichen Aufnahmeprüfun­gen. Diese Studentinnen haben alle die traditionelle deutsche Schule besucht, ohne den nun angeprangerten Mehrsprachigkeits-Unterricht.
    Wenn es stimmt, dass bereits heute Absolventen der Schule „nicht mehr einen ganzen Satz fehlerfrei schreiben können“, dann liegt das auf jeden Fall an mangelhafter Übung im Gebrauch der Sprache. Sie sehen diese Gefahr und erkennen die Ursache der Gefährdung im Unterricht in der Zweitsprache Italienisch, der am Stundenkontingent des Deutschunterrichts nagt.
    Es gibt aber eine andere Erklärung für die Defizite in der Standardsprache vieler Südtiroler Schülerinnen. Studentinnen aus dem Pustertal haben mir immer wieder erzählt, dass in ihren Schulen Lehrpersonen den Unterricht im Dialekt gehalten haben. Wenn selbst im Unterricht der deutschen Literatur an der Oberstufe nicht die deutsche Bildungssprache verwendet wird, wo und wann sollten dann die jungen Menschen die nötige Übung im Umgang mit dieser Varietät des Deutschen erhalten?
    Viele Lehrpersonen sind selbst im Umgang mit der deutschen Bildungssprache nicht genügend geübt und beim Schreiben unterlaufen ihnen zahlreiche Fehler, die unbemerkt bleiben.
    Die Südtiroler Medien sind voll von Abweichungen vom Standard, die von Menschen stammen, die alle die „alte“ deutsche Schule besucht haben. Das Problem der Sprachen in den Schulen scheint also Aspekte zu verbergen, auf die Sie nicht geachtet haben.
    Die Kinder, von denen Sie sprechen, wachsen mit dem Dialekt als Muttersprache auf und verbringen den größten Teil ihres Lebens, tausende von Stunden, im vertrauten sprachlichen Milieu ihres Dialekts. Einen im Vergleich dazu minimalen Anteil von Lebenszeit leben die Kinder im Umfeld von institutionellen Bildungseinrichtungen. Und nicht einmal dort können sie sich vom Dialekt ganz lösen, denn es gibt Eltern, die für ihre Kinder einen deutschen Kindergarten mit kuscheliger Wohlfühlatmosphäre im vertrauten Dialekt verlangen.
    Wenn „unsere“ Kinder im Kindergarten mit „anderen“ zusammenkommen, die Deutsch erst lernen müssen, dann ist es nicht möglich, weiter in der Sphäre des eigenen Dialekts zu leben und zu sprechen. So erfahren die Kinder spontan die Pluralität der Sprachen in der Gesellschaft, in der sie leben. Der Kindergarten hat in unserem Bildungssystem die Aufgabe, die Kinder zur Standardsprache zu führen und sie auf ihrem Lernweg zu begleiten. Die Stimmen und die Bedürfnisse der anderen Kinder helfen bei der Orientierung auf dem Weg zum Eigenen. Den Kindern wird nichts weggenom­men, wenn sie auf ihren Dialekt verzichten, sie gewinnen an Einsicht und an Weltsicht. Kinder lernen sehr rasch und sie lernen spontan – wenn man sie lässt. Und Kinder lernen am besten von anderen Kindern.
    Die frühe Erfahrung des Zusammenlebens und des Lernens gemeinsam mit Kindern anderer Sprachen ist die denkbar beste Einübung in das nachfolgende „seriöse“ Erlernen der Sprachen.
    Mit diesem positiven Bild will ich keineswegs den Eindruck erwecken, ich nähme Ihre Bedenken nicht ernst. Das von mir gezeichnete Bild ist ja auch kein Abbild einer konsolidierten Praxis. Und es steht außer Zweifel, dass es in Südtirol Kindergärten und Schulen gibt, an denen sich die mehrsprachige Erziehung leichter durchführen lässt als an anderen.
    Lernen wir voneinander und miteinander!

    Hans Drumbl
    (Universität Bozen)

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