von ih 12.09.2016 15:26 Uhr

Neuerscheinung: ,,Der Trentiner Dialekt in Brasilien”

Ein neues Buch ist in Brasilien über die Sprache und Kultur der dortigen Welschtiroler erschienen. UT24 stellt einen 33-jährigen Professor aus Brasilien und sein neues Buch ,,Der Trentiner Dialekt in Brasilien“ vor.

Die Tiroler in Brasilien - Foto: Altmayer

UT24: Prof. Dr. Everton Altmayer, sind Ihre Vorfahren aus Tirol?

Ja. Meine Familie stammte aus dem südlichen Tirol, aus Meran und Primiero/Primör.

 

UT24: Sie sind dann ein Tiroler? Oder ein Brasilianer? Oder beides?

Ich bin vor allem ein Brasilianer, denn ich bin in Brasilien von brasilianischen Eltern geboren. Brasilien ist ein riesiges Land mit vielen verschiedenen Kulturen und deshalb fühle ich mich auch als ein ,,Tiroler”, wegen meinen österreichischen Wurzeln und wegen der Geschichte meiner Familie.

 

UT24: Wann beginnt die Tiroler Einwanderung in Brasilien?

Nach den Wiener Kongress heiratete die österreichische Erzherzogin Leopoldina von Habsburg (Tochter des Kaisers Franz I.) den brasilianischen Thronfolger Pedro von Portugal. 1817 zogen mit ihr österreichische Künstler, Handwerker und Wissenschaftler in das tropische Land. 1822 erklärte Brasilien seine Unabhängigkeit von Portugal und wurde zu einer konstitutionellen Monarchie. Leopoldina wird die erste Kaiserin Brasiliens und ist ausserdem die ,,Schöpferin“ der brasilianischen Nationalflagge mit den Farben der Häuser Habsburg (gold) und Bragança (grün). Ab 1824 dominierte die von den jeweiligen südamerikanischen Regierungen geförderte Kolonisierung durch Einwanderung. Zwischen 1859 und 1938 sind tausende Tiroler – deutscher, ladinischer und italienischer Muttersprache – nach Brasilien ausgewandert. Die meisten waren aus dem Welsch-Südtirol (heutige autonome Provinz Trient).

 

UT24: Wann kommen die ersten Welschtiroler nach Brasilien?

Zwischen 1874 und 1880 wanderten Tausende Welschtiroler in Brasilien ein. Ab 1875 kamen wirklich viele und sie gründeten kleinen Dörfer, die heute echte Städte sind. Soziale Probleme sowie Kriege waren Gründe für die Auswanderung. Mit der Abschaffung der Sklaverei in Brasilien haben tausende Welschtiroler in den Fazendas (Kaffee-Farmen) der wohlhabenden Familien gearbeitet. Im Süden wurden die neuen Kolonien in verschiedene Grundstücke unterteilt, die die Einwanderer von der Regierung ,,geschenkt” bekamen (die Mehrheit von ihnen musste dafür bezahlen), um die Kolonisierung zu fördern. Sie gründeten Dorf Tirol, Nova Trento, Santa Maria do Novo Tirol, Colônia Tirolesa, Tiroleses, Rodeio, Rio dos Cedros und Treze Tílias. Tiroler Nachkommen findet man auch in Bento Gonçalves, Caxias do Sul und in anderen Sädten.

 

UT24: Ihr neues Buch heißt ,,Der Trentiner Dialekt in Brasilien“.

Das Buch ist eine große Arbeit mit Sprachanalysen und Texten in Trentinisch und in ,,Talian“ – eine echte brasilianische Sprache, denn sie ist eine Koine (Sprachmischung), die aus der venetischen Sprache mit trentinischen, lombardischen und friaulischen Einflüssen gebildet wurde. Es gibt noch zum Vergleich zwei Vokabulare (Trentinisch-Portugiesisch) von zwei Kolonien, die über 1000 km voneinander entfernt liegen. Aber das Buch stammt nicht nur von mir. Ich habe die Organisation des Buches mit Prof. Dr. Mario Bonatti koordiniert und die meisten Texte geschrieben, aber auch andere Wissenschaftler und Dialektsprecher sind an diesem Buch beteiligt. Es sind dies Prof. Altino Mengarda, Prof. Darcy Loss Luzzatto, Fernanda Coutinho, Francisco Caetano Degasperi, Prof. Guilherme Vitti, Prof. Dr. Ivete Marli Boso, Prof. Dr. José Curi, Ludovico Adami, Prof. Misael Dalbosco und Prof. Dr. Renzo Tommasi.

 


UT24: Wie sprachen die Emigranten damals und wie sprechen ihre Nachkommen heute?

Den Dialekt sprechen noch die alten Leute, aber es gibt auch junge, die die alte Sprache ihrer Vorfahren sprechen. In vielen Orten, wo der Dialekt noch gesprochen wird, sagt man nicht ,,parlar trentin”, sondern ,,parlar tirolés” (,,Tirolerisch sprechen”). So versteht man auch, dass die Identität eine wichtiges Merkmal unserer Gechichte ist. Es gibt noch viele Nachkommen, die “Tirolés” lernen möchten.

 

UT24: Also schreiben Sie auch über die Tiroler Identität?

,,Tirol“ verstehe ich sowohl als Bundesland Tirol und auch als Autonome Region Trentino-Südtirol. Es ist mir ganz klar, dass es eine sehr alte geistige und kulturelle Einheit gibt. Diese alte Einigkeit findet man auch bei den Tirolern in Brasilien. Der ,,Tirolés” ist für viele Nachkommen eine ,,Sprache des Herzens”. In unserem Buch kann man viele Worte finden, die in der alten Heimat nicht mehr verwendet werden.

UT24: Das Buch ist in portugiesischer Sprache geschrieben. Ist die Überstetzung auf Deutsch oder auf Italienisch vorgesehen?

Ja, natürlich! Das wäre sehr gut! Hoffentlich gibt es einige Unterstützung einer Universität, einem Kulturverein oder von der Euregio Tirol. Wir stehen zur Verfügung (prof.altmayer@gmail.com) und sind dankbar für die Gelegenheit, das Buch zu veröffentlichen.

 

UT24:  Kann der Dokumentarfilm Tiroler im Urwald / Tirolesi nella foresta (Studio Walter, 2015) als Einführung in diese bei uns wenig bekannte Welt dienen?

Auf jeden Fall! Viele Interviews sind in ,,Tirolés“ und man versteht, dass Identität und Sprache eng miteinander verwandt sind. Der Dokufilm des Südtiroler Regisseurs Luis Walter wurde in Zusammenarbeit mit Prof. Dr. Norbert Hölzl (Universität Innsbruck) und mir in Dorf Tirol, Nova Trento und Colonia Tirolesa di Piracicaba gedreht. Der Film versucht zu erzählen, wie die Nachkommen der Tiroler Einwanderer in Brasilien in der 5. und 6. Generation leben und wie sie, nach über 150 Jahren, die Kultur ihrer Vorfahrer beibehalten (Versionen in Deutsch und Italienisch). In Österreich und in der Autonomen Provinz Bozen findet der Film großes Interesse der TV-Sender, während in der autonomen Provinz Trient ein gewisser Widerstand besteht… aber der Film wird durch private Initiativen gezeigt.

 

UT24: Prof. Altmayer, wie lebt ein ,,Tiroler aus Brasilien”?

Ich bin im Bundestaat São Paulo geboren, in einer großen Metropole. Dort habe ich meine Kindheit verbracht und Linguistik an der Universität São Paulo studiert. In São Paulo erlebte ich auch die Kultur meiner Vorfahren und zu Hause haben wir oft Knödel gegessen und Tiroler Musik gehört. Zehn Jahre lang war ich Mitglied einer lustigen Schuhplattlergruppe – in der Metropole! – und Kulturreferent des Circolo Trentino di São Paulo. Nach meiner Doktorarbeit entschieden meine Frau und ich, ein ruhiges Leben in einer kleinen Stadt zu genießen. Seit 2010 wohne ich mit meiner Frau Maria Carolina Stenico in Treze Tílias und unsere Tochter Luisa ist im ,,brasilianischen Tirol” geboren.

 

UT24: Wie ist ,,das brasilianische Tirol”?

Treze Tílias (Dreizehnlinden auf Deutsch) liegt in Südbrasilien, im Bundesstaat Santa Catarina. 1933 wurde die Kolonie gegründet, als der damalige österreichische Landwirtschaftsminister Andreas Thaler die erste Gruppe von Einwanderern aus Österreich und Deutsch-Südtirol nach Brasilien brachte. Er hatte sich vorgenommen, ein Kolonisationsprogramm zu entwickeln, um der Wirtschaftskrise vor dem Zweiten Weltkrieg zu entkommen. Mit ihren fast 8000 Einwohnern ist sie immer noch eine kleine (und feine) Stadt für uns Brasilianer, mit schönen Gärten und Häusern im Tiroler Baustil.

 

UT24: In Dreizehnlinden sind Sie der Obmann eines österreichischen Kulturvereins. Sind Sie ein Historiker?

Seit 2013 habe ich die Ehre, Obmann des Kulturvereins ,,Dona Leopoldina” zu sein. 1969 wurde der Kulturverein mit großen Unterstützung vom Prof. Karl Ilg (Universität Innsbruck) gegründet. Eine Deutsche Schule “Prof. Karl Ilg” wurde von unserem Kulturverein verwaltet und seit 2013 bieten wir auch Italienischkurse. Ich bin kein Historiker, sondern Sprachforscher. Ich schreibe meistens über die Sprache der Tiroler Einwanderung. Allerdings habe ich ein besonderes Interesse an der Identität dieser Einwanderung, denn die Identität findet man auch in der Sprache.


kulturverein-dreizehnlinden

Kulturverein ,,Dona Leopoldina” in Treze Tilias.


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