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Georg Dekas

02.07.2016

Die Geburten und der Heli-Storch

Was aus dem Kampf um die Schließung der Geburtenabteilungen von Innichen und Sterzing zu lernen ist.

Von Georg Dekas

Die Meldung vom bevorstehenden Aus für die Geburtenabteilung am Sterzinger Spital hat im Volk einen mächtigen Widerhall gefunden. Am kürzesten zusammengefasst in #stockerexit. Schauen wir uns die Gründe an, welche die Entscheider ins Feld führen, um ihren Entschluss zu rechtfertigen. Sie sagen, es gibt da eine Vorgabe aus Rom. Soundsoviel medizinisches Personal, soundsoviel Geburten pro Jahr. Sie sagen: Wir finden das Personal nicht. Sie sagen: Wer drunter liegt, haftet. Sie sagen: Sterzing hat zu wenig Geburten. Sie sagen: Alles viel zu teuer. Sie sagen: Das nächste Spital ist nur 43 Autobahnkilometer weg. Sie sagen: Dort bauen wir eine Geburtenstation auf, die den neuen Sicherheitsnormen entspricht. Sie sagen: So sparen wir Geld. Sie sagen: Eine Geburtenstation muss höchsten medizinischen Standards genügen. Sie sagen: Das können wir nicht an allen sieben Spitälern haben. Sie sagen: Wir müssen die Geburtenabteilungen in Innichen und Sterzing schließen.

Die High-Tech-Geburt

In diesem Konzept sind eine staatliche und eine medizinische Norm der Dreh- und Angelpunkt. Zur staatlichen Vorgabe aus Rom kommt etwas Hausgemachtes hinzu. Zwei Starmediziner, Christian Marth vom Uniklinikum Innsbruck und Hubert Messner vom Regionalkrankenhaus Bozen, haben Martha Stocker und Arno Kompatscher für die Anwendung der technisch höchstmöglichen Standards bei Schwangerschaft und Geburt gewonnen. Nicht hoher Standards, nein, höchstmöglicher, so wie sie in einer Uniklinik von Weltrang (Marth) und bei einem Spezialisten für Neonatologie (Messner) eben gelten. Die Leitidee der beiden Spezialisten und der beiden Gesetzgeber ist, dass von der Empfängnis bis zur Entlassung der Wöchnerin jedes Risiko beherrschbar sein muss. Jede unerwartete Komplikation muss innerhalb von fünf Minuten behebbar sein. Dazu braucht es eine Ballung der allerbesten Spezialisten und es braucht Geburten wie am Fließband. Das wiederum sei nur in wenigen, großen Zentren erreichbar. Das Hinkommen sei mit der Mobilität von heute überhaupt kein Problem, sagen die Befürworter der High-Tech-Geburt.

Technokratischer Ansatz

Das geografische Ausdünnen und die organisatorische Zentralisierung der Geburtenstationen sind die logische Folge dieses Denkens. Am grünen Tisch im Kreis von Spitzenmedizinern, Versicherungsanwälten und Klinik-Managern ausgehandelt, sind das die neuen Methoden und Maßstäbe in der Gesundheitspolitik Südtirols, und das nicht nur bei den Geburtsabteilungen. Es ist ein zentralistischer und technokratischer Ansatz. Bezeichnend für diese Gesundheitspolitik ist, dass die Geburt eines Menschen, seit mindestens einer Million Jahren der natürlichste Vorgang der Welt, aus der medizinischen Grundversorgung herausgenommen und in die hoch spezialisierte Spitzenmedizin eingereiht wird. Wohl um dem Gebärverhalten und den Wertvorstellungen der neuen Mütter zu entsprechen, die erst im Risikoalter gerade noch ein einziges Kind bekommen wollen.

Politiker und Techniker sind zwei paar Schuhe

Dass Anwälte, Ärzte und Manager ihre Ziele verfolgen, weil sie nur ihr eigenes Gebiet beachten, ist nachvollziehbar. Etwas ganz anderes ist es, wenn vom Volk gewählte Leute (gleich ob in Rom oder Bozen) die Maßstäbe der Spezialisten übernehmen und ihre eigene Aufgabe als Treuhänder des Gemeinwohls und als Mittler zum Volk zu wenig wahrnehmen. Gegen das Konzept der Amtierenden gibt es reihenweise Gründe, die wenig mit Kirchturmdenken und Besitzstandswahrung zu tun haben. Da geht es um vielschichtige, aber wirklich wichtige Fragen. Von der jungen Mutter, die aus Familiengründen eine nahe und beständige Betreuung vor Ort braucht, über die volkswirtschaftliche sinnvolle Allokation von öffentlichen Mitteln bis hin zum Gespür für  gewöhnlichere Bürger.

Grundübel Zentralismus

Das Ganze mit den Geburten wäre überhaupt kein Problem, wenn es nicht diese starre, ausschließlich von der Politik beherrschte und nur mit zentralen Gesetzen gelenkte staatliche Sanitätsmaschine gäbe. Ein gemeinnütziges, aber autonomes Südtiroler Gesundheitswesen könnte gerne in der Mitte des Landes, also in Brixen, ein großes, hochspezialisiertes, neues Geburtenklinikum einrichten. Aber nur dieses einzige, mit einem superschnellen Helikopter-Storch für alle Mamis des Landes. Überall sonst gäbe es die gewohnten Geburtshilfen ohne astronomische Auflagen, aber mit einer rechtlichen Risikoabsicherung, und zwar vom Reschen bis Winnebach. Das würde Grundversorgung und Spitzenmedizin in einem bedeuten.

Was die meisten wollen

Die Nutzerzahlen sprechen seit jeher für dezentrale Konzepte. Denn trotz Spitzenmedizin und trotz neuen Gebärverhaltens gehen die meisten Frauen zu ihrer Niederkunft nach wie vor in das nächst gelegene Spital. Beim Wechsel in ferner oder fern gelegene Stätten ging die Tendenz eher dahin, sich jenes Krankenhaus auszusuchen, in dem Service, Freundlichkeit und die individuelle Betreuung gut sind, bei gegebener medizinischer Grundqualität natürlich. Dieser Trend hat immer die kleineren deutschen Krankenhäuser in Südtirol belohnt, am meisten jene, die jetzt geschlossen werden, Sterzing und Innichen. Fast keine Frau geht von sich aus „für alle Fälle“ in ein Superzentrum mit Oberspezialisten mit Geburten im Stundentakt. Für jene Mütter, die dies wollen oder brauchen, gibt es bereits die Möglichkeit, in Bozen, Innsbruck, Verona usw. Hier ist die Mobilität mit dem Storch-Heli wirklich kein Problem. Und sie betrifft nur wenige. Das technokratische Konzept der Regierung Kompatscher hingegen würde die übergroße Mehrheit zu ständigen und langen Fahrten mit eigenen Mitteln zwingen.

Die Trentiner sind schlauer

Anstatt diese Gründe anzuerkennen und für ihre Anwendung die Autonomie voll auszureizen oder mit fester Hand auszubauen, geht die “autonome” Südtiroler Landesverwaltung den entgegengesetzten Weg und hält sich streng an die abstrakte römische Leitlinie. Denn wie so oft bei Staatsgesetzen geht es auch bei dieser Leitlinie nicht allein um die Sicherheit von Gebärenden. Sie schaut eher aus wie ein Arbeitsbeschaffungsprogramm für arbeitslose Mediziner des Südens. Dies durchschauend, haben unsere welschtiroler Nachbarn die Römer zur Einsicht gebracht, dass diese Norm für die nördlichen Berggebiete daneben ist. Die Folge, sie bekommen mit Cles und Cavalese zwei übliche Geburtenstationen zurück. Und die Römer haben bewiesen, dass man mit ihnen reden kann, dass sie auch pragmatisch sein können. Die Südtiroler Landesverwaltung scheint diese Chance nicht nutzen zu wollen. Ein Geldproblem kann es nicht sein. Der Landeshaushalt wirft mehr Geld ab als je zuvor. Es muss wohl eine technokratische Hybris sein, von der die Administration Kompatscher verhext ist.

Gegen das Erbe der Südtiroler Volkspartei

Dabei tragen sowohl der Landeshauptmann als auch die mächtige Landesrätin Martha Stocker das Parteiabzeichen der SVP, der Südtiroler Volkspartei. Martha Stocker hat sich der Sanität gar als Erbin von Silvius Magnago und vom alten Benedikter vorgestellt und gesagt, die Sicherung des ländlichen Raums sei ihr Auftrag. Das ist nicht so dahingeredet. Die SVP steht seit ihrer Gründung 1945 für die Selbstbehauptung der deutschen und ladinischen Südtiroler. Dazu gehört die Behauptung des Lebens in den Berggebieten und den weitverzweigten Tälern zum „Ich bin“ dieser Partei. Landeshauptmann Luis Durnwalder hat das ab 1988 großartig umgesetzt, als das „Autonomiegeld“ zu strömen begann. Jedem Bauernhof seinen Stadel und seine Zufahrt, jedem Flecken sein Vereinshaus und seine Feuerwehr. Jedem großen Tal sein Spital. Durnwalder hat keine Chance ausgelassen, um überall und ausgewogen Kraftpunkte zu setzen, die den Menschen Brot und Bedeutung geben. Wie oft wurde er dafür gescholten. Aber heute noch zehrt dieses Südtirol von seiner Politik, die das Wort „Peripherie“ nicht kannte. Nie früher wäre es für die SVP in Frage gekommen, eine Vorschrift, die das Gedeihen von ganzen Talschaften ernsthaft beeinflusst, einfach so zu schlucken, ganz und gar zustimmend, wie das heute die Regierung Kompatscher mir der so genannten „Sicherheitsnorm“ bei den Geburtenabteilungen tut.

Eine unbequeme Wahrheit

Und jetzt? Die Regierenden scheinen sich nicht umstimmen lassen wollen. Nun gut, der Souverän, das Volk, wird bei der Landtagswahl 2018 über das Ganze abstimmen. Bis dahin sollte unserer Landesregierung eine unbequeme Hintergrundwahrheit mit auf den Weg gegeben werden. Die Präferenzen der Mütter sind bereits aufgezeigt, und das ist politisch das Wichtigste. Aber es geht um mehr. Im deutschen Kulturraum lieben wir effiziente, eigenverantwortliche, kleine Einheiten, die intensiv und gemeinschaftlich zusammenarbeiten, die ihre eigene Ernte einfahren und anderen nicht in die Tasche greifen oder auf dem Sack liegen.

Dieses Kulturmuster entspricht übrigens den Erfolgsregeln der modernen Wirtschaft. Die großen Weltfirmen haben den Zentralismus längst abgestellt. Profitcenter bewegen sich selbständig. Das eingeschworene Team vor Ort ist wichtig. Die Lösung steht im Mittelpunkt, nicht die Hackordnung.

Die Krankenhäuser von Innichen, Sterzing, Bruneck, Brixen und Schlanders fügen sich in dieses Kulturmuster ein. Sie sind effizient, familiär, sauber, sicher, durchsichtig. Das „italienische“ Krankenhaus von Bozen hat durchaus auch seine Qualitäten, aber der „spirit“ dort ist der des korporativen Zentralismus, ein eher unschönes Wesensmerkmal der neueren italienischen Geschichte. Diese Kröte wollen wir deutschen Südtiroler nicht schlucken. Umso weniger, als radikale italienische Führungskräfte in der Sanität gar nur ein einziges Spital in Südtirol sehen wollen. Das Bozner Spital. (Als Halbschutz gegen die jetzt niedersausende Rassismus-Keule ist zu sagen, dass Italiener oft „deutscher“ denken und arbeiten als viele Südtiroler deutscher Muttersprache.)

Ob es gefällt oder nicht

Ob es gefällt oder nicht, der ethnische Knoten steht am Urgrund der Sanitätsreform und somit auch in der Affäre um die Geburtenstationen. Die Zentralisierung des Sanitätsbetriebes, die Desavouierung der Hausärzte auf dem Land, die Schließung der Geburtenabteilungen in Innichen und in Sterzing verletzen das „deutsche“ Gemüt zutiefst.

Sollte jemand meinen, mit dem Zurückstutzen der Krankenhäuser auf dem Land ein politisches Opfer darzubringen zu müssen, damit sich die Bozner Italiener etwas besänftigen, diese angeblich immer zu kurz Gekommenen, der irrt.

Es braucht eine dezentrale und autonome Gesundheitspolitik

Dies einmal erkannt und richtig gewogen, kann es nur eine Aufgabe für die Landesregierung geben: Die „dezentrale“ germanische und die „zentrale“ romanische Seele unseres Landes in ein vernünftiges Gleichgewicht zu bringen, auch in der Gesundheitspolitik. Am besten mit einer primär autonomen Gesundheitspolitik.

Für eine ganz andere Wertsetzung

Martin Luther hat gesagt: Wenn morgen die Welt unterginge, würde ich heute noch einen Apfelbaum pflanzen. Ein vom Volk gewählter Entscheider sollte sagen: „Wir wollen in jedem unserer Spitäler eine vernünftig ausgestattete Geburtsabteilung pflanzen, selbst wenn nur ein einziges Kind geboren würde“. „Als reiches Land können wir uns das leisten. Wir setzen auf das Leben. Unser Land braucht Kinder“.

So ein Entscheider setzt auf Wert, nicht auf Kalkül und Paragrafen. So einem traut man Führung zu, weil er das Glück schmiedet, statt sich schmieden zu lassen.

 

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